Hansjörg Anderegg

Das letzte Steak


Скачать книгу

an.

      »Gut, ich muss nämlich mal«, grinste Lange.

      Sven füllte den Tank, bezahlte, aber sein Beifahrer blieb verschwunden. Hinter dem Haus fand er ihn. Die brennende Zigarette im Mund, pinkelte er sichtlich vergnügt an die Wand.

      »He, was soll das? Machen Sie sofort die Zigarette aus. Das ist eine verdammte Tankstelle.«

      Dass Langes Abwasser ins Kellerfenster tropfte, störte ihn nicht, aber er war noch zu jung, um lebendig flambiert zu werden. Die Zigarette fiel dem Sandler aus dem Mund und erlosch in seinem Strahl. Zufrieden zog er den Reißverschluss zu, strich die Hände an der Hose ab und kam auf ihn zu.

      »Im Haus gibt’s Pissoirs und fließendes Wasser«, brummte Sven angewidert.

      »Ich kann nicht in geschlossenen Räumen. Ist schlecht für meine Kreativität, weißt du.«

      »Ihre Kreativität wird gleich noch mehr leiden, wenn ich Sie wegen Behinderung der Justiz einbuchte. Ich frage zum letzten Mal: Sind Sie sicher, dass wir Schmitz hier finden?«

      »Sicher ist nur der Tod.«

      Er verspürte nicht übel Lust, den sturen Langen einfach stehen zu lassen, die Fahndung nach Schmitz einzuleiten und auf schnellstem Weg nach Wiesbaden zurückzufahren.

      »Die Albstraße hinauf nach Sankt Johann, du wirst schon sehen«, sagte Lange und setzte sich mit erwartungsfrohem Grinsen auf den Beifahrersitz.

      Sein Spyder war kein Auto für Bergrennen, dennoch reizte es ihn, dem Langen ein wenig Angst einzujagen. Auf der Geraden vor der ersten Spitzkehre beschleunigte er weit über die erlaubte Höchstgeschwindigkeit. Erst kurz vor der Kurve bremste er hart ab, um sogleich wieder abrupt aufs Gas zu drücken. Er schielte kurz zu seinem Beifahrer hinüber. Der hing angespannt, mit weißen Knöcheln, aber glücklich lächelnd im Gurt. Wenigstens kam er so ein paar Sekunden schneller ans Ziel, tröstete er sich. In der Ferne tauchten die ersten Häuser von Sankt Johann auf.

      »Wo finden wir nun den Schnapsladen?«, fragte er.

      »In Sankt Johann.«

      »Sehr hilfreich. Da sind wir jetzt.«

      Da sie nun wieder vorschriftsmäßig unterwegs waren, wagte Lange, sich ein wenig zu entspannen. Er reckte den Hals, als würde er sein Zoomobjektiv ausfahren.

      »Wahrscheinlich auf der andern Seite am Ausgang des Dorfs«, murmelte er unsicher.

      »Ich höre wohl nicht richtig«, fuhr Sven auf. »Sie wissen gar nicht, wo Schmitz’ Schwager wohnt?«

      »Sagte ich doch schon. Die Adresse habe ich vergessen, aber das Haus kenne ich, wenn ich es sehe.«

      »Das beruhigt mich ungemein.«

      Er fuhr langsam durch das Dorf, das aus kaum mehr als der Hauptstraße bestand, gesäumt mit Fachwerkbauten und einigen moderneren Geschäften. Sie hatten die letzten Häuser fast erreicht, da bemerkte er die Reklametafel: ›Scholz Branntwein aus der Schwäbischen Alb‹.

      »Da!«, rief Lange überflüssigerweise.

      Einen Schnapsladen gab es zwar auch, wie er behauptet hatte, aber der Hauptzweck von Karsten Scholz’ Firma war nicht der Verkauf über die Ladentheke, sondern das Brennen von Hochprozentigem aus Trauben, Obst und Gerste. Scholz betrieb eine der wenigen Whisky-Destillerien auf der Alb. Wahrscheinlich für Kunden, die dem Scotch nicht trauten, dachte er beim Betrachten der Auslage.

      »Es gibt heute leider keine Führung«, sagte die Frau hinter der Theke mit einem misstrauischen Blick auf seinen Begleiter. »Schauen Sie sich nur ungeniert um. Sie können auch gerne von unsern Produkten kosten.«

      Er schüttelte den Kopf. »Danke, aber wir möchten nur mit Herrn Scholz sprechen, Karsten Scholz.«

      »Mein Mann ist im Lager. Vielleicht kann ich Ihnen helfen?«

      Lange öffnete den Mund, doch Sven schnitt ihm das Wort ab:

      »Das kann ich mir gut vorstellen. Wir sind nämlich auf der Suche nach Alois Schmitz.«

      Die Freundlichkeit wich augenblicklich aus ihrem Gesicht. Sie warf ihm einen erschrockenen Blick zu, dann murmelte sie verlegen: »Moment«, und entwischte durch die Hintertür.

      Es dauerte nicht lang, bis ein vierschrötiger Mann mit grimmiger Miene den Laden betrat.

      »Hier gibt es keinen Alois Schmitz«, behauptete er. »Und jetzt machen Sie, dass Sie weiterkommen, sonst rufe ich die Polizei.«

      »Karsten Scholz?«, fragte Sven ungerührt, während er seine Dienstmarke aus der Tasche zog.

      »Habe ich mich nicht klar …«

      Scholz stockte, sobald er begriff, wer vor ihm stand.

      »Kriminalkommissar Hoffmann, BKA«, stellte Sven sich vor.

      Lange grinste breit, trat rasch einen Schritt vor und sagte, bevor er ihn daran hindern konnte:

      »Lange, verdeckte Ermittlung.«

      Sven dachte schnell ans stinkende Leder im Boxster, um den Lachreiz zu unterdrücken, doch auf Scholz schien der Schwindel großen Eindruck zu machen. Er sah ein, dass es zwecklos war, den Bruder seiner Frau weiter zu verleugnen.

      »Was wollen Sie von Alois?«, fragte er kleinlaut.

      »Wir müssen mit ihm sprechen. Ist er hier?«

      Er brauchte Zeit, sich die Antwort zurechtzulegen.

      »Ich weiß nicht«, begann er endlich zögernd. »Wir haben kein sehr enges Verhältnis, wenn Sie verstehen, was ich meine.«

      Seine Frau kehrte zurück und beobachtete sie ängstlich aus dem Hintergrund.

      »Ist er oben in der Hütte?«, fragte Lange unvermittelt zu aller Verblüffung.

      Die Frau stieß einen Schreckensruf aus. Sven hatte keinen Schimmer, wovon der verdammte Lange sprach, doch dessen Frage traf offensichtlich ins Schwarze.

      »Schmitz ist also in der Hütte«, sagte er mit vorwurfsvollem Blick Richtung Scholz. »Ich muss Sie bitten, uns zu begleiten.«

      Wenig später folgte der weiße Porsche mit Mühe dem Geländewagen des Schnapsfabrikanten. Die schmale Bergstraße mündete bald in eine raue Naturstraße, dass der hart gefederte Boxster tanzte und schlingerte wie eine Jolle auf schwerer See.

      »Geht das noch lange so?«, fragte Sven mürrisch.

      Lange zuckte die Achseln. »War nie in der Hütte.«

      Die Straße, nicht viel mehr als ein Saumpfad, führte durch ein Waldstück. Kurz bevor sie den Schutz der Tannen verließen, hielt Scholz an und stieg aus.

      »Ich hole ihn«, sagte er. »Ist besser, wenn er nur mich sieht.«

      »Kommt nicht infrage. Ich komme mit«, knurrte Sven. Lange schärfte er ein: »Sie bleiben hier und rühren sich nicht von der Stelle. Nichts anfassen, kapiert?«

      Die Alm und der angrenzende Wald gehörten zum Besitz der Brennerei. Schmitz verbrachte jedes Jahr im Spätherbst ein paar Tage in der Hütte des Schwagers, wie Lange ihm erzählt hatte. Offiziell um Holz zu hacken, doch jedes Mal kehrte er mit einem Rucksack voll erlesener Wässerchen und einem ansehnlichen Schinken nach Tübingen zurück. Das war der Grund, weshalb die andern Obdachlosen den Nazi am Ammerkanal überhaupt duldeten.

      Sie näherten sich der Hütte. Scholz stieß die Tür auf. Schmitz war nicht zu Hause. Schmutziges Geschirr auf dem Tisch, das Stück Brot daneben und der Beutel am Boden neben dem Ofen deuteten auf den Bewohner hin.

      »Weit kann er nicht sein«, murmelte Scholz mit einem Blick auf die halb volle Weinflasche, »vielleicht auf dem Abtritt.«

      Er meinte das Klohäuschen hinter dem Haus. Sven bemerkte es, als er den Kopf aus dem Fenster streckte. Tatsächlich trat ein Mann mit schütterem Haarkranz unter der Glatze auf die Wiese. Seine Füße steckten in schweren Kampfstiefeln. Er kehrte zur Hütte