Hansjörg Anderegg

Das letzte Steak


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seine Version ganz plausibel an, dachte sie, bevor sie nachhakte:

      »Die Männer, die stritten – haben Sie verstanden, worüber sie sprachen?«

      »Wie denn«, lachte er verächtlich. »Die versteht doch keine Sau, die Neger.«

      »Wie bitte?«, fuhr sie überrascht auf. »Habe ich Sie richtig verstanden? Sie glauben, es waren zwei Schwarze?«

      »Gesehen habe ich nichts, aber die hatten beide so komische Stimmen.«

      Sie beendete die Vernehmung und suchte als Erstes die Toilette auf, um sich zu modernisieren. Sven unterhielt sich mit dem Staatsanwalt, als sie hinzutrat.

      »Nun, haben wir ihn?«, fragte Richter.

      Sein zufriedenes Gesicht ließ nur eine Antwort zu, die falsche.

      »Schmitz’ Geschichte passt zu den Indizien und Zeugenaussagen«, gab sie zu bedenken.

      Sven rümpfte die Nase. »Du glaubst ihm?«

      »Außer dem kaputten Handy haben wir nichts Verdächtiges bei ihm gefunden. Außerdem gibt es keinen Hinweis auf die Tatwaffe. Sein Taschenmesser kommt nicht für die Tat infrage. Und – warum soll er den Streit zwischen zwei Schwarzen erfunden haben?«

      »Scheint mir naheliegend bei diesem Nazi«, entgegnete Sven.

      »Wir suchen also den unbekannten Dritten«, stellte Richter ärgerlich fest. »Das gefällt mir gar nicht, müssen Sie wissen, ganz und gar nicht. Ich will diese Sache so schnell wie möglich vom Tisch haben. Es gibt wahrlich anderes zu tun.«

      Kopfschüttelnd eilte er zu den Aufzügen.

      »Kannst du mir verraten, was in seinem Kopf vor sich geht?«, fragte Sven mürrisch.

      Sie zuckte die Achseln. »Vielleicht ist es der zunehmende Realitätsverlust im Alter.«

      Sven beobachtete durch den Spiegel, wie Schmitz unruhig auf und ab lief. Unvermittelt stand Chris’ Freundin Caro von der Kriminaltechnik neben ihnen.

      »Ich fürchte, er muss mal«, schmunzelte sie.

      »Den Gedanken hatte ich auch schon«, murmelte Sven.

      Caro reichte Chris ein Blatt Papier. Es war ein Fax aus Stuttgart.

      »Ich dachte, das würde euch interessieren«, bemerkte sie dazu.

      Die Techniker des Landeskriminalamts hatten Schmitz’ DNA mit den Spuren an der Leiche verglichen: Ergebnis negativ. Die Konsequenz lag auf der Hand.

      »Wir müssen ihn laufen lassen«, sagte Chris. »Ich informiere Richter.«

      »Viel Spaß«, knurrte Sven grimmig.

      Tübingen

      Er wusste jetzt, wer der Mann war, mit dem der Reporter so lang über seinen Freund gesprochen hatte. An jenem Abend hatte er ihn am Schlossberg aus den Augen verloren. Ein paar grölende Spätheimkehrer, die eigentlich noch keinen Alkohol trinken durften, hatten ihn kurz abgelenkt, da war der Alte zwischen den Häusern verschwunden. Erst am nächsten Morgen bei Tageslicht entdeckte er den Pfad zum Schloss hinauf. Oben im Schutz der Bäume beim Schlossgraben hatte er den ganzen Nachmittag den kleinen Parkplatz und die wenigen Häuser an der Straße beobachtet. Er durfte auf keinen Fall aufgeben. Der Alte war zu gefährlich. Endlich, gegen Abend, geschah es. Sein Mann tauchte oben am Ende des Fußwegs auf und überquerte die Straße. Er ging auf eine altertümliche Villa zu, leerte den Briefkasten und betrat das Haus. Seither hatte er es nicht mehr verlassen. Es war eine einsame Gegend. Neugierige Touristen verirrten sich kaum hierher, sodass er ungestört auf seinen Augenblick warten konnte. Es begann zu dunkeln. Die Vögel im Geäst über ihm gaben endlich Ruhe. Nach und nach erloschen die Lichter in den Häusern. Wer in dieser Gegend wohnte, ging früh zu Bett. Auch im Haus des Alten wurde es dunkel, bis auf einen Lichtschimmer im Garten über dem Neckar.

      Es war soweit. Geräuschlos und unsichtbar wie ein Phantom huschte er auf das Grundstück, ums Haus herum zur Terrasse und spähte ins Zimmer, aus dem der Lichtschein drang. Der alte Mann saß lesend am Fenster. Sonst befand sich an diesem Abend niemand im Haus. Das glaubte er sicher zu wissen. Selbst wenn jemand in einem der Zimmer schliefe, spielte es keine Rolle. Das Phantom würde niemanden wecken. Wie aus dem Nichts materialisierte er vor der Terrassentür und klopfte leise an die Scheibe. Der Alte reagierte genau wie erwartet. Statt zu erschrecken, blickte er ihn nur verwundert an, legte das Buch beiseite und öffnete die Tür.

      Wiesbaden

      Chris hob den Hörer ab.

      »Gute Nachrichten«, sagte Caro. »Wir konnten die Daten auf dem Chip des Handys rekonstruieren. Der Telefonspeicher ist im Eimer, aber der Chip war noch lesbar.«

      Die erste wirklich gute Nachricht in diesem Fall, der eigentlich gar nicht ihrer sein sollte.

      »Na also, schieß los.«

      »Ein wenig Begeisterung hätte ich schon erwartet«, gab Caro zu bedenken. »Die meisten Kontakte gehören zu Nummern mit der Vorwahl +264 61.«

      Chris tippte die Ziffern wie elektrisiert ins Suchfenster auf ihrem Computer.

      »Du brauchst nicht nachzusehen. Es ist die Vorwahl von Windhoek, Namibia. Der Besitzer des Handys heißt Usko Mwilima. Er ist – war – Journalist bei der Zeitung ›Namibian‹ in Windhoek. Du hast alles in der Mail.«

      »Jetzt solltest du mich sehen!«, platzte Chris heraus. »Ich glühe vor Begeisterung. Vielen Dank, ich liebe euch Laborratten.«

      Caros Mail enthielt nicht nur das Ergebnis der Analyse, sondern ein erstaunlich umfangreiches Dossier über den namibischen Journalisten, Artikel, die er veröffentlicht hatte und die Zeitung, für die er arbeitete. Sie wählte die Telefonnummer der Redaktion. Minutenlang hörte sie dem elektronisch verfremdeten Rhythm and Blues in der Warteschlaufe zu, bis eine Frauenstimme sie erlöste.

      »Ich möchte bitte mit Usko Mwilima sprechen«, sagte sie, nachdem sie sich vorgestellt hatte.

      Die Antwort kam erst nach langem Zögern: »Ich werde Sie zurückrufen.«

      Sie blieb ungeduldig sitzen, hörte mit einem Ohr zu, wie Sven immer abenteuerlichere Argumente vorbrachte, um den Preis der neuen Stoßdämpfer für seinen ruinierten Boxster zu drücken. Schließlich knallte er den Hörer auf die Gabel und holte tief Luft. Er kam nicht dazu, ihr sein Leid zu klagen, denn beide Telefone klingelten gleichzeitig. Die Frau aus der Redaktion hielt ihr Versprechen.

      »Sie möchten Mr. Mwilima sprechen?«

      »So ist es.«

      »Es tut mir leid, Kommissarin. Mr. Mwilima ist außer Haus. Worum geht es?«

      »Können Sie mir sagen, wann er zurückkehrt?«

      Die Frau zögerte. »Nein – das ist schwer zu sagen, wenn er auf Recherche unterwegs ist.«

      »Wo ist er denn unterwegs, woran arbeitet er?«

      »Das ist vertraulich. Warum interessiert sich die deutsche Polizei für ihn?«

      Die ausweichenden Antworten bekräftigten Chris’ Verdacht, die Redaktion tappte selbst im Dunkeln über Mwilimas Schicksal. Dabei würde es bleiben bis zur sicheren Identifikation des Opfers.

      »Wann hatte er zuletzt Kontakt mit der Redaktion?«

      »Vor etwa einer Woche, soweit ich mich erinnere. Hören Sie, ich muss jetzt wirklich wissen, weshalb Sie …«

      »Es geht um eine Zeugenaussage«, flunkerte sie. »Um sie zu verifizieren, müssen wir mit Mr. Mwilima sprechen. Wir haben versucht, ihn auf dem Handy zu erreichen, aber er meldet sich nicht.«

      Sie las die Handynummer von Caros Mail ab und fragte:

      »Das ist doch seine Nummer, nicht wahr?«

      »Ja!«, platzte die Frau überrascht heraus. »Woher haben Sie die?«

      Punkt eins ist immerhin geklärt, dachte sie erleichtert. Aber