Da gibt’s nur eins: abladen! In einer Hitze, die unsere Hundstagetemperaturen bei weitem übertrifft, wird das Gepäck mühsam nach vorn bis an den Rand des Wadis geschleppt. Sogar die Reserveräder rollen wir hin und schleppen den toten Waran hinüber.
Wird es jetzt gehen? Der Motor springt an, aha, die Räder drehen sich – aber am Fleck! Keinen Zentimeter rührt sich der Wagen von der Stelle. Wir versuchen, Gummimatten unter die Hinterräder zu legen, aber es nützt nichts. Fast senkrecht brennt die Sonne auf uns herunter, zwei Stunden sind schon verloren und En Nedschef ist noch weit.
Unbemerkt hat sich der Führer einer Karawane genähert. Wir schauen erst auf, als er knapp vor uns steht, und begreifen nicht, was er sagen und uns bedeuten will. Immer wieder weist er heftig gestikulierend abwechselnd auf das Auto und dann längs des Wadis in östlicher Richtung. Nun probieren wir es unsererseits mit der Zeichensprache. »Helft uns doch!«, bitten wir mit der ganzen Beredsamkeit unserer Hände und Mimik und schon graben kräftige braune Arme im Sand und legen den Wagen frei. Zum ungeschriebenen Gesetz der Wüste gehört eine unbedingte Kameradschaftlichkeit und Hilfsbereitschaft, die sich auch hier wieder einmal bewährt. Binnen kurzem werden wir flott und stehen bald auf festem Boden. Wieder deutet der Anführer in die gleiche Richtung wie vorhin und dann auf das Auto. Sollten wir uns ganz verfahren haben?
»En Nedschef?«, fragte ich und zeigte ebenfalls in die angegebene Richtung.
Der Araber nickte eifrig mit dem Kopf, was so viel wie »Nein« bedeutet. Ein Glück, dass wir mit diesem orientalischen Brauch vertraut sind. Sonst wären wir sicher am Wadi entlanggefahren, um mit leeren Benzintanks irgendwo stecken zu bleiben. Vielleicht hätte man uns nach Tagen gefunden, vielleicht auch nicht – was kann doch alles von einem missverstandenen Kopfnicken abhängen!
Die Toten suchen Allahs Nähe
Nach En Nedschef • Gräber, soweit das Auge reicht • Einbalsamierte und nasse
Leichen • Vertraute Klänge in der Wüste • Wieder in Bagdad • Schwimmen im
Tigris ist gefährlich • Zehn Tage Krankenhaus retten uns das Leben • Es war
Kismet • Über die 3.000 m hohen Pässe Persiens • Das persische Schilda
Gegensätzliche Dinge bezeichnen so einen Weg durch die Wüste. Das Skelett eines Kamels – ebenso häufig heutzutage, aber auch das Wrack eines alten Chevrolets. Abgenagte Knochen und leere Benzinkanister. Wann wird man nur mehr Kotflügel, Wagenkästen und Räder längs einer Karawanenstraße finden? Sauber sind kleine viereckige Plätze da und dort mit Steinen abgegrenzt; wenn mohammedanische Reisende zur Stunde des Gebets vorbeikommen, nehmen sie ihren Teppich vom Kamel oder aus dem Auto, breiten ihn zwischen den Steinen aus und verrichten ihre Andacht.
Wird so für die Bedürfnisse der Seele gesorgt, so gibt es auch ähnliche abgegrenzte Stellen für die Bedürfnisse des Lebens. Entnimmt man bei uns einem hölzernen Kästchen zusammengefaltetes Papier, so greift man hier nach einem der runden, kleinen, glatten Steine, die säuberlich innerhalb der Abgrenzung zu zwei Pyramiden geschichtet sind. Man muss nur darauf achten, keinen der Steine zu erwischen, die an der Oberfläche liegen und der vollen Sonnenbestrahlung ausgesetzt sind. Lästige Verbrennungen wären die Folge. Nach Gebrauch legt man ihn auf die andere Pyramide zurück (welche die Pyramide der gebrauchten Steine ist, lässt sich meist erkennen) und nach wenigen Tagen haben Sonne und Wind so gründlich gearbeitet, dass er wieder glatt und sauber ist wie zuvor. Dann kann die hoch angewachsene Pyramide wieder langsam abgetragen werden, auf die andere Seite hinüber, und es bleibt den praktischen Wüstenbewohnern erspart, an das Nachfüllen hölzerner Kästchen zu denken.
Kein Zweifel mehr, dass wir auf dem rechten Weg nach En Nedschef sind. Immer wieder begegnen wir Leichenkarawanen, die in Asche einbalsamierte Mumien nach dem heiligen Ort bringen. Monatelang sind sie oft unterwegs, um Tote der schiitischen Sekte, die bei Lebzeiten reich genug waren, sich diesen Luxus zu leisten, nach diesem ersehnten Ziel zu schaffen; sie kommen aus Persien, Usbekistan, Ferghana, Afghanistan. Wer aber den althergebrachten Transportmitteln selbst im Tode untreu wird, der lässt seinen Sarg in ein Auto, ja selbst in ein Flugzeug verladen, das dann mitten in der Wüste, in der Nähe En Nedschefs, mit seiner seltsamen Fracht zu Boden geht. Beim Inhalt dieser Särge handelt es sich allerdings meist um nicht einbalsamierte, sogenannte »nasse« Leichen, deren Transport im Grunde genommen überhaupt verboten ist. Aber darum kümmert sich niemand, man trachtet begreiflicherweise nur, ihn so rasch als möglich ans Ziel zu bringen.
Noch zittert die Kuppel der Moschee von En Nedschef in weiter Ferne im Sonnenglast, aber schon fahren wir zwischen Tausenden und Tausenden von Gräbern hindurch, ein unabsehbarer Friedhof, der in zwei Kilometer breitem Gürtel die Stadt umsäumt. Völlig ungeordnet liegen flache Grabsteine eng nebeneinander, dazwischen Mausoleen aus Ziegeln oder gebrannten Kacheln in Form einer Miniatur-Moschee. Armselige Ruhestätten, reichere, prunkvolle, darin ein Meer von Toten, alle gleich in der Hoffnung, an diesem Ort das Heil zu finden.
Glühendrot, keine Kugel, sondern ein seltsam abgeplatteter Ball, versinkt die Sonne eben am Horizont, als wir vor dem Nordtor von En Nedschef halten. Es ist zu eng, um dem Wagen Einlass zu gewähren, und ein Polizist in sauberer Khakiuniform bringt uns zum Polizeigebäude außerhalb der Stadtmauern. Wie eine kleine Festung liegt es mitten zwischen den Gräbern. Der junge Kommandant ist stolz auf sein Englisch, stolz auf den Telegraphenapparat, der ihm unsere Ankunft bereits gemeldet hat, stolz auf das Festmahl, das er uns zu geben die Absicht hat. Wie freut er sich aber, wie freuen sich seine Soldaten, als wir den erlegten Waran dazu beisteuern, der in diesen Breiten als ganz besonderer Leckerbissen gilt.
Während wir so im Hof unter freiem Himmel tafeln, hören wir hinter uns militärischen Marschtritt und dann ein lautes »Habt Acht!«
Haben wir recht gehört?
Eine Musikkapelle ist aufmarschiert. Der Kommandant der Festung gibt ein Zeichen und die Kapelle schmettert los. Es war nicht leicht zu erraten und manche arabische Dissonanz mischte sich hinein, aber es war »Fest steht die Wacht am Rhein …« Wir waren sehr überrascht und der Kapellmeister grinste von einem Ohr zum anderen. Dann spielte er »Muss i denn, muss i denn zum Städtele hinaus …«
Wir sangen mit und die allgemeine Begeisterung kannte keine Grenzen. Der Herr Chefmusikus hatte bei den Türken gedient, diese wieder hatten im Ersten Weltkrieg, offenbar auch auf musikalischem Gebiet, deutsche Instruktoren gehabt und so waren die vertrauten Klänge bis in die arabische Wüste vorgedrungen. Wir versuchten uns für diesen Gruß aus der Heimat mit dem jüngsten heimatlichen Schlager: »Wir Kameraden der Berge« zu revanchieren. Ob es gut war, weiß ich nicht, einen Beifall hatten wir jedenfalls wie zwei Operntenöre.
Inzwischen ist längst die Nacht hereingebrochen, eine jener tief blauen, sternenübersäten Orientnächte, die flimmernd die dunkle Silhouette der Moscheenkuppel und der vier schlanken, hohen Minarette umschließen. Unter dem Sternenzelt, mitten unter den Soldaten, betten wir uns im Hof der Polizeistation zur Ruhe. Das ist gut so, denn an keinem anderen Ort in dem heiligen En Nedschef wäre es ratsam …
Unter polizeilicher Bedeckung wandern wir am nächsten Tag in die Stadt vor das goldbeschlagene Tor der Moschee des Kalifen Ali. Aber unseren Begleitern ist erst wohl zumute, als wir mit ihnen in den Basaren untertauchen. Zu drohend waren die Mienen der Priester, die das Tor der Moschee bewachten, und es ist gar kein Zweifel, dass man jeden Versuch, dort einzudringen, schmerzlich büßen müsste. Nur weil sie photographische Aufnahmen machten, sind Europäer hier sogar ums Leben gekommen.
Wir sind sehr erfreut, dass eine Karawane, die draußen vor den Toren der Stadt lagert, keine Bedenken trägt, sich im Bild verewigen zu lassen. Bei den jungen unverschleierten Mädchen siegt die Neugier über die Scheu. Ihr Gang ist ein schönes, wiegendes Schreiten und sie sehen prachtvoll aus mit ihren dunklen, brennenden Augen und fein geschnittenen Zügen, mit goldenen Ohrringen und einer goldgefassten Perle im Nasenflügel als einzigem Schmuck. Abstoßend hässlich allerdings sind die alten Beduinenfrauen und sie wehren sich (mit Recht) kreischend gegen jeden Versuch, sie zu photographieren.
Noch wird ringsum über Feuern aus Kamelmist gekocht und auf flachen, erhitzten Steinen Brot gebacken. Noch sind die Lasten und Sättel um