Adharanand Finn

Ekiden


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dass ich 39 Jahre alt sei und er 35. Der Mann, der die Frage gestellt hat, sagt etwas darauf, worauf Max etwas erwidert, und alle zu lachen beginnen.

      „Was hat er gesagt?“, frage ich Max.

      „Er hat gesagt, ich sehe viel jünger aus“, antwortet Max lachend.

      Ich bekomme keine Komplimente, und so gehen wir hinüber zum Start, wo wir uns schnell aufstellen und alle ihre Uhren einstellen. Und nach noch einmal Durchzählen und ein paar aufmunternden Worten geht es los. Ich suche mir einen Platz in der Mitte der Gruppe. Vorne an der Spitze läuft der Kapitän des Teams. Es ist schon eine Weile her, dass ich mit höherem Tempo in einer Gruppe gelaufen bin, und es fühlt sich gut an, zurück in einem Rudel mit anderen zu sein und das rhythmische Geräusch unserer Schritte auf dem Asphalt zu hören. Alle laufen ohne Anstrengung, doch keiner spricht auch nur ein Wort. Die Herausforderung kommt erst. Jetzt heißt es erst einmal abwarten und sich in Geduld üben.

      Die Straße schlängelt sich um die Rückseite der Universität, vorbei an Tennisplätzen und ein paar größeren Parkplätzen. Dann erreichen wir einen am Boden markierten Punkt, drehen um und laufen wieder zurück.

      Max kommt uns entgegen. Er musste abreißen lassen, doch er gibt noch immer alles. In seinem Gesicht sieht man förmlich die Anstrengung, und er ignoriert uns, als wir vorüberlaufen. Als wir wieder am Start ankommen und auf die zweite Runde gehen, ruft uns ein Team an Betreuern und Trainern unsere Zeiten zu. Einer von ihnen, der Teamtrainer, macht Fotos mit einem iPad.

      Und so geht es auf die zweite Runde. Erst jetzt registriere ich, dass es beim Hinlaufen leicht bergauf geht. Inzwischen macht sich die schwüle Nacht, die sich immer mehr über mich legt und mir die Energie aus den Beinen saugt, immer mehr bemerkbar. Ich merke, wie ich langsam ans Ende des Feldes zurückfalle. Bergab, am Rückweg zum Start, bemühe ich mich, an der Gruppe dranzubleiben, doch ich spüre, wie ich mich anstrengen muss.

      Als wir auf die dritte Runde gehen, falle ich zusammen mit einem anderen Läufer zurück. Ich blicke zu ihm hinüber. Er sieht mich an. Sein Kopf ist leicht zur Seite geneigt, und er sieht nervös aus.

      Mein Vorteil ist, dass ich jederzeit stehen bleiben kann. Die anderen warten nur darauf, bis es so weit ist. Ich bin kein Läufer. Ich bin ein Autor. Ich mache das hier nur zum Spaß. Dieser Gedanke ist in solchen Momenten, wenn es hart auf hart geht und meine Beine darauf drängen, langsamer zu werden, immer ein Trost. Andererseits schwingt aber auch eine gewisse Enttäuschung mit. In meiner eigenen Vorstellung bin ich ein Läufer. Allerdings nur so lange, bis ich es mit richtigen Läufern zu tun bekomme. Diese Erfahrung kann dann ziemlich demotivierend sein.

      Doch der Bursche neben mir läuft um seine Zukunft, um seinen Platz im Team. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass er seinen Platz an dieser Uni aufgrund seiner läuferischen Leistung in der Schule bekommen hat. Vielleicht hofft er sogar, Profi zu werden. Vor dem Training hat mir einer der anderen Studenten erzählt, dass die meisten hier im Team hoffen, nach der Uni einmal Profi zu werden. Das ist der Weg, den sie verfolgen. Doch nicht alle würden es auch schaffen.

      Mein nervöser Begleiter und ich absolvieren zusammen die dritte Runde, bevor ich erschöpft aufgebe. Er läuft tapfer weiter und macht sich auf die vierte Runde. Als sich das Tempo erhöht, beginnen nun auch andere Läufer am Ende der Gruppe zurückzufallen. Noch immer führt der Teamkapitän das Feld an.

      Ich blicke auf meine Uhr. Ich bin 7,5 Kilometer in 30 Minuten gelaufen. Ich schwöre mir, dass ich das nächste Mal zehn Kilometer durchhalten werde.

      Während wir auf die Läufer warten, fragt mich Kenji, ob die Kenianer auch im Gänsemarsch laufen.

      „Nicht wirklich“, erkläre ich ihm.

      Anstatt auf einem kurzen Straßenabschnitt auf und ab zu laufen, laufen die Kenianer kilometerlang auf staubigen, unbefestigten Wegen. Sie laufen eigentlich so gut wie nie auf Asphalt, wenn sie es vermeiden können.

      Es ist ein Thema, auf das Kenji und ich wieder zu sprechen kommen werden, doch für den Augenblick nicke ich nur und gebe ihm damit zu verstehen, dass ich seiner Logik folgen kann, auch wenn ich nicht ganz damit einverstanden bin.

      Bevor wir Kenji an diesem Abend verlassen, sagt er uns, dass sie nächste Woche auf ein einwöchiges Trainingslager in den Bergen fahren und wir herzlich willkommen seien, uns ihnen anzuschließen. Ich akzeptiere diese Einladung sofort. Es scheint, als hätte ich doch noch ein richtiges Ekiden-Team gefunden, dem ich beitreten kann.

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      Während der Hakone der Höhepunkt der universitären Ekiden-Saison der Männer ist, gibt es im Vorfeld noch zwei andere bedeutende Bewerbe. Den Izumo Ekiden und den landesweiten All-Japan National Ekiden. An diesen Wettkämpfen nehmen Teams aus allen Teilen des Landes teil, ganz im Gegensatz zum Hakone, der nur auf Teams aus der Region Kanto beschränkt ist. Für die Mannschaften aus dem restlichen Japan bedeutet das, dass sie zwei Gelegenheiten haben, sich selbst ins Rampenlicht zu stellen, wenn sie gegen die viel prestigeträchtigeren Hakone-Teams antreten und versuchen, sie zu besiegen.

      Kenjis Job ist es also, das Herrenteam der Ritsumeikan so gut wie möglich auf diese beiden Rennen vorzubereiten und zu zeigen, dass es auch ein Leben abseits des Hakone gibt. Um sein Team für diese Aufgabe in Form zu bringen, fährt er mit seinen Leuten für ein einwöchiges Trainingscamp in die Berge. Max und ich sind mit von der Partie und stoßen am dritten Tag nach einer sechsstündigen Fahrt über kurvige Autobahnen von Kyoto nach Nigata zu ihnen. Hier oben ist die Luft nicht mehr so feucht. Wir befinden uns nun auf etwa 900 Höhenmetern, nicht besonders hoch, doch genug, damit die Lungen etwas mehr arbeiten müssen.

      Wir kommen am Nachmittag an und gesellen uns zu den anderen auf der Laufbahn. Es gibt auch einige andere Teams, die hier trainieren. Die Laufbahn hat nur drei Bahnen, und weit und breit ist nichts von Wurfkäfigen oder Sandkästen für den Weitsprung zu sehen – das Ganze ist einzig und allein für die Langstreckenläufer da. In den Sommermonaten wird das gesamte Areal für Ekiden-Teams hergerichtet, mit Laufbahnen und Trails, so weit das Auge reicht. Da es im Winter sehr viel schneit und die Gegend oft unter einer dicken Schneedecke begraben ist, leben nur sehr wenige Menschen hier. Alles erscheint ziemlich verlassen, abgesehen von den Läufern. Es ist ein Paradies für Laufsportler.

      Das Ritsumeikan-Team hat bereits einen Morgenlauf hinter sich und ist nun beim „freien Laufen“. Das heißt, dass jeder Läufer sein eigenes Tempo, seine eigene Route und Distanz wählen darf. Kenji weist den Teamkapitän an, uns auf einen Lauf mitzunehmen.

      Obwohl sich die Berge hier über viele Kilometer erstrecken, laufen wir einen markierten kurzen, zickzackförmigen Pfad im Wald neben der Laufbahn entlang. Mit den vielen Kurven ist er etwa 800 Meter lang, und so drehen wir eine Runde nach der anderen, bis der Kapitän entscheidet, dass es reicht. Die anderen Läufer tun es ihm gleich. Wie Züge einer kleinen Modelleisenbahn, die vor- und zurückfahren.

      Ich frage den Teamkapitän, ob er auch professioneller Ekiden-Läufer werden will, wenn er mit der Uni fertig ist. Soweit ich es beurteilen kann, ist eine Karriere im Laufsport eine der Triebfedern für das viele Training. Im Vereinigten Königreich sind die Aussichten, Profiläufer zu werden, so gering, dass die meisten Leute den Gedanken daran aufgeben, wenn sie auf die Uni gehen. Wenn du nicht gerade Mo Farah heißt, dann bedeutet eine Karriere als professioneller Langstreckenläufer, dass du, wenn du Glück hast, ein wenig Sponsorengeld einer Lotteriegesellschaft und ein paar Ausrüstungsgegenstände von einem Sponsor zur Verfügung gestellt bekommst, sowie den Hungerlohn, den du als Preis- und Antrittsgeld bei Rennen erhältst. Da aber die Kenianer und Äthiopier fast alle Straßenrennen auf der Welt gewinnen, bleiben für die meisten britischen Läufer gerade einmal ein paar Hundert Pfund übrig – und das nur hin und wieder. In Japan können sogar die langsamsten Profis zumindest so viel wie ein Büroangestellter verdienen, während der finanzielle