Michael Hommel

Unternehmensbewertung case by case


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Rentenformel mit 500 000 Euro (= 25 000 Euro / 0,05) berechnet (vgl. Fall 2). Die Analyse der einzelnen Bilanzpositionen führt zu folgendem Ergebnis:

Kundenstamm:Ohne den Kundenstamm lassen sich die Cashflows nicht in der kalkulierten Größenordnung erzielen. Damit spiegelt sich die Ertragskraft des Kundenstamms bereits im Ertragswert vollständig wider. Seine Erhöhung um den Marktwert des Kundenstamms (80 000 Euro) würde zu einer unzulässigen Doppelberücksichtigung des mit ihr verbundenen Nettocashflow führen.
Software, Lizenzen:Auch die Software ist zur Erzielung der Cashflows notwendig. Tippe kann sie nicht verkaufen, ohne seine Leistungsfähigkeit zu gefährden. Steigende Marktpreise erwecken häufig den fatalen Eindruck, dass das Unternehmen wertvoller geworden ist. Oft ist jedoch das Gegenteil der Fall, denn bei abnutzbaren Vermögensgegenständen indizieren höhere Marktpreise höhere zukünftige Ersatzinvestitionen und damit einhergehende geringere Nettocashflows.
Grundstück Neudorf:Das Grundstück wird für die operative Geschäftstätigkeit nicht benötigt. Tippe kann es verkaufen und erzielt dann einen Nettoliquidationswert von 248 000 Euro (= 250 000 Euro Verkaufspreis abzgl. Verkaufsspesen von 2 000 Euro). Allerdings muss der Bewerter dann die Berechnung des Ertragswerts korrigieren, denn das Grundstück trug in der Vergangenheit mit 5 000 Euro zum jährlichen Nettocashflow bei (= 8 000 Euro Mieteinzahlungen abzgl. 3 000 Euro Grundstücksaufwendungen). Veräußert Tippe das Grundstück, so verliert er damit einen Anteil am Ertragswert von 100 000 Euro (= 5 000 Euro / 0,05). Der Verkauf des Grundstücks ist aber lohnend, da der Nettoliquidationswert mit 248 000 Euro über dem Rückgang des Ertragswerts liegt. Deshalb ist der Ertragswert von 500 000 Euro um 100 000 Euro zu vermindern und um 248 000 Euro zu erhöhen.
Betriebsausstattung:Die Betriebsausstattung gehört zum betriebs- oder genauer: cashflownotwendigen Vermögen und ist gemäß Sachverhalt richtig dimensioniert. Regelmäßige Ersatzinvestitionen sind in der Ertragswertberechnung berücksichtigt. Würde Tippe z.B. den Pkw für seinen aktuellen Marktwert von 50 000 Euro verkaufen, so könnte er seine Mandanten nicht mehr aufsuchen. Er müsste sich dann entweder einen neuen Pkw (möglicherweise für ebenfalls 50 000 Euro) kaufen, oder er muss zukünftig mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder Taxis fahren. Die damit verbundenen permanenten (Mehr-)Ausgaben wären zu diskontieren und würden in Höhe ihres aktuellen Barwerts den um den Verkaufserlös des Pkw erhöhten Ertragswert wieder mindern. Geht der Bewerter also davon aus, dass der Eigenbetrieb des Pkw günstiger ist als die Alternativen (öffentliche Verkehrsmittel/Taxi) und ist der Pkw nicht überdimensioniert, so bleibt kein Raum, seinen Marktwert dem Ertragswert hinzuzurechnen.
Forderungen aus LuL:Die Forderungen aus Lieferungen und Leistungen gehören zu dem betriebsnotwendigen Working Capital. Sie lassen sich nicht vermeiden und fallen im Rahmen des betriebsgewöhnlichen Geschäfts an.
Bank und Kasse:Der Mindestbestand an Bank- und Kassenguthaben wird benötigt, um gegen außerplanmäßige Zahlungen und die damit verbundenen Zahlungsengpässe gewappnet zu sein. Allerdings genügt Tippe ein Bank- und Kassenbestand von 2 000 Euro. Er kann also den Überbestand von 13 000 Euro ausschütten, ohne die betriebswirtschaftliche Funktion, die der Kassen- und Bankbestand erfüllt (Sicherung der Liquidität), zu gefährden. Deshalb stellt der Bank- und Kassenbestand i.H.v. 13 000 Euro nicht zur
Erzielung des Cashflow notwendiges Vermögen dar und ist dem Ertragswert hinzuzurechnen.
Eigenkapital:Das Eigenkapital ist für die Unternehmensbewertung irrelevant, denn es ist eine reine Rechengröße. Mit dem Ertragswert bestimmt der Bewerter den Zeitwert des Eigenkapitals durch Gesamtbewertung. Deshalb darf das Eigenkapital nicht noch einmal zusätzlich ertragswerterhöhend berücksichtigt werden.
Jahresüberschuss:Der Jahresüberschuss hat keinen Einfluss auf die Höhe des durch Gesamtbewertung errechneten Unternehmenswerts. Diskontiert werden nicht Erträge/Aufwendungen, sondern Nettocashflows.Der Jahresüberschuss wäre allerdings – aus Sicht des Käufers – bewertungsrelevant, wenn im Verkaufsvertrag vereinbart wurde, dass der Verkäufer den Jahresüberschuss noch behalten und an sich auszahlen darf. Entnimmt aber Tippe vor dem Verkauf der Kanzlei den Jahresüberschuss aus dem Unternehmen, so fällt der Bank- und Kassenbestand auf –10 000 Euro. Der Käufer (Neumeier) müsste nicht nur den Fehlbetrag unverzüglich ausgleichen, er würde auch den berechneten Überbestand von 13 000 Euro verlieren. Deshalb stellt in diesem (Ausnahme-)Fall der Jahresüberschuss für den Käufer eine Verbindlichkeit dar, die zu einem einmaligen Cashflow-Abfluss führt, so dass er in voller Höhe den auf Basis der ewigen Rente ermittelten Ertragswert verringert.
Rückstellung:Die Schadenersatzrückstellung ist kein Bestandteil des Working Capital, sondern das Resultat einmaliger negativer Umstände. Ihre Höhe variiert nicht mit dem Umsatz. Wenn Tippe diese Verpflichtung erfüllt hat, wird die Bilanzposition verschwinden. Die in der Rückstellung gebundenen finanziellen Mittel führen zu einer einmaligen finanziellen Belastung (Cashflow-Minderung) des Unternehmens. Hat der Bewerter dies bisher fälschlicherweise in der Plan-Cashflowrechnung nicht als einmaligen Vorgang berücksichtigt, da er den Ertragswert auf Basis der ewigen Rente berechnete, muss die Verpflichtung in Höhe des Barwerts ihres voraussichtlichen Erfüllungsbetrags den Ertragswert mindern.
Verbindlichkeiten LuL:Die Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen gehören als Bestandteil des Working Capital zum Vermögen, das zur Erzielung des Cashflow notwendig ist, und belasten den Nettocashflow des Unternehmers in absehba-
rer Zeit nicht, denn es ist in einem Umfang vorhanden, der geschäftstypisch ist. Abgehende Verbindlichkeiten werden durch neu hinzukommende revolvierend ersetzt, so dass per Summe keine Cashflow-Belastung eintritt.
Bankdarlehen:Die Rückzahlung des Bankdarlehens hat zwar einmaligen Auszahlungscharakter. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass Tippe das Bankdarlehen durch ein neues Darlehen in gleicher Höhe ersetzen kann. Der Cash-Abfluss aus der Darlehenstilgung wird dann aber exakt durch den Cash-Zufluss aus der Neuaufnahme kompensiert. Ist keine Neuaufnahme eines Folgedarlehens geplant, so belastet die Darlehenstilgung als einmaliger Vorgang den Nettocashflow des Unternehmens und ist wertmindernd zu berücksichtigen. Gleichzeitig entfallen dann aber für die Zukunft die Darlehenszinsen, so dass sich durch die Zinsersparnis der Ertragswert des Unternehmens erhöht. Ist das Darlehen risikogerecht verzinst, so entspricht unter den restriktiven Annahmen des Sachverhalts der mit der Darlehenstilgung verbundene Rückgang des Unternehmenswerts exakt der mit der dauerhaften Zinsersparnis verbundenen Ertragswertsteigerung.

       Weiterführende Literatur

Zwirner, Christian/Zimny, Gregor,Relevanz von Einzelbewertungsverfahren (Substanz-/Liquidationswert), in: Karl Petersen/Christian Zwirner (Hrsg.), Handbuch Unternehmensbewertung, Köln 2017, S. 1033–1051
Sieben, Günter,Neue Aspekte der Unternehmensbewertung, ZfB, 33. Jg. (1963), S. 37–46
ders.,Wesen, Ermittlung und Funktionen des Substanzwertes als „vorgeleistete Ausgaben“, in: Walther Busse von Colbe/Adolf G. Coenenberg (Hrsg.), Unternehmensakquisition und Unternehmensbewertung, Stuttgart 1992, S. 67–88
Sieben, Günter/Maltry, Helmut,Der Substanzwert der Unternehmung, in: Volker H. Peemöller (Hrsg.), Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, 7. Aufl., Herne 2019, S. 815–839

      49 Vgl. Zwirner/Zimny, Relevanz von Einzelbewertungsverfahren (Substanz-/Liquidationswert), in: Petersen/Zwirner (Hrsg.), Handbuch Unternehmensbewertung (2017), S. 1033 (S. 1038–1039). 50 Sieben, Neue Aspekte der Unternehmensbewertung, ZfB 1963, S. 37 (S. 43). Vgl. ebenfalls Sieben/Maltry, Der Substanzwert der Unternehmung, in: Peemöller (Hrsg.), Praxishandbuch der Unternehmensbewertung (2019), S. 815 (S. 817–818). 51 Sieben, Wesen, Ermittlung und Funktionen des Substanzwertes als „vorgeleistete Ausgaben“, in: Busse von Colbe/Coenenberg (Hrsg.), Unternehmensakquisition und Unternehmensbewertung (1992), S. 67 (S. 68–69).

      Fall 4: Objektivierter Unternehmenswert gemäß IDW S 1

       Sachverhalt:

      Heinrich Tippe verhandelt mit Carlo Neumeier über den Verkauf seiner Steuerberaterkanzlei. Die Rahmenbedingungen entnehmen Sie bitte aus dem vorhergehenden