Michael Hommel

Unternehmensbewertung case by case


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acht Kinder, vierzehn Enkel und zwanzig Urenkel beteiligt, und Neumeier möchte die Kanzlei nicht allein erwerben, sondern gemeinsam mit zehn Freunden und Bekannten.

       Aufgabenstellung:

      Welche Probleme ergeben sich bei der Wertfindung, und welche Lösung hält IDW S 1 für diesen Fall bereit? Wie hoch ist der objektivierte Unternehmenswert der Kanzlei „Tippe“?

       I. Erläuterung: Objektivierungsdominanz des IDW S 1

      

      Die Notwendigkeit, ein neutrales Gutachten zu erstellen, kann sich u.a. in folgenden Situationen ergeben:

       – Die Unternehmensbewertung dient dazu, den Fremdkapitalgebern (z.B. Banken) eine grobe Einschätzung über den Marktwert des Unternehmens zu geben, den dieses im Verwertungsfall besitzt. Hier können die individuellen Besonderheiten des Käufers nicht eingepreist werden, weil dieser noch gar nicht existiert, und die subjektiven Tatbestände des Verkäufers sind irrelevant, wenn er aus einer Notsituation heraus verkaufen muss, um seine Schulden zu begleichen.

       – Die Unternehmensbewertung dient der externen Rechnungslegung (z.B. dem Werthaltigkeitstest von immateriellen Vermögenswerten im Rahmen der IFRS-Rechnungslegung), so dass der Unternehmens(teil)wert möglichst kostengünstig und transparent ermittelt werden muss.

       – Die Unternehmensbewertung dient dazu, einen ersten Anhaltspunkt über den möglichen Wert des Unternehmens zu erlangen, damit der Eigentümer eine erste (grobe) Vermutung über dessen Wert erhält, um sich danach zu entscheiden, ob ein Verkauf (und die Durchführung eines teuren Wertgutachtens) für ihn überhaupt in Frage kommt.

       – Der Hauptaktionär hält mehr als 95 % der Aktien einer AG und möchte die zahlreichen Minderheitsaktionäre (ggf. gegen ihren Willen) abfinden und aus dem Unternehmen drängen (squeeze out gemäß § 327a AktG). Der beauftragte Unternehmensbewerter soll einen fairen Abfindungspreis bestimmen, kennt aber nicht die individuellen Besonderheiten jedes einzelnen Kleinaktionärs.

       – Die Verfahrensbeteiligten wünschen ausdrücklich (z.B. aus Kostengründen) eine vereinfachte Unternehmensbewertung und erwarten, dass die Inputfaktoren der Bewertung möglichst justiziabel und frei von Beurteilungen seitens des Käufers und/oder Verkäufers sind. Oder es sind so viele Käufer und/oder Verkäufer an der Unternehmenstransaktion beteiligt, dass die Kosten einer individuellen Unternehmensbewertung in keinem Verhältnis mehr zu der dadurch erzielbaren Mehrinformation stehen.

       – Die Cashflows werden auf Basis der aktuellen Unternehmenssituation ermittelt. Es wird unterstellt, dass der Verkäufer bereits die optimale Unternehmensstrategie gewählt hat. Mögliche Strategieänderungen sind irrelevant, wenn sie am Bilanzstichtag noch keinen objektivierten Niederschlag (z.B. Kaufverträge über andere Unternehmen oder Kündigungen von Mietverträgen) gefunden haben.57

       – Auch höchst persönliche Vorteile, die in der Person des bisherigen Unternehmenseigentümers begründet liegen, sind irrelevant. So ist es z.B. denkbar, dass der Verkäufer ein hohes Ansehen in der Gemeinde besitzt und eine Vorzugsbehandlung bei den örtlichen Banken (z.B. niedrige Kreditzinsen) erhält. Da dieser personenbezogene Vorteil nicht „losgelöst vom bisherigen Eigentümer [...] realisiert werden“58 kann, ist er bei der Ermittlung des objektivierten Unternehmenswerts zu eliminieren.

       – Echte Synergieeffekte sind unbeachtlich.59 Sie entstehen dadurch, dass der (potenzielle) Erwerber des Unternehmens dieses so geschickt mit seinem Rest-Vermögen verknüpfen kann, dass dadurch ein Mehrwert durch Kostenersparnisse und/oder Erlössteigerungen entsteht („1 + 1 = 3“60-Effekt). Typische Synergien bestehen z.B. darin, dass der Erwerber durch den Hinzuerwerb seine Marktmacht stärken und die Einkaufspreise für Waren drücken kann, die das erworbene und die bereits in seinem Eigentum befindlichen Unternehmen zur Produktion benötigen. Diese Synergieeffekte stehen dem durchschnittlichen Marktteilnehmer nicht offen. Sie sind untypisch.

       – Unechte Synergieeffekte sind zu berücksichtigen. Diese entstehen auf der Erwerberseite dadurch, dass der Erwerber bestimmte (offensichtliche) Fehlallokationen im Unternehmen entdeckt und behebt – sofern sie auch von den meisten anderen Marktteilnehmern aufgespürt und beseitigt würden. Ein Beispiel für solche unechten Synergien wäre das unorganisierte Zahlungswesen des Unternehmens, das dazu führt, dass zahlreiche Kundenrechnungen verschlampt und nicht nachverfolgt und Lieferantenrechnungen nur mit erhöhten Säumnis- und Verspätungszuschlägen bezahlt werden. IDW S 1 i.d.F. 2008 fordert jedoch objektivierungsverschärfend, dass unechte Synergien nur dann zu berücksichtigen sind, wenn „die Synergie stiftenden Maßnahmen bereits eingeleitet oder im Unternehmenskonzept dokumentiert sind.“61

       – Hinsichtlich der besten Alternativrendite geht das IDW davon aus, dass die Mehrheit der Staatsbürger Geld gespart hat und nicht verschuldet ist. Kommt es deshalb zur Unternehmenstransaktion, so wird der Käufer den Kaufpreis von seinem Ersparten nehmen und der Verkäufer den bezogenen Kaufpreis anlegen. Hinsichtlich der (aufzulösenden bzw. vorzunehmenden) Geldanlage ist davon auszugehen, dass die Mehrheit der Sparer ihr Geld in einer Mischung aus festverzinslichen Wertpapieren und Aktien investiert. Es ist deshalb eine Mischrendite heranzuziehen. Zwar spricht IDW S 1 i.d.F. 2008 von der Alternativrendite als der „Rendite einer Anlage in Unternehmensanteile“62, zugleich soll zur Ermittlung dieser Rendite jedoch das Capital Asset Pricing Model (CAPM) herangezogen werden,63 das letztlich auf der Annahme