Julia Buchebner

Innen wachsen – außen wirken


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nun aber wieder alles daransetzen, weitermachen zu können wie zuvor, war diese Erholung nur eine kurze Verschnaufpause für Mutter Erde. Verglichen mit dem menschlichen Burn-out war es wohl wie ein Wochenendtrip in den Wald, nach dem man am Montag pünktlich um 7 Uhr wieder zur Tat schreitet – um sich selbst und dem Planeten den Rest zu geben.

       Der kollektive Pillenwurf

      Nicht nur bei psychischen Symptomen wie dem Burn-out gibt es Analogien zwischen dem planetaren Zustand und uns selbst. Auch beim Umgang mit unserem Körper können wir das Ausmaß unseres Irrwegs gut sehen. Ein wacher Mensch weiß, dass ein gesunder Körper nur dann ein solcher bleibt, wenn man ihn täglich pflegt. Zu dieser Pflege gehören neben einer guten Work-Life-Balance und einer ausgewogenen Ernährung vor allem auch regelmäßige Bewegung, Sport, Meditation oder andere körperliche Betätigungen. Und da der Gesundheitsmarkt gerade Hochkonjunktur hat, hat diese Entwicklung schon zahlreiche Köpfe unserer geliebten Spezies erreicht.

      Gleichzeitig gibt es immer noch zu viele von uns, die von all dem entweder nicht viel halten oder aber noch nichts mitbekommen haben. Sozialisiert nach einem veralteten Weltbild, behandeln sie ihren Körper so, als wäre er eine Maschine. Brummt das Köpfchen, gibt’s Tablette Nummer eins, bei Magenbeschwerden die zwei, im Grippefall dann Pille Nummer drei, Tablette Nummer vier hilft bei Mangel an Vitamin D und die fünfte lässt die Muskeln schneller wachsen. Dem nicht genug, wird bei Beschwerden aller Art zur Sicherheit noch eine Reihe Antibiotika nachgelegt, frei nach dem Motto: »Hilft es nicht, dann schadet’s auch nicht.«

      Dass ein gesunder Mensch bei entsprechender Lebensführung über weite Lebensstrecken fast zur Gänze ohne Medikamente auskommen kann, ist vielen nicht einmal mehr bewusst. Zu sehr hat sich der Griff zur Pillenschachtel in unser Bewusstsein eingebrannt. So leben viele von uns ihr Leben unachtsam vor sich hin – im guten Glauben, dass es für alles, was kommt, die passende Tablette geben wird. Und wenn nicht, dann setzt sich dieses Spielchen im Krankenhaus eben fort. Bis man irgendwann doch mal in die Grube fährt.

      Im Bereich der Nachhaltigkeit lässt sich eine analoge Geschichte erzählen. Obwohl wir in manchen Bereichen schon erkannt haben, dass ein Umdenken dringend nötig ist, betreiben wir dies bestenfalls halbherzig. Auch im Umgang mit unserer Natur hat sich ein Verhalten eingestellt, das einem kollektiven Tabletteneinwerfen ähnelt.

      Eine wache Gesellschaft denkt die Natur als ihren Leben spendenden Körper bei all ihren Handlungen von vornherein mit. Von einem wachen Zustand sind wir derzeit jedoch weit entfernt. Wir schädigen uns und unseren Heimatplaneten in dem irrwitzigen Glauben, dass es auch in diesem Fall für alle Probleme die passende Tablette geben wird. Anstatt etwa unsere fossilen Heizsysteme vollständig auf umweltfreundliche Alternativen umzustellen, entwickeln wir lieber immer neue Filter für unsere Schornsteine. Anstatt das Müllproblem an der Wurzel anzugehen, bauen wir immer bessere Müllanlagen. Und anstatt unseren Fleischkonsum und damit unsere Treibhausgase zu reduzieren, entwickeln wir Mundschutzmasken für Kühe. Nicht wegen Corona, sondern um die Methangase aus den Rindermäulern ein klein wenig zu reduzieren. Diese Gummimasken sind mit solarbetriebenen Ventilatoren versehen und sollen die Ausatmungen der Tiere in eine Kammer leiten und dort unschädlich machen.24

      Auch wenn viele dieser Ideen sicherlich einer guten Absicht entspringen, beschäftigen sie sich einzig und allein mit der Bekämpfung des Symptoms und werden das Problem somit nie lösen können. Das ist schade, denn für viele Probleme gäbe es bereits sehr vielversprechende Alternativen, die wirklich einen Unterschied machen könnten. Für die Schonung der Ökosysteme gibt es die biologische Landwirtschaft, für den gerechten Handel haben wir das Fair-Trade-System eingeführt, und das Verkehrsproblem löst sich womöglich über eine Stärkung der öffentlichen Verkehrsmittel mit gleichzeitigem Carsharing von Elektroautos mit Strom aus PV-Anlagen.

      Dank unzähliger Pioniere haben wir in den letzten Jahrzehnten neue Möglichkeiten entwickelt, wie eine zukunftsfähige Gesellschaft aussehen könnte und wie wir die ökologische Krise in den Griff bekommen. Würden wir diese Ideen als Masterplan verstehen, so könnten sie tatsächlich die Gesundung unserer Erde vorantreiben. Doch leider verwenden zu viele von uns diese neuen Möglichkeiten nur als Tablette für zwischendurch.

      Als Geschenk kauft man seinen Liebsten gern mal die Pralinen in Bioqualität, im Alltag bleibt man bei jenen vom Diskonter. Eine Spende für den brasilianischen Regenwald ist immer drin, bei der Verhandlung mit den Bauern muss man aber doch die Preise drücken, um seine Boni zu erhalten. Und auch wenn man im Alltag mal gern aufs Auto verzichtet, so ist der jährliche Städtetrip über den Atlantik einfach ein Muss. Manchmal kaufen wir auch Öko-Schuhe, regionales Biogemüse, lassen die Eckbank vom örtlichen Tischler bauen und genießen die Firmenfeier am Bauernhof in der Region. Beim großen Rest unserer Lebenszeit heißt es dann halt doch wieder business as usual.

      Man könnte diese Beispiele endlos weitertreiben und würde zu dem Schluss kommen, dass wir in Mitteleuropa zu einer Art Wochenend-Ökos geworden sind. Überall, wo es leicht geht, sind wir bereit, Abstriche für die Natur zu machen. Überall dort, wo nur eine kleine Tablette zu schlucken ist, tun wir dies gern, der Umwelt zuliebe. Der große Bewusstseinswandel sieht aber anders aus. Darum lass uns doch einmal ausmalen und untersuchen, wie ein echter und tiefgreifender Wandel aussehen könnte!

       1.3 Die Vision eines umfassenden Wandels

      Nachhaltigkeit bedeutet, Ökonomie, Ökologie und Soziales miteinander in Einklang zu bringen und heute das Leben so zu führen, dass die Lebensgrundlagen zukünftiger Generationen nicht gefährdet und dauerhaft erhalten werden. Leider ist unsere Lebensweise von solch einer Nachhaltigkeit weit entfernt. Wenn uns die vorigen Kapitel eines klargemacht haben sollten, dann, dass die missliche Lage, in der wir uns heute global befinden, nach mehr als nur Korrekturmaßnahmen verlangt. Kleine, punktuelle oder symptomorientierte Rettungsaktionen sind zwar wichtig, reichen aber einfach nicht aus, um eine zukunftsfähige und dauerhaft lebenserhaltende Gesellschaft zu verwirklichen.

      Was wir heute vielmehr brauchen, ist eine Nachhaltigkeit, die als ganzheitlicher und umfassender Wandel in Erscheinung tritt. Ein Wandel, der alle Bereiche der Gesellschaft berührt: die Spielregeln und Funktionsweisen unserer Wirtschaftskreisläufe und Arbeitswelten; die Gestaltung unseres gesellschaftlichen und sozialen Zusammenlebens; die Fragen von Verteilungsgerechtigkeit im Hinblick auf Chancen, Macht und Kapital; die Art, wie wir demokratische und partizipatorische Prozesse in der Politik einsetzen; das Selbstverständnis, das wir von uns selbst haben, und wie wir auf die uns umgebende Welt blicken; das Ausmaß an Wertschätzung und Liebe, das zu schenken wir imstande sind; die Art und Weise, wie wir unsere Bedürfnisse befriedigen, und auf Basis welcher Ethik wir darüber entscheiden; und nicht zuletzt ein genaues Prüfen unserer Konzepte von Wohlstand und Lebensqualität sowie unserer Wertehaltungen und Prioritäten.

      Bei einer wirklich zukunftsweisenden Vision darf es längst nicht mehr nur darum gehen, kein Unheil anzurichten oder die gesetzlichen Mindestanforderungen zu erfüllen. Vielmehr muss sie regenerative Kulturen25 und Praktiken hervorbringen, die die Schäden der Vergangenheit wieder sanieren und ein gesundes Gleichgewicht zwischen Mensch, Gemeinschaft und Natur herstellen. Nicht Schadensbegrenzung, sondern echte Heilung, Regeneration und Kooperation mit der Natur sind das Gebot der Stunde!

      Wie also könnte diese Welt aussehen, in der eine solch tiefgreifende Trendumkehr bereits gelungen ist? Welche Zukunft könnten wir erschaffen, wenn wir alle erforderlichen Kräfte für die Umsetzung beisammenhätten und entsprechend einsetzen würden? Wie würde sich das Leben auf Erden wohl gestalten, wenn Nachhaltigkeit und Naturverbundenheit auf allen Ebenen Eingang in unsere Lebensweise gefunden hätten?

      Anstatt nur die Probleme zu betrachten, sollten wir uns wieder verstärkt mit Utopien und Visionen beschäftigen! Warum nicht einmal träumen von der Welt von morgen, wie wir sie uns wünschen? Sind es denn nicht die Träume, die unsere Sehnsucht schüren und uns Motivation und Antrieb für die Umsetzung schenken? Sind es nicht die positiven Zukunftsbilder, die uns Lust auf dieses schöne Morgen machen – viel mehr, als es die angstmachenden Katastrophenszenarien je vermögen?

       Das gute Leben