Julia Buchebner

Innen wachsen – außen wirken


Скачать книгу

loslassen.

      Und so wollen wir in den nächsten Abschnitten des Buchs den Blick auf jene inneren, psychologischen und seelischen Faktoren werfen, die uns Menschen daran hindern, aufzuwachen und eine neue und gedeihliche Zukunft zu wählen.

       2.2 Der innere Schweinehund

      Zum Einstieg in die Thematik möchten wir »den inneren Schweinehund« etwas genauer unter die Lupe nehmen. Dieses kleine Fabeltierchen kennen wir alle, und weil er in unserem Inneren haust und uns von dort aus immer wieder gekonnt manipuliert, eignet er sich besonders gut als »Begleiter« für unsere ersten Schritte in Richtung mehr Bewusstheit.

      So können wir uns langsam an die innere Ebene herantasten und uns an diese neue Denkweise gewöhnen, bevor wir später in die tieferen Sphären unseres Seins abtauchen. Für den Anfang gehen wir es also erst einmal sachte an.

      Der innere Schweinehund bezeichnet die Trägheit gegenüber einer als richtig erkannten Handlung – oder auch die Willensschwäche, die eine Person daran hindert, ethisch gebotene oder sinnvolle Tätigkeiten auszuführen. Gerade wenn es um die ethisch gebotenen Maßnahmen im Bereich Nachhaltigkeit und Naturschutz geht, verwandelt sich der innere Schweinehund sehr schnell in ein mannigfaltiges Wesen mit zahlreichen überaus »interessanten« Eigenschaften.

       Unwissen und mangelnde Urteilskraft

      Zwei gewiefte Eigenschaften des inneren Schweinehunds sind seine vorgegaukelte Unwissenheit und die mangelnde Urteilsfähigkeit. Wenn wir gar nicht wissen, was die eigentlichen Probleme sind, was sie verursacht und wie wir angemessen darauf reagieren können, dann fällt uns eine richtige und lösungsorientierte Handlung natürlich schwer. Und ja, manche Menschen mögen es vielleicht wirklich nicht besser wissen.

      Fraglich wird es aber dann, wenn man im Jahr 2020 einen Hausmann dabei erwischt, dass er noch immer nicht imstande ist, Plastik-, Papier- und Glasabfälle entsprechend zu trennen, und dies mit Unwissenheit begründet. Oder wenn Autokonzerne die Abgaswerte ihrer Dieselfahrzeuge per Software nach unten manipulieren, um gesetzliche Grenzwerte zu umgehen – und die Spitzen des Managements dann in den Interviews stets ihre Unwissenheit beteuern.33

      Aber Vorsicht, diese vermeintliche Unwissenheit ist nicht nur bei den anderen zu finden! Vielleicht ist ja auch dir schon mal der Spruch: »Ich will es gar nicht wissen …« über die Lippen gekommen. In solch einem Fall wird man vom inneren Schweinehund gewarnt, dass dieses zusätzliche Wissen einem womöglich das Leben erschwert und man lieber unwissend bleibt. Man weiß zwar, dass »etwas nicht stimmt«, versucht aber, sich mit Unwissenheit davor zu schützen. Ob das streng genommen noch als Unwissenheit zählt, ist allerdings eine andere Frage.

      Für unser zentrales Thema ist das aber ohnehin nicht wirklich relevant. Denn in unserer digitalisierten Informationsgesellschaft ist es unwahrscheinlich, über lokale wie globale Umweltprobleme nicht Bescheid zu wissen. Auch wenn der Durchschnittseuropäer den Treibhauseffekt vermutlich nicht beschreiben, die SDGs (Sustainable Development Goals) nicht aufzählen und auch die Fotosynthese nicht erklären kann, so wissen dennoch die meisten in unseren Breiten, dass wir Umweltprobleme haben und damit an ökologische Belastungsgrenzen stoßen. Irgendwie und irgendwo ist es uns allen schon mal untergekommen, dass das ein oder andere »Problemchen« vorliegt – und dass wir uns dem auch widmen sollten.

      So stuften in einer repräsentativen Umfrage des deutschen Umweltbundesamts im Jahr 2019 satte 68 Prozent der Befragten den Umwelt- und Klimaschutz als sehr wichtige Herausforderung ein. Sie gaben ihm eine ähnlich hohe Bedeutung wie den beiden anderen Topthemen Bildung (65 Prozent) und soziale Gerechtigkeit (63 Prozent).34 Unter den Jugendlichen im Alter von 14 bis 22 Jahren waren es sogar 81 Prozent, die Umwelt- und Klimaschutz als sehr wichtig erachteten. Diese Zahlen zeigen recht deutlich, dass der Bevölkerung die künftigen Herausforderungen weitgehend bekannt sind und sie diese zumeist auch als wichtig erachtet.

      Was somit viel stärker ins Gewicht fallen dürfte als die Unwissenheit, ist die mangelnde oder getrübte Urteilsfähigkeit, mit welcher der innere Schweinehund über den Belang eingehender Informationen entscheidet.

      Jene, die die Umweltproblematik bereits erkannt und auch akzeptiert haben, urteilen gern mit dem Glauben, sie allein könnten ohnehin nichts ändern. Manch andere hingegen beruhigen sich selbst über die Leugnung des Offensichtlichen: »Wer weiß, ob das alles stimmt, was man uns erzählt? Wem kann man heutzutage noch glauben? Wer sagt, dass der Klimawandel tatsächlich menschengemacht ist? Den gab es doch schon immer, oder!?«

      Der innere Schweinehund liebt es, Informationen anzuzweifeln und generell eine skeptische Grundhaltung gegenüber Veränderungen einzunehmen. Denn solch eine Skepsis schützt gleich einmal effektiv vor notwendigen, weiterführenden Überlegungen.

       Die Macht der Gewohnheit

      Hat es die Information trotz aller Gegenwehr doch irgendwie in unser System geschafft, so liegen die nächsten Barrieren in unseren Gewohnheiten und Routinen. Diese laufen längst wie Automatismen ab und flüstern uns ganz heimlich und leise ins Ohr: »Wir haben es immer schon so gemacht, also machen wir es auch künftig so. Warum sollten wir daran etwas ändern? Das ist doch viel zu anstrengend und bringt ja ohnehin nicht viel.«

      Im Vergleich zu einem Umdenken haben die Routinen und Gewohnheiten des inneren Schweinehunds einen entscheidenden Vorteil: sie sind wahnsinnig bequem. Man muss gar nicht mehr nachdenken, wie etwas funktioniert oder wie man in dieser oder jener Situation handeln soll. Es ist in Fleisch und Blut übergegangen, und das erspart Zeit, Nerven und vielleicht sogar Geld.

      Hast du eine Ahnung, wie viel Energie es eine Person kosten kann, etwas anders zu machen, als sie es von Kind auf gelernt hat? Sie muss ihre Komfortzone verlassen und sich womöglich sogar einen Fehler eingestehen, den sie jahrelang vollzogen hat. Darüber hinaus muss sie sich einer neuen Herausforderung stellen, und egal, wie groß oder wie klein diese auch sein mag, es ist und bleibt etwas, mit dem sie sich auseinandersetzen muss. Und das ist vielen von uns nicht immer lieb.

      Stell dir einen Kettenraucher vor, der seit jeher seine Zigaretten mit dem Auto holt. Denkst du, es würde ihm leichtfallen, für seinen Einkauf auf das Rad umzusteigen oder gar mit dem Rauchen aufzuhören? Denk an eine begeisterte Fleischesserin, die seit Jahrzehnten täglich Wurst, Speck, Koteletts und Würstel konsumiert. Wie schwierig wäre es wohl für sie, nur noch einmal pro Woche Fleisch zu essen? Sie müsste ihr Kochverhalten komplett umstellen, sich einen Plan für die Mittagspausen machen und könnte in ihrem Stammlokal nur noch die Gemüselaibchen aus dem Tiefkühler »genießen«.

      Oder denk etwa an eine deutschsprachige Familie, die seit einem Jahrzehnt mindestens einmal jährlich in den Urlaub nach Mallorca fliegt. Sie kennt jeden Winkel der Insel, hat längst ihre Lieblingsrestaurants gewählt und fühlt sich wie daheim. Die Kinder haben sogar schon Freunde gefunden und sprechen ein paar Worte Spanisch. Es fiele dieser Familie bestimmt alles andere als leicht, auf einmal mit dem Zug an die Nordsee zu fahren und dort Urlaub zu machen. Was für ein Aufwand, die Zugverbindungen zu recherchieren, sich mit einer neuen Region vertraut zu machen und sich auf unbekannte Wetterverhältnisse einstellen zu müssen. Das alles ist kein leichtes Unterfangen, denn der innere Schweinehund liebt Gewohnheiten und ändert nur ungern seine vertrauten Routinen. »Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht«, diese alte Volksweisheit trägt viel Wahres in sich und beschreibt die Liebe zu unseren Gewohnheiten nur zu gut.

       Ausreden für den Selbstwert

      Was also tun, wenn man weiß, dass man etwas ändern sollte, sich aber einfach nicht dazu durchringen kann? Richtig, man findet Rechtfertigungen und wird in Sachen Ausreden so richtig kreativ und erfinderisch! Denn wenn nicht, wird die innerlich wahrgenommene Widersprüchlichkeit zwischen Wissen, Werten und Handlungen irgendwann unerträglich.

      Dieses als »kognitive Dissonanz« bezeichnete Phänomen führt sehr schnell zu inneren Spannungen, die wir möglichst rasch überwinden wollen. In solchen Fällen sind also Ausreden, Scheinlösungen und hausgemachte Illusionen das Mittel der Wahl für unseren inneren