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Pragmatikerwerb und Kinderliteratur


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scheint also gegen die erste Submaxime zu verstoßen. Als Leserin einer Konzertkritik wird man annehmen, dass mit der gewählten Formulierung eine harsche Kritik intendiert ist. „The most obvious supposition is that Miss X’s performance suffered from some hideous defect“, wie Grice (1989: 37) erläutert.

(1) The maxim of Manner
Supermaxim: Be perspicuous.
Submaxims: Avoid obscurity of expression.
Avoid ambiguity.
Be brief (avoid unnecessary prolixity).
Be orderly.

      Innerhalb seines Systems der Konversationsmaximen genießt diese Maxime einen besonderen Status. Während die Maximen der Quantität, Qualität und Relation sich auf den Inhalt des Gesagten beziehen, bezieht sich die Maxime der Art und Weise auf „how what is said is to be said“, wie es bei Grice (1989: 27) heißt. In anderen Worten, die Maxime bezieht sich auf die spezifische Verpackung eines Inhalts oder auf den Stil.

      Aus einer Reihe von Gründen, vor allem aber wegen ihrer Beziehung zum restlichen Maximenapparat, ist die Maxime der Art und Weise ein guter Kandidat für die Reduktion von Maximen (Meibauer 1997). So subsumiert Horn (1984) die erste und zweite Submaxime der Maxime der Art und Weise unter sein Q-Prinzip („Make your contribution sufficient: Say as much as you can (given R)“) und die dritte und vierte Submaxime unter sein R-Prinzip („Make your contribution necessary: Say no more than you must (given Q).“) In Carstons (2002) relevanztheoretischem Ansatz spielt die Maxime der Art und Weise keine Rolle. Levinson (2000) jedoch postuliert eine spezielle Fassung, die er das M-Prinzip nennt. Im Gegensatz zu Grice finden sich hier aber nicht einzelne Submaximen vom Typ „Avoid ambiguity!“ oder „Be orderly!“, sondern das M-Prinzip führt den Begriff der Markiertheit ein und enthält eine Unterscheidung zwischen normalen, stereotypischen Situationen und abnormalen, nicht-stereotypischen Situationen, die sich auf den Gebrauch bestimmter sprachlicher Mittel beziehen.

(2) M-Principle
Speaker’s maxim: Indicate an abnormal, nonstereotypical situation by using marked expressions that contrast with those you would use to describe the corresponding normal, stereotypical situation.
Recipient’s corollary: What is said in an abnormal way indicates an abnormal situation, or marked messages indicate marked situations (…).1

      Dieses Prinzip ist auf eine Reihe von sprachlichen Phänomenen gemünzt, zum Beispiel lexikalische Dubletten, konkurrierende Wortbildungen, Nominalkomposita, Litotes, bestimmte Genitiv- und Nullmorphem-Konstruktionen, Periphrasen und Wiederholungen (Levinson 2000: 138–153).

      Betrachtet man die Grice’sche Maxime der Art und Weise und wendet sie auf Literatur an, bekommt man den Eindruck, dass sie systematisch ausgenutzt wird. Wir finden Literatur, die nicht „klar“ (‚perspicuous‘) ist, die voll von Ambiguität und Weitschweifigkeit ist, und die die richtige Reihenfolge des Erzählten (ordo naturalis) verletzt. Darüber hinaus können auch die Maximen der Quantität, Qualität und Relation ausgebeutet werden, um bestimmte ästhetische Effekte zu erzielen (Chapman 2014, Warner 2014). So bezieht sich die Maxime der Quantität auf die Menge der gegebenen Information; wenn ein literarischer Charakter oder eine Situation viel zu ausführlich oder genau beschrieben wird, kann dies zu bestimmten pragmatischen Schlüssen Anlass geben. Genauso bei der erzählerischen Ausbeutung der Maxime der Qualität, die sich auf die Wahrheit des Gesagten bezieht. Hier ist das unzuverlässige oder sogar täuschende Erzählen einschlägig. In Bezug auf die Maxime der Relation, die thematische Passung einer Äußerung verlangt, könnte man auf erzählerische Sprünge verweisen, die die Leserin vor Rätsel der Integration von Textteilen stellen.

      Betrachten wir ein konkretes Beispiel, welches Volker Brauns Roman Unvollendete Geschichte (1977) entnommen wurde:

(3) Sie hörte noch und hörte nur halb: daß sie, im anderen Fall, nicht in der Redaktion, also verlassen müsse, nach H., sie könnten, und als Bezirksorgan, das müßte sie sich selber, solche Leute nicht leisten können! (38)

      Der jungen Volontärin Karin, die bei einer Zeitungsredaktion arbeitet, werden vom Parteisekretär Vorhaltungen wegen ihrer Beziehung zu Frank, der ein Jahr im Gefängnis gesessen hat und dem man Kontakte zum Westen nachsagt, gemacht. Es wird von ihr verlangt, dass sie sich von Frank trennt. Falls sie dem nicht zustimme, müsse sie die Redaktion verlassen. Der Text ist offensichtlich ungrammatisch, er erzeugt mangelnde Kohäsion und ist gegenüber einem kohärenten Text, der keine Lücken und grammatischen Fehler aufweist, deutlich markiert. Dennoch kann die Leserin rekonstruieren, worum es geht, sie versucht in der Interpretation, den Text kohärent zu machen, so dass eine kohärente Version so lauten könnte:

(4) Wenn Karin sich von Frank nicht trenne, könne sie nicht in der Redaktion bleiben. Sie müsse sie verlassen und nach H. zurückkehren. Als Bezirksorgan, das müsste sie sich selber denken können, könne man sich solche Leute wie sie nicht leisten.

      Der intendierte narrative Effekt ist, dass die Leserin die Perspektive von Karin übernimmt, die aufgrund ihrer besonderen emotionalen Situation, in der sie sich vor dem Parteisekretär und einem weiteren anwesenden „jungen Mann“ (38) rechtfertigen muss, von ihren Gefühlen übermannt ist, nicht richtig zuhört und deshalb nur einige Wortfetzen aufschnappt. Hier sind besonders die Maxime der Quantität (es wird Information ausgelassen) und die Maxime der Art und Weise (insbesondere die Submaxime „Avoid obscurity of expression!“) betroffen.

      Um Markiertheit in literarischen Texten erkennen zu können, müssen Leser und Leserinnen bereits über solide Grundkenntnisse im Hinblick auf literarische Konventionen verfügen.2 Zu diesen Konventionen gehören etwa die Erwartungen, dass ein Text kohärent ist und dass er die wesentlichen Informationen, die zum Textverständnis notwendig sind, enthält. Eng damit verbunden ist der Erwerb von Schemata und Skripts, d.h. Vorstellungen darüber, wie bestimmte Situationen ablaufen, wie ein Gespräch funktioniert, welche Rollen Personen einnehmen, usw. Nur derjenige, der entsprechende Schemata und Skripts gelernt hat, die quasi „normalen, stereotypischen“ Situationen oder Narrationen entsprechen, ist in der Lage, Abweichungen davon zu erfassen, sie zu kontextualisieren und in einem weiteren Schritt zu interpretieren.

      Um folglich literarische Texte in Kinderbüchern als markiert begreifen zu können, müssen Kinder eine Auffassung darüber entwickelt haben, wie eine „normale, stereotypische“ Beschreibung oder Narration aussieht und wie sie sich von einer „abnormalen, nichtstereotypischen“ unterscheidet. Über den Erwerb solcher Normalitätsannahmen in Bezug auf Kinderliteratur weiß man wenig. In Bezug auf die Erwachsenenliteratur sieht es anscheinend ganz ähnlich aus. Zwar wird hier das Phänomen des „Abweichens als Prinzip“ prinzipiell erfasst und auch in Bezug auf ausgewählte sinnfällige Texte beschrieben (Schuster 2017), aber weder wird expliziert, inwiefern eine Norm angenommen werden kann, von der dann in bestimmter Weise „abgewichen“ wird, noch, mithilfe welcher Schlussverfahren eine Leserin einen intendierten Sinn erschließen kann.3 Diese Situation ist äußerst unbefriedigend. Einen ersten Schritt in diese Richtung sehen wir darin, das Prinzip der Markiertheit (oder Abweichung) deutlicher herauszustellen und es auf literarische Texte zu applizieren.

      In dieser Hinsicht ist zu beachten, dass sich Levinsons M-Prinzip, wie in (2) deutlich wird, auf Satzrahmen bezieht. Wollen wir über literarische Texte reden, benötigen wir daher den Begriff des markierten Texts. Ein Text ist in dem Maße markiert, so können wir vermuten, in dem er von Normalitätsannahmen abweicht. In diesem Sinne ist das vom Dadaismus inspirierte