Bernhard Kempen

Völkerrecht


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kann er diesem auch lediglich die Gebietshoheit (unter Beibehaltung der territorialen Souveränität) übertragen. Teilweise differenziert die Völkerrechtslehre hier noch weiter zwischen (bloßer) Verpachtung und der sog. Verwaltungszession, wobei die Abgrenzung nicht immer ganz deutlich wird. Die Verpachtung kann auf bestimmte oder unbestimmte Zeit, sie kann entgeltlich oder unentgeltlich erfolgen. Beispiele sind neben der o.g. Verpachtung des Panama-Kanals noch die (1997 beendete) Verpachtung Hong Kongs von China an das Vereinigte Königreich oder die Verpachtung von Guantánamo Bay durch Kuba an die USA.

      Während sich die Verpachtung auf die Gebietshoheit insgesamt bezieht, werden durch Servituten lediglich einzelne Nutzungsrechte begründet. Eine Servitut kann positiv sein (Pflicht zur Duldung einer bestimmten Nutzung durch einen anderen Staat) oder negativ (Pflicht zur Unterlassung einer Nutzung des eigenen Territoriums, z. B. bei Entmilitarisierung). Unterschieden wird ferner zwischen Verkehrsservituten (Transitrechte über fremdes Territorium), Grenzservituten (Grenzkontrollstellen oder Eisenbahnstationen auf fremdem Territorium, Bsp.: Badischer Bahnhof in Basel), wirtschaftliche Servituten (Fischereirechte in fremden Küstengewässern, Schifffahrtsrechte auf Binnenwasserstraßen, Ausbeutungsrechte an Bodenschätzen) sowie militärische Servituten (Armee-, Flotten- oder Luftstützpunkte auf fremden Territorium).

      Kap. XII und XIII der UN-Charta befassen sich mit dem internationalen Treuhandsystem, einem Nachfolgeinstitut des Mandatssystems aus der Völkerbundära. Ziel des Treuhandsystems war es, den geordneten Übergang der betroffenen Gebiete in die Unabhängigkeit zu ermöglichen. Mit der Unabhängigkeit der elf unter Treuhandverwaltung gestellten Gebiete war das Mandat des Treuhandrates erfüllt. Er hat daher mit Wirkung vom 1.11.1994 seine Arbeit eingestellt. Der 2005 von UN-Generalsekretär Kofi Annan gemachte Vorschlag zur Streichung der betreffenden Vorschriften in der UN-Charta war in der Sache unbestritten und wurde dementsprechend im sog. Ergebnisdokument des Weltgipfels von 2005 befürwortet (A/RES/60/1, Rn. 176). Die hierfür notwendige Änderung der UN-Charta ist allerdings bis heute nicht zustande gekommen.

      An die Stelle der Übergangsverwaltung im Rahmen des Treuhandsystems treten heutzutage zunehmend Übergangsverwaltungen auf der Grundlage einer Kapitel VII-Resolution des → UN-Sicherheitsrates. Diese Entwicklung ist getragen von der Einsicht, dass durch einen Peace-building- oder Peace-enforcement-Einsatz allein nicht auf Dauer stabile innerstaatliche Verhältnisse herbeigeführt werden können. Erforderlich ist vielmehr das sog. post-conflict nation building. Besonders weitgehende Verwaltungskompetenzen haben die Vereinten Nationen im Kosovo (UNMIK) und in Ost-Timor (UNTAET) ausgeübt. Der Umfang der Kompetenzen ist dabei abhängig von der jeweiligen Ermächtigung durch den Sicherheitsrat. So ermächtigte dieser im Falle Ost-Timors UNTAET „to exercise all legislative and executive authority, including the administration of justice“ (SR-Res. 1272). Im Falle des Kosovo ergeben sich die entsprechenden Kompetenzen von UNMIK dagegen nicht direkt aus der SR-Res. 1244, sondern (erst) aus der Verordnung des Sonderbeauftragten des UN-Generalsekretärs UNMIK/REG/1999/1. Besondere Schwierigkeiten entstehen hinsichtlich der Frage, wem das jeweilige Handeln völkerrechtlich zuzurechnen ist. So wertete der → EGMR im Falle des Kosovo nicht allein das Handeln von UNMIK, sondern auch den „militärischen Arm“ der Übergangsverwaltung, den durch SR-Res. 1244 autorisierten Einsatz der → NATO, in rechtlich zweifelhafter Weise als unmittelbar und ausschließlich den → Vereinten Nationen zurechenbar; die eingelegten Menschenrechtsbeschwerden wurden daher als unzulässig ratione personae abgewiesen (Fall Behrami und Saramati, EuGRZ 2007, 522).

      Die mit der Gebietshoheit einhergehende Ausschließlichkeit der Herrschaftsgewalt über ein bestimmtes Territorium ist im Falle supranationaler Organisationen zusätzlich relativiert. Im Unterschied zu → Internationalen Organisationen klassischen Zuschnitts gilt das supranational gesetzte Recht regelmäßig unmittelbar in den Mitgliedstaaten der supranationalen Organisation, ohne dass es eines gesonderten Umsetzungsakts auf nationaler Ebene bedürfte. Die für das Völkerrecht so typische Mediatisierung des Einzelmenschen (→ Individuum) durch den Staat wird hier aufgegeben, der staatliche „Souveränitätspanzer“ durchbrochen. Stattdessen ist der Einzelmensch unmittelbarer Adressaten supranationaler Rechte wie Pflichten (vgl. EuGH, Rs. 26/62 – Van Gend en Loos).

      Die Rechtslage Deutschlands nach 1945 war über lange Zeit durch das Auseinanderfallen von territorialer Souveränität und Gebietshoheit gekennzeichnet. Mit der Berliner Erklärung vom 5.6.1945 hatten zunächst die Siegermächte die oberste Regierungsgewalt in Bezug auf Gesamtdeutschland übernommen, eine Annexion jedoch ausdrücklich ausgeschlossen. Das Deutsche Reich bestand daher als → Völkerrechtssubjekt (in den Grenzen vom 31.12.1937) fort, war jedoch mangels einer Reichsregierung handlungsunfähig (BVerfGE 36, 1 [15 f.]). Was die nachfolgende Entwicklung angeht, ist zwischen den Gebieten östlich der Oder-Neiße-Linie sowie dem Verhältnis zwischen der Bundesrepublik und der DDR zu unterscheiden.

      Mit Blick auf die Gebiete östlich von Oder und Lausitzer Neiße vertrat die Republik Polen den Standpunkt, ihr sei mit dem Potsdamer Abkommen vom 2.8.1945 bereits die territoriale Souveränität über die betreffenden Gebiete verschafft worden. Nach Auffassung der Bundesrepublik Deutschland handelte es sich hingegen lediglich um eine Verwaltungszession, durch die Polen zwar die Hoheitsgewalt und damit das unbeschränkte Recht zur Verwaltung der Gebiete erlangt, die territoriale Souveränität über die Oder-Neiße-Gebiete hingegen Gesamtdeutschland vorbehalten worden war. An diesem Rechtszustand haben aus Sicht der Bundesrepublik weder der Görlitzer Vertrag zwischen der DDR und Polen vom 6.6.1950 noch der von der Bundesrepublik geschlossene Warschauer Vertrag vom 7.12.1970 etwas geändert. Beim Warschauer Vertrag handelte es sich vielmehr um eine „Konkretisierung des Gewaltverzichts“, indem von den Vertragspartnern „nur das Unterlassen von Maßnahmen geschuldet [wurde], die auf eine gewaltsame Veränderung der in den Verträgen bezeichneten Grenzen gerichtet [waren]“ (BVerfGE 40, 141 [171]). Aus bundesdeutscher Sicht blieb hinsichtlich der Oder-Neiße-Gebiete daher als Erwerbstitel nur der deutsch-polnische Grenzvertrag vom 14.11.1990. Grundbedingung für dessen Abschluss war der Fortfall der Vier-Mächte-Verantwortlichkeit in Bezug auf Deutschland als Ganzes und damit die Erlangung der vollen Souveränität Deutschlands in Konsequenz des sog. 2+4-Vertrags.

      Was die Beschreibung des Verhältnisses von Bundesrepublik Deutschland und DDR angeht, wurden verschiedene juristische Modelle entwickelt (Identitätslehren [Kongruenztheorie, Kernstaatstheorie, Schrumpfstaatstheorie]; Teilordnungslehre/Dachstaatstheorie). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hatte die Errichtung der beiden deutschen Staaten nicht zur Dismembration und damit zum Untergang des Völkerrechtssubjekts Deutsches Reich geführt. Vielmehr hatten sich auf dem Territorium des fortexistierenden gesamtdeutschen Staates zwei neue Staaten gebildet, die im Verhältnis zueinander indes nicht als Ausland anzusehen waren. Die Beziehungen zur DDR wurden vielmehr als „Inter-se-Beziehungen“ charakterisiert. Während die DDR jegliche Kontinuität zum vormaligen Deutschen Reich ablehnte, war die Bundesrepublik ihrem Selbstverständnis nach mit dem Völkerrechtssubjekt Deutsches Reich identisch, angesichts der grds. auf das Bundesgebiet beschränkten Gebietshoheit jedoch nur teilidentisch (BVerfGE 36, 1 [16]; 77, 137 [154 f.]).

      Die territoriale Souveränität Gesamtdeutschlands und die Gebietshoheit der Bundesrepublik Deutschland fielen daher über viele Jahrzehnte