Bernhard Kempen

Völkerrecht


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(auch) das Gebiet des Deutschen Reichs in seinen Grenzen vom 31.12.1937 zu verstehen. Dieses Verständnis dominierte beispielsweise zunächst im Strafrecht (BGHSt 5, 364 f.; 8, 168 [170 f.]), wurde dort später aber aufgegeben (BGHSt 30, 1 [4]). Im Staatsangehörigkeitsrecht dominierte der nämliche Inlandsbegriff bis zur Wiedervereinigung (§ 25 Abs. 1 RuStAG a. F.).

      G › Gegenmaßnahmen (Repressalien) (Burkhard Schöbener)

       I. Begriff

       II. Zulässigkeit und Ausgestaltung

       1.Rechtliche Maßgaben (allg.)

       2.Berechtigter

       3.Adressat

       III. Grenzen (Repressalienverbot)

       IV. Abgrenzung

      Lit:

      K. Doehring, Die Selbstdurchsetzung völkerrechtlicher Verpflichtungen, ZaöRV 47 (1987), 44; W. Friedler, Gegenmaßnahmen, BDGVR 37 (1997), 9; J.A. Frowein, Die Verpflichtung erga omnes im Völkerrecht und ihre Durchsetzung, FS für H. Mosler, 1983, 241; J. Hebenstreit, Repressalien im humanitären Völkerrecht, 2004; C. Hillgruber, The Right of Third States to Take Countermeasures, in: Tomuschat/Thouvenin (Ed.), The Fundamental Rules of the International Legal Order, 2006, 265.

      Die Durchsetzung des Völkerrechts erfolgt in der Regel dezentral, da es in den zwischenstaatlichen Beziehungen an einer obligatorischen zentralen Gerichtsbarkeit fehlt. So wird die Zuständigkeit des → IGH nur begründet, wenn und soweit sich die beteiligten → Staaten dessen Jurisdiktionsgewalt unterwerfen (Art. 36 IGH-Statut). Die Rechtsdurchsetzung ist deshalb – soweit auch eine → friedliche Streitbeilegung durch Inanspruchnahme diplomatischer Verfahren erfolglos bleibt – eine Angelegenheit der betroffenen Staaten selbst, die entsprechende Maßnahmen ergreifen, um gegen das völkerrechtswidrige Verhalten anderer Staaten vorzugehen (sog. Selbsthilfe). Früher als Repressalie bezeichnet, wird heute überwiegend der Begriff Gegenmaßnahme (countermeasure) verwendet für einen eigentlich völkerrechtswidrigen Akt, der jedoch als Reaktion auf das vorangegangene völkerrechtswidrige Verhalten eines anderen Staates ausnahmsweise gerechtfertigt ist. Dabei sind jedoch besondere Zulässigkeitsvoraussetzungen (unten II.) ebenso zu beachten wie die völkerrechtlichen Grenzen (unten III.) solcher Gegenmaßnahmen.

      In den von der International Law Commission (ILC) ausgearbeiteten und von der → UN-Generalversammlung 2001 in einer rechtlich unverbindlichen Resolution zur Kenntnis genommenen Draft Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts (GV-Res. 56/83) sind in den Art. 49 ff. die Voraussetzungen aufgeführt, bei deren Vorliegen die Ergreifung von Gegenmaßnahmen gerechtfertigt ist. Die Inhalte der Resolution sind zwar bislang noch nicht verbindlich in einem → völkerrechtlichen Vertrag geregelt worden. Sie entsprechen aber im Wesentlichen den rechtlichen Maßgaben des → Völkergewohnheitsrechts.

      Grundvoraussetzung für eine rechtmäßige Gegenmaßnahme ist ein vorangegangenes völkerrechtswidriges Verhalten des Staates, an den die Gegenmaßnahme gerichtet ist. Dieses völkerrechtliche Delikt kann sich grundsätzlich aus jedem Teilbereich des Völkerrechts ergeben. Sofern zwischen den Streitparteien eine Verpflichtung zur Durchführung eines Streitschlichtungsverfahrens besteht, ist ein solches Verfahren zunächst in Gang zu setzen. Ferner ist der das Völkerrecht verletzende Staat aufzufordern, sein völkerrechtswidriges Verhalten zu beenden, ihm sind Verhandlungen anzubieten und er ist über den Entschluss zur Ergreifung von Gegenmaßnahmen zu informieren (Art. 52 Abs. 1). Diese Maßnahmen sollen dazu dienen, den Verletzerstaat zu einem völkerrechtsgemäßen Verhalten zu bewegen. Außerdem ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten.

      Gegenmaßnahmen dürfen nicht ergriffen werden, wenn das völkerrechtswidrige Verhalten bereits beendet ist und der Verletzerstaat seinen aus dem Rechtsbruch resultierenden Verpflichtungen nachkommt (zu diesen Verpflichtungen gehört auch die Wiedergutmachung des materiellen und immateriellen Schadens, Art. 31, Art. 34 ff.), oder die Streitigkeit vor einem Gericht anhängig ist, das die Befugnis besitzt, ein für die Parteien bindendes Urteil zu fällen. Bereits ergriffene Gegenmaßnahmen müssen in diesen Fällen unverzüglich ausgesetzt werden (Art. 52 Abs. 3). Führt der das Völkerrecht verletzende Staat das Streitschlichtungsverfahren nicht nach Treu und Glauben durch, dann sind Gegenmaßnahmen jedoch wieder zulässig.

      Zur Verhängung einer Gegenmaßnahme ist grundsätzlich nur der Staat berechtigt, der selbst in einer sich aus dem Völkerrecht ergebenden Rechtsposition verletzt wird. Handelt es sich bei der verletzten Völkerrechtsnorm um eine solche, die erga omnes-Pflichten normiert, dann dürfen auch die insoweit nicht unmittelbar betroffenen Staaten Gegenmaßnahmen ergreifen. Die GV-Res. 56/83 zur Staatenverantwortlichkeit räumt in Art. 48 dem Dritten aber lediglich das Recht ein, von dem Verletzerstaat die Einstellung des völkerrechtswidrigen Verhaltens und die Erfüllung seiner Verpflichtung zur Wiedergutmachung zu fordern.

      Gegenmaßnahmen dürfen nur gegen den das Völkerrecht verletzenden Staat und in der Absicht vorgenommen werden, diesen zur Erfüllung der sich aus seiner Völkerrechtsverletzung ergebenden Pflichten zu veranlassen.

      Grundsätzlich kommen als Gegenmaßnahmen alle staatlichen Handlungen in Betracht. Art. 50 enthält allerdings eine Auflistung bestimmter Verpflichtungen, deren Beeinträchtigung im Zuge von Gegenmaßnahmen nicht erlaubt ist. Diese Verpflichtungen ergeben sich insb. aus dem → universellen Gewaltverbot (Art. 50 Abs. 1 lit. a), der Verpflichtung zum Schutz fundamentaler Menschenrechte (Art. 50 Abs. 1 lit. b, → menschenrechtlicher Mindeststandard) und den anderen