Karolin Freund

Der Theatermonolog in den Schauspielen von Hans Sachs und die Literarisierung des Fastnachtspiels


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antike handelt, nach der Schaffenspause von neun Jahren ab 1545 vor allem um das Dekameron. Ihre enorme Bedeutung für die Entwicklung der Dramen- und Monologtechnik von Sachs zeigt sich anhand der folgenden Nachzeichnung des poetologischen Aneignungsprozesses.

      In einem ersten Schritt ist hierfür auf die Bedeutung der Begriffe Tragödie und Komödie, wie sie in der Frühen Neuzeit galten, einzugehen, um das poetologische Verständnis der neulateinischen Dichter zu verdeutlichen. Danach wird gefragt, inwiefern das zeitgenössische Begriffsverständnis von Komödie und Tragödie für Sachs eine Brückenfunktion für die Entwicklung seines eigenen Dramenverständnisses bereit stellte, mithin sein Gattungsverständnis in den vorfindlichen Konturen als Ausdruck einer produktiven Rezeption der Angebote der humanistischen Gelehrtenkultur literarhistorisch zu begreifen ist.

      In einem zweiten Schritt ist die in den Fastnachtspielen verwendete Monologtechnik auf ihren möglichen poetologischen Aneignungsprozess durch Sachs zu befragen. Hierfür erfolgt unter Verwendung der Monologtypologie, die anhand der Fastnachtspiele erstellt wurde, eine Durchsicht der zeitlich vorgelagerten Schauspiele. Auf diese Weise lässt sich darstellen, inwieweit die von Sachs in den Fastnachtspielen verwendete autokommunikative Gedankenrede mit seiner Rezeption und Auseinandersetzung in den Bearbeitungen von Vorlagen der Tragedis und Comedis korrespondiert.

      Zu fragen ist insbesondere, inwiefern sich Sachs Varianten des Monologs aus den Vorlagen aneignete und nachbildete oder darüber hinaus eigenständige Formen an neuen Stellen oder in modifizierter Form in seine Bearbeitungen einfügte. Diese Nachzeichnung eines poetologischen Entwicklungsprozesses als Tiefenanalyse, der Aufnahme und Verständnis ebenso umfasst wie Anwendungen und Modifikationen, erfolgt chronologisch. Es werden zunächst die Werke aus den Jahren 1527–1536 betrachtet, die auf antiken und neulateinischen Quellen beruhen. Anschließend werden für den Zeitraum 1545–1549 die Rezeption und Nachdichtung des Dekameron und die Menaechmi-Bearbeitung betrachtet.

      Um einer Antwort auf die Frage näher zu kommen, wie sich der poetologische Aneignungsprozess für die nachgewiesenen Monologtechniken der Fastnachtspiele darstellt, wird im dritten Schritt die Übertragung von Dekameron-Novellen in dramatische Texte analysiert. Weiterführend wird untersucht, inwiefern die Übertragung der Erzählinstanz in dramatische Figurenrede Grundlagen für den Einsatz des Monologes bereit gestellt hat.

      Zu fragen ist insbesondere nach einer Funktionalisierung der autokommunikativen Gedankenrede für eine dramaturgisch schlüssige Präsentation von Handlungssituation und Handlungsgang, die es Sachs ermöglichte, einen Handlungsaufbau nach „anfang, mittel und endt“ zu strukturieren. Dieser vierte Schritt führt den Bogen der Untersuchung über die in der Typologie benannten strukturellen und handlungsbezogenen Kategorien hinaus. Mit der Analyse des Monechmo wird schließlich die Aneignung von Elementen zur Präsentation von Komik und die Entwicklung der schwankhaften Handlungskonstruktion in den Fastnachtspielen verdeutlicht.

      Diese „poetologiehistorische“ Untersuchung sieht Sachs als einen Autor, der rezipierend und produzierend in einem literarhistorischen Produktions- und Bildungsprozess stand. Der Monolog fungiert in dieser analytischen Sicht- und Vorgehensweise als ein Gelenkstück für die Entwicklung der Dramentechnik und für das Verständnis von Schauspielen als Tragödie bzw. Komödie.

      1 Gattungsverständnis in der humanistischen Gelehrtenkultur

      1.1 Komödie

      Das Verständnis von Komödien ging in der Frühen Neuzeit maßgeblich auf Auseinandersetzungen mit Dramen von Terenz zurück, der mit der Wiederentdeckung des Kommentars von Aelius Donatus1 1433 in Italien und spätestens 1456 in Deutschland ins Zentrum des gelehrten Interesses rückte. Als Peter Luder 1456 an der Universität Heidelberg seine Inauguralrede hielt, hob er den didaktischen Wert der Poesie im Allgemeinen und den der Komödien des Terenz im Besonderen hervor.2 Seine ein Jahr später gehaltene Terenz-Vorlesung, in der er gleichfalls den didaktischen Nutzen betont, war so erfolgreich, dass er sie in Erfurt und Leipzig wiederholte.

      Luder, wie auch Donat in De Comoedia, stützt seine Argumentation auf Ciceros Lob der Komödie als Spiegel der Sitten und Charaktere.3 Donat führt aus:

      Die Komödie ist eine Geschichte, die verschiedene Darstellungen von Leidenschaften von Bürgern und Privatleuten beinhaltet, aus denen man lernt, was im Leben nützlich und andererseits zu meiden sei. […] Cicero sagt, die Komödie sei eine Nachahmung des Lebens, ein Spiegel des Alltags, ein Abbild der Wahrheit.4

      Der von Donat formulierte Anspruch an die Komödie, ein Spiegel der Sitten zu sein, war das Hauptargument für Luther und Melanchthon, das Theaterspiel im Verlauf der Reformation zu legitimieren, ermöglicht es doch eine Nachahmung des Lebens und, bei entsprechender Lesart, die Vermittlung moraldidaktischer Inhalte. Neben solcherart Vermittlung trat die universitäre Grammatik- und Rhetorikschulung, eignen sich Komödien doch bestens für die lateinische Sprachausbildung.5

      Der didaktische Ansatz im Zugang zum Drama fand schließlich ab dem 15. Jahrhundert seine Umsetzung in der Dramenproduktion. Er war in der Frühen Neuzeit ein wesentlicher Zweck der Dramendichtung. Vor diesem Hintergrund sind auch die Werke von Sachs als Teil eines literarhistorischen Gesamtprozesses zu sehen.

      Die Komödie nahm möglicherweise gegenüber der Tragödie in der Frühen Neuzeit eine bevorzugte Stellung ein, weil die Rede vom Drama als Spiegel der Sitten, das eine Besserung des Menschen bewirke, nur die Komödie betrifft. Die Ausnahmestellung von Terenz unter den antiken Dramendichtern spiegelt sich nicht nur bei Donat und Luder, sondern auch im ersten Druck eines antiken Autors und der ersten deutschen Übersetzung wider: 1470 wurde in Straßburg eine Terenzausgabe gedruckt und 1486 übersetzte Hans Neidhart den Eunuchus ins Deutsche. Die mit Anmerkungen versehene Übersetzung wurde ohne große Veränderung, insbesondere ohne Versifikation, sondern unter Beibehaltung der Prosa in die Grüninger-Ausgabe von 1499 übernommen.6

      Die Besonderheit von Neidharts Übersetzung ist die ausführliche Kommentierung des Stückes, die auch dramentheoretische Aussagen zum Aufbau von Komödien liefert. Dies ist hervorzuheben, da Neidharts Text mit Sicherheit Sachs bekannt war und als Vorlage für seine Comedi Von der bulerin Thais und iren zweyen bulern, dem ritter Thraso und Phoedria diente.7

      Neidhart stellt seinen Erläuterungen zur Komödie ein Vorwort und ein doppeltes argumentum voran. Er gibt nicht nur für die Komödie im Allgemeinen, sondern auch für ihre einzelnen Bestandteile sowie für das argumentum Erläuterungen. Um die Lektüre des Dramas zu erleichtern, geht er zu einer Erklärung des Begriffes comoedia über, den er als dem Leser unbekannt einstuft, denn es bestehe eine „grosse notturfft“, ihn zu erklären.

      Ähnlich wie schon Donat bezieht sich Neidhart auf Ciceros Lob der Komödie als Spiegel der Sitten und der Wahrheit und hebt in gleicher Weise den didaktischen Nutzen hervor. Mit der etymologischen Erläuterung des Wortes comoedia ordnet er die Figuren dem mittleren Stand zu. Die Komödie sei in vier Teile gegliedert: (a) der Vorrede („Methaplasmus“) folgen (b) der Anfang und eine Aufzählung der Verwicklungen, so dass das Volk neugierig werde („Prothesis“), woraufhin (c) die Konflikte sich so zuspitzten, dass alle betrübt seien („Epenthesis“), aber am Ende (d) die Betrübnis sich zu einem glücklichen Ausgang wende („Paragoge“). Diese vier Teile werden in fünf Akten untergebracht.8

      Im weiteren Verlauf der Kommentierung findet sich eine Differenzierung zwischen Dialog und Monolog, indem Neidhart darauf verweist, dass „man verstan soll welche person in ainer yeden geschicht rede. Es seie das ir lützel oder vil darinn mit ainander reden. Oder es rede ain person mit ir selb.“9 Wie ein Monolog gestaltet sein sollte, erörtert er nicht.

      Da eine didaktische Dichtungsintention für nahezu alle frühhumanistischen Dichter zutrifft, ist es keine Überraschung, dass Albrecht von Eybs Abhandlung zur Komödie, die er zwar 1472 und damit vor Neidhart geschrieben hat, die aber erst 1511 gedruckt wurde, ebenfalls im Zusammenhang mit einer Tugendlehre steht. Die Übertragung der Komödien Menaechmi und Bacchides von Plautus und die damit einhergehenden allgemeinen Äußerungen zur Komödie wurden dem Spiegel der Sitten, einer Tugend- und Ständelehre, angefügt und dienen als Beispiele für „falsches