Karolin Freund

Der Theatermonolog in den Schauspielen von Hans Sachs und die Literarisierung des Fastnachtspiels


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      Wie die Exposition des Fastnachtspiels setzt sich die Hinführung zur Peripetie aus einer Kette von drei Monologen zusammen. Den dritten Monolog der Kette, der auch der letzte des Fastnachtspiels ist, gestaltet Sachs wieder in Parallelität zu den vorhergehenden Zutrittsmonologen der Kupplerin. Auch hier kommt die Kupplerin zu dem bereits aufgetretenen Ehemann und liefert eine teichoskopische Beschreibung des von ihr ‚Auserwählten‘ (vv. 259–264):

Dort geht ein mann artlich gebutzt,
260 Der stets hin vnd herwider gutzt,
Samb er nach schoͤnen Frawen sech.
Ich wiln anredn mit worten spech,
Ob ich den in den kluppen brecht,
So stuͤnd der handel wol vnd recht.

      Wie schon in der zweiten Teichoskopie ergibt sich aus der Beschreibung des Ehemannes eine Fremdcharakterisierung, aufgrund derer sich die Kupplerin entschließt, den Mann anzusprechen. Anders als im Fall der Frau verfügen die Rezipienten indes über den Informationsvorsprung, dass der Ehemann nicht nach Frauen Ausschau hält, sondern seine Ehefrau sucht. Dem Monolog kommt wesentlich die Funktion zu, dass die Kupplerin den für die Handlung entscheidenden Entschluss fasst, den Mann anzusprechen, der schließlich zum Höhepunkt, dem Zusammentreffen zwischen Ehefrau und Ehemann, führt.

      In der Vorlage ist dieser Vorgang mit sieben Versen erheblich kürzer dargestellt. Dass die Kupplerin den Domherrn nicht finden kann, macht die Regieanweisung „Nu lauft die Kupplerin und sucht den Thumherrn und fand sein nicht pald.“ (S. 280 v. 1) deutlich. Fünf Verse später folgt die Information, dass es sich um den Ehemann der Frau handelt. Die Magd schaut aus dem Fenster und sagt „O frau, sie bringt furwar euren man.“ (S. 280 v. 7).

      Wie schon der Handlungsumschwung und die Konfliktentwicklung aufgrund der Absage des Domherrn nicht in einen Monolog gefasst sind, so wird auch der zweite Umschwung, die ‚rettende Idee‘ für die Ehefrau, in der Bearbeitung nicht durch einen Monolog vermittelt. Sie erfolgt im Dialog der Frau mit der Magd, indem die Magd wie auch in der Vorlage der Frau rät, auf den Ehemann loszugehen und ihm Vorwürfe zu machen. Es ist demnach keine Ausnahme, dass in diesem Fastnachtspiel Monologe nicht direkt am aktionalen Punkt der Situationsveränderung, dem Ablauf der Handlung positioniert sind, sondern davor oder danach. Die Monologfunktion lässt sich hier eher der motivierenden Handlungsvorbereitung und Situationsentwicklung zuordnen.

      Der Beginn ist durch drei aufeinanderfolgende Monologe geprägt, von denen die beiden ersten wesentlich der Figurenzeichnung dienen. Sie stellen, teilweise analeptisch konstruiert, enthüllend Motive und Absichten heraus und entwickeln so die figurenperspektivische Sicht für die Handlung.

      Im Gegensatz zum vorreformatorischen Fastnachtspiel vermitteln hier die Monologe die Handlungsmotive der Figuren. Die Enthüllungen von Absichten, Selbstcharakterisierungen und die Darstellungen von Affekten basieren auf Stereotypen wie etwa ‚der seiner Ehefrau überdrüssige Mann‘, ‚die flatterhafte junge Frau‘ und ‚die verschlagene Kupplerin‘. Die dargestellten Motivationen dienen nicht komplexeren Figurenkonstruktionen,20 sondern der Handlungsbegründung.

      Es stellt sich die Frage, weshalb Sachs Handlungsmotivierungen einfügte, obwohl die Vorlage die Handlung bereits verständlich darstellt. Ein mögliches Unverständnis seiner Rezipienten scheint als Begründung allein auch deshalb wenig plausibel, weil es hierfür keinerlei Belege gibt. Vielmehr ging es Sachs um den kausalen Aufbau der Spielrealität. Nicht der Zufall sollte Handlungsauslöser sein, sondern intentionale Entscheidungen der jeweiligen Figuren. Dieser Funktion lassen sich acht der zehn Monologe zuordnen.

      Mit Ausnahme der Schlussszene, die rein dialogisch ist, bilden die Monologe im strukturellen Gefüge regelmäßig den Anfang oder das Ende einer Szene. Einen abgesetzten Schlussmonolog gibt es nicht. Monologe führen Zeitsprünge, Ortswechsel sowie Veränderungen der Figurenkonstellation ein. Da die letzte Szene auch hier eine Ausnahme bildet, ist davon auszugehen, dass Sachs grundsätzlich die Monologe zur strukturellen Gliederung funktionalisiert, zugleich aber Ausnahmen zulässt. Die drei Zutrittsmonologe inmitten der Szene dienen der teichoskopischen Beschreibung der auserwählten Personen und der Ankündigung, sie ansprechen zu wollen. Durch das Zurückgreifen auf denselben Monologtyp in der jeweils parallel gestalteten Situation – Kupplerin sieht ein potenzielles ‚Opfer‘ – werden den Rezipienten indes auch die Unterschiede in der Menschenkenntnis der Kupplerin vermittelt: Der Blick auf den Domherrn ist hier bestätigend, der auf die Ehefrau zweifelnd, denn es bedarf noch der Überredung durch die Magd, und hinsichtlich des Ehemanns wird ihre Menschenkenntnis ad absurdum geführt.

      Sachs setzt bis auf den Überbrückungsmonolog alle strukturell-gliedernden Monologtypen ein. Neben der handlungsbezogenen und strukturierenden Funktion dienen einige Monologe hauptsächlich dazu, die Komik des Spiels zu verstärken bzw. Komikeffekte in das Fastnachtspiel zu integrieren, die es in der Vorlage nicht gibt.

      Besonders deutlich ist dies an den letzten beiden Monologen der Kupplerin (vv. 241–248; vv. 259–264) zu sehen. Die Panik der Kupplerin „Potz Leber Hunr, wo muß ich nauß?“ (v. 241) bringt die Komik der Verzweiflung ins Spiel, erzeugt über das nun zentrale Handlungsproblem, einen neuen Mann finden zu müssen. Im Gegensatz zur Vorlage, in der die Komik durch verbale Attacken des anderen und Prügelszenen entsteht,21 greift Sachs auf Sprachkomik zurück, die die eigene Person und nicht mehr den Dialogpartner betrifft.

      Als zweites Beispiel kann der Monolog der Kupplerin in der sechsten Szene (vv. 259–264) dienen. Darin ermöglicht das mehrperspektivische Wissen die Entstehung von Komik: Da die Rezipienten über einen Informationsvorsprung verfügen, der sie wissen lässt, dass es sich um den Ehemann der Frau handelt, den die Kupplerin sieht, weckt ihre Interpretation der Handlung des Hin- und Herschauens vor allem die Spannung der Rezipienten auf die Auflösung dieses Irrtums und auf die Bloßstellung der Intrigantin.22 Die noch zuvor in der Beschreibung des Domherrn und teilweise der Frau treffende Menschenkenntnis der Kupplerin versagt nun.

      Neben der Vermittlung von Figurenperspektiven, die dem logischen Handlungsaufbau dienen, liegt die Funktion einzelner Monologe zudem in der Entwicklung bzw. Verstärkung von Komik. Der Handlungsgang ist auf das ‚Spiel mit der Intrige‘ bzw. des ‚betrogenen Betrügers‘23 ausgerichtet und etabliert dadurch im Gegensatz zum vorreformatorischen Fastnachtspiel eine neue Form der Komik.

      Der durch den Monolog vermittelte dramaturgische Anspruch von Sachs liegt vor allem in der Handlungsmotivierung. Sind die Figuren auch nicht weniger gut oder schlecht gezeichnet als in der Vorlage, erscheint ihr Handeln gleichwohl wesentlich kausal begründet. Die Handlungslogik ist hier immer zugleich Verständnishilfe für die Rezipienten, weil die monologisierenden Figuren selbst das Verständnis der Handlung mittels Erläuterungen und Kommentierungen des eigenen und fremden Handelns fördern. Für die Komik der Intrige ist dies eine notwendige Vorausetzung.

      Die von Sachs ausgeführten dramaturgischen Änderungen lassen schließlich danach fragen, wie er zur Beherrschung der vorgestellten dramatischen Technik gelangen konnte. Eine Analyse der Monologe in den Tragedis und Comedis aus den Jahren 1527–1549 und deren Vorlagen soll hierauf Antworten geben.

      Teil B: Poetologiehistorische Untersuchung

      Von 1517–1549 dichtete Hans Sachs insgesamt 19 Fastnachtspiele, von denen bereits einige kurze Monologe aufweisen. Funktionalisierungen, wie in der Typologie dargestellt, finden sich wiederkehrend erst in den Fastnachtspielen ab 1550. Von den insgesamt 347 Monologen lassen sich nur sieben in Fastnachtspielen vor 1550 nachweisen.

      Neben dem Fastnachtspiel erweiterte Sachs sein Werk um zwei ‚neue‘ dramatische Gattungen, die Tragedis und Comedis, die er ab 1527 zu dichten begann. In diesen 28 Schauspielen finden sich Monologe bereits in großer Zahl, zeitlich gesehen also vor