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Ethik in den Kulturen - Kulturen in der Ethik


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sollen „in“ den betroffenen Disziplinen und nicht „neben“ diesen bearbeitet werden. Erforderlich sei demnach nicht eine Ethik, die „nach“ oder „zu den Wissenschaften“, sondern „in den Wissenschaften selbst“ stattfindet.

      Außer den eher räumlichen Metaphern „in“, „neben“ und „zu“ kommt mit „nach“ auch eine zeitliche Metapher vor. Wie Werner Köster2 im Wörterbuch der philosophischen Metaphern ausführt, kann „Raum“ als „Meta-Metapher“ bezeichnet werden, die ein „ganzes Feld von topischen Begriffen […] strukturiert“ und somit grundsätzliche Unterscheidungs-Möglichkeiten für jeden Bereich des Denkbaren erlaubt. Hierzu gehören Begriffe wie z.B. innen oder außen, peripher oder zentral, höher oder tiefer sowie Ebene, Stufe, Schwelle und viele mehr (siehe Köster 2007: 278). Weiter zählt hierzu insbesondere die räumliche Metapher der „Grenze“, die mit Blick auf den wissenschaftlichen Erkenntnisvorgang mit dem Erfordernis der Gedankenklärung, der methodischen Sicherung und Wiederholbarkeit von Erkenntnis als „Definieren“, also als Einführen von begrifflichen Unterscheidungen, besonders relevant ist (siehe Zill 2007: 144f.). Nun könne, so wird oben in der Paraphrase ausgeführt, anwendungsbezogene Ethik einerseits „in den Wissenschaften selbst“, also im „begrenzten Bereich“ einer Wissenschaft, betrieben oder andererseits fälschlicherweise neben diesem Bereich, nach diesem oder zu diesem hin praktiziert werden. Freilich funktioniert hier „Bereich“ wiederum nur im übertragenen Sinne, da die Wissenschaften nicht an bestimmte Orte gebunden sind und auch nicht als materielle „Container“, die etwas enthielten, aufgefasst werden können. Intuitiv kann jedoch wohl jeder mit dieser „verräumlichten“ Redeweise etwas anfangen, so dass „Ethik in den Wissenschaften“ bereits als etablierter Topos gelten kann, der sich zur Argumentation, Plausibilisierung und Illustration eignet und dessen Metaphorik „eine besondere Kraft zu überzeugen zukommt“ (Brenneis 2014: 89f.). Ich folge hier Andreas Brenneis, der Metaphern über das Moment des unüblichen Sprachgebrauchs charakterisiert: „Metaphern resultieren daraus, dass sprachliche Mittel in ungefügter Weise miteinander verwendet werden, dass Worte aufeinander bezogen werden ohne dies von sich aus anzubieten […]. Mindestens zwei der Bestandteile eines Satzes erzeugen zusammen eine unerhörte Beziehung, die einen Leser und sein Verständnis irritieren, verunsichern, beeindrucken oder begeistern kann“ (siehe ebd.). Metaphern können, wenn ihre Verwendung – wie es vielleicht bei der Rede von „Ethik in den Wissenschaften“ der Fall ist – nicht mehr überrascht, zu Topoi werden (Brenneis 2014: 93), also zu Gemeinplätzen, die sich als Gesichtspunkte zur Findung von überzeugenden Argumentationen, Begründungen und Beweisen eignen (siehe Hubig 1990: 140f.). Die begriffliche Undeutlichkeit eines Topos, also ein stark metaphorisches Moment, kann hier relativ zum Ziel des Argumentierens vorteilhaft oder nachteilig sein. Auch lassen sich wohl nicht alle Metaphern oder als Topoi verwendete Metaphern, insbesondere die auf das Denken bezogenen, in eine direkte Redeweise überführen. Es ist jedoch sicherlich ertragreich, den im Topos verborgenen begrifflichen Konzepten nachzuspüren und diese explizit zu machen – nicht um den Topos unbrauchbar zu machen (weil womöglich zweifelhaft, unklar, manipulativ etc.), sondern um das entsprechende Forschungs- und Lehrprogramm besser zu verstehen.

      Die räumliche Grenz-Metaphorik ist auch konstitutiv für das gängige Verständnis von Wissenschaft und den Wissenschaften. Zum einen gilt Wissenschaft im Allgemeinen als die Praxis zur Generierung von sicherem Wissen in Abgrenzung zum unverbindlichen Meinen und Vermuten oder einem unverstandenen Können (Kambartel 2004: 719f.; siehe Mildenberger 2007: 54f.). Zum anderen werden die Vorgehensweisen im Einzelnen, die Disziplinen, häufig über den jeweils behandelten Phänomen- und Problembereich sowie über die verwendeten Methoden (z.B. verstehen oder erklären) und die Begründungsart differenziert (z.B. apriorische oder empirische Argumente) (Kambartel 2004: 720). Freilich erweisen sich insbesondere durch verstärkte interdisziplinäre Kooperation in Forschungsprojekten die „wissenschaftlichen Fachgrenzen als durchlässig“, was jedoch nicht heißt, dass diese eigentlich nicht existieren oder sinnlos wären (siehe Brendel 2011: 2588). Allerdings setzt zumindest die Metaphorik einer „Ethik in den Wissenschaften“ derartige Fachgrenzen voraus: Es gibt viele Wissenschaften, die demnach durch bestimmte Merkmale voneinander unterscheidbar sein müssen. Zudem könne Ethik „in“ diesen oder „neben“ diesen voneinander abgegrenzten Wissenschaften betrieben werden. Weiter ist Ethik selbst eine durch Problembereich, Methode und Begründungsart von anderen Disziplinen abgrenzbare Wissenschaft. Werden die Wissenschaften nun in naiv räumlicher Metaphorik gefasst, dann drängt sich das Bild von Behältnissen wie z.B. Containern oder Aktenordnern auf (z.B. mit der Aufschrift „Biologie“), die einen Bestand wahrer Aussagen und geeigneter Methoden zur Erforschung des Problembereichs (hier: „das Lebendige“) enthalten – sonst aber nichts. Angesichts wissenschaftstheoretischer und -soziologischer Überlegungen scheint es heute jedoch sinnvoll, das statische „Containerbild“ zu überschreiten und die einzelnen Wissenschaften jeweils als dynamische Praxis zu begreifen, in der wissentlich und willentlich nach spezifischen Methoden gehandelt wird, um das Ziel einer Problemlösung und gesichertes Wissen zu erreichen (siehe z.B. Düwell 1996: 220f.; Mildenberger 2007: 52f.). Somit hätten wir bildlich nun zwar nicht mehr zwei statische Behältnisse, eines der normativen „Ethik“ und z.B. eines der möglichst wertneutralen „Biologie“ ohne Moral oder ethische Fragen, jedoch bleiben doch von einander deutlich unterschiedene Verfahrensweisen, die auch in verschiedener Weise mit den ihnen jeweils inhärenten gelebten Werten und Normen umgehen. Eine weniger metaethisch interessierte, sondern eher problemorientierte anwendungsbezogene Ethik könnte nun – laut IZEW-Topos – den Akteuren der biologischen Wissenschaftspraxis fälschlicherweise „ungefragte“ Moralaufklärung leisten (über implizite Werte, mögliche Folgen und Probleme der Forschungspraxis etc.) und diesen sodann Vorschriften über wünschenswertes Verhalten machen – so interpretiere ich die metaphorische Rede von einer (verfehlten) Ethik „zu“ den Wissenschaften. Dagegen bestünde eine (ebenfalls verfehlte) anwendungsbezogene Ethik „nach“ den Wissenschaften wohl darin, dass zu Forschungsverfahren und -Produkten einer der Wissenschaften nachträglich eine (womöglich abwegige) ethische Fachexpertise eingeholt wird – ohne über die erforderliche Sachkenntnis zu verfügen. Das laut Topos wünschenswerte Vorgehen bestünde dann vermutlich in kooperativen Forschungsprojekten im Sinne einer Technikfolgenabschätzung. Ein Blick in einige programmatische Texte des IZEW zeigt, dass die Präposition „in“ zumeist für Inter- oder Multidisziplinarität steht (siehe Engels 2005: 146; Mieth 2007: 39ff.), wobei das verfehlte „neben“ entsprechend einen Mangel an Sachkenntnis in den für die anwendungsbezogene Ethik zumeist erforderlichen „gemischten Urteilen“ ausdrückt (Düwell 2001: 172f.). Wenn Wissenschaften als „Praxis“ aufgefasst werden und nicht nur als Aussagensysteme und Methodensets, dann kommen in dieser Praxis wertbasierte Präferenz-Entscheidungen vor, die so oder auch anders ausfallen und auch außerwissenschaftliche Werte berücksichtigen können. Die Annahme einer „Wertfreiheit“ der Wissenschaft kann dann nur noch ein „innerwissenschaftliches, methodisches Prinzip“ sein (Mack 1989: 31f.). Es scheint mir plausibel, dass aus der Annahme, Wissenschaft sei die Praxis des Strebens nach gesichertem Wissen, auch eine auf diesen Zweck relativierte „allgemeine Wissenschaftsethik“ bzw. „Professionsethik“ folgt, die zur ständigen Reflexion des Handelns auffordert und sich an Werten wie z.B. methodische Sorgfalt, Wahrhaftigkeit oder Kollegialität orientiert (Engels 2004: 12). Wissenschaftler/innen sind insofern „vor allem für die Wahrheit des von ihnen produzierten Wissens verantwortlich“ (Mildenberger 2007: 59). Darüber hinaus scheint es sinnvoll, eine besondere Verantwortung bzw. Professionsethik der jeweils einzelnen Wissenschaften aufgrund der Besonderheit ihrer Gegenstände anzunehmen (z.B. Engels 2004: 14f.).

      Das aber sind zunächst einmal begriffliche Thesen darüber, was Wissenschaft ist und eigentlich sein sollte, nämlich eine selbstbewusste Praxis, die nicht ohne ethische Reflexion denkbar ist, da jede Praxis mit wissentlich und willentlich ausgeführten Handlungen und Überlegungen zu tun hat. Mit dem Topos „Ethik in den Wissenschaften“ verbunden ist also zum einen eine Antwort auf die Frage, was Wissenschaft ist und sein soll (nämlich eine neben der disziplinären Wissensgenerierung und Problemlösung auch zu verantwortende und ethisch zu reflektierende Tätigkeit), zum anderen wird damit aber die tatsächliche Wissenschaftspraxis fokussiert, in der nicht notwendig, nicht vorbehaltlos und auch nicht ständig ethisch reflektiert wird. Für diese Praxis ist das gemeinsame ethische Reflektieren