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Ethik in den Kulturen - Kulturen in der Ethik


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einer wissenschaftsethischen Mentalität“ (Mieth 1990: 328). Es ist nicht ganz klar, ob hier die Wissenschaftler/innen in ihrer Rolle oder allgemein als Personen gemeint sind, die sich unabhängig ihrer bestimmten disziplinären Sozialisation, methodischen Kenntnis etc. in allen Praxisbereichen frei bewegen. Geht es im Topos „Ethik in den Wissenschaften“ also um Personen, die beiläufig auch Wissenschaftler sind, oder geht es um diese als Vertreter/innen einer bestimmten Wissenschaft? Entweder liefern die Teilnehmer/innen am interdisziplinären Austausch als Vertreter einer Disziplin gesichertes Sach- und Methodenwissen (z.B. über biotechnologische Zusammenhänge) oder sie betätigen sich, z.B. unterstützt durch „philosophisch ethische Zusatzstudien“ (Mieth 2007: 39), als Personen, die an einem Austausch über Werte und Normen teilnehmen. Aber nicht „alle möglichen Beteiligten“ sind auch schon „Ethiker“ oder “Ethikexperten“; z.B. dann nicht, wenn ihnen das „begriffliche Rüstzeug“ und die „Kenntnis der Argumentationsweisen der fachlichen Ethik“ fehlen (Mieth 2001: 299). Fachleute aus der philosophischen Ethik können sich dagegen über biotechnologische Erkenntnisse informieren lassen und als Laien auf diesem Gebiet Fragen stellen oder Zusammenhänge problematisieren, um diese womöglich zum Anlass für begrifflich-philosophische Reflexionen zu nehmen – nicht aber betreiben sie Biowissenschaft. Der Ort, an dem „Ethik in den Wissenschaften“ vorkommen soll, ist demnach vielmehr eine „Brücke“ zwischen den Disziplinen (siehe Mieth 2007: 41; siehe auch Engels 2005: 146) und somit nicht „in“ einer oder „in“ den Wissenschaften zu finden. Sollen nun, um die Metapher aufrecht zu erhalten, die Wissenschaftler als Personen auf diesem interdisziplinären Feld sich die philosophische Ethik zu eigen machen und diese praktizieren? Dann würde eine Person zwar nicht mehr in Ausübung ihrer spezifischen Methoden, aber doch veranlasst durch ihre Rolle als Wissenschaftlerin damit beginnen, ethische Fragen zu stellen und diese mit den Mitteln der Ethik zu bearbeiten. Wir befänden uns nicht mehr „in“ einer Wissenschaft, sondern eher in einer reflektierenden „Daraufsicht“ vom Standpunkt der Ethik – dann aber doch „neben“ der reflektierten Wissenschaft. Denn wenn nun tatsächlich philosophische Ethik betrieben wird, dann stellen sich notwendig zahlreiche metaethische, ontologische, argumentations-theoretische Fragen o.ä., die sich nicht ohne weiteres ignorieren oder als nur für bestimmte Praxisbereiche bzw. „Bereichsethiken“ relevant bezeichnen und also nur selektiv thematisieren ließen (siehe Richter 2015: 203f.; Hubig 2015: 193–205). Müssen sich Wissenschaftler als solche also für solch eine philosophische Ethik für Alle interessieren (Treptow 2015: 53)? Das scheint zunächst einmal nicht notwendig, insofern sie nur in ihrer disziplinären Rolle verbleiben und nicht das oben skizzierte Feld der Interdisziplinarität betreten und einen Rollenwechsel vornehmen. In den Disziplinen existieren bereits Professionsethiken bzw. ethische Leitlinien3 und wer sollte besser als die Fachleute selbst wissen, was das richtige Verhalten im Einzugsbereich ihrer jeweiligen wissenschaftlichen Tätigkeit ist (siehe Treptow 2015: 53f.)? Warum sollte darüber hinaus – im philosophischen Sinne – „in den Wissenschaften“ ethisch weiter gefragt werden?

      Das Problem ist nun, dass auch wenn die Auffassung von Wissenschaft als Praxis richtig ist, nicht eigentlich, wie der Topos fordert, davon gesprochen werden kann, dass „in“ den Wissenschaften Ethik stattfinden soll. Das Ziel des Problemlösens und der Generierung von gesichertem Wissen ist in der wissenschaftlichen Praxis dominant, eine gleichzeitige und ausführliche philosophische Reflexion der begrifflichen und normativen Grundlagen des Forschungsprozesses kann nicht durchgeführt werden, ja sie verhält sich zu diesem Ziel mithin störend oder schädlich. Entweder eine Wissenschaftlerin folgt der „Logik der Forschung“ ihrer Disziplin, oder sie reflektiert diese, z.B. um diese methodisch zu verbessern oder nach anderen Vorgehensweisen zu suchen, beides zugleich ist nicht möglich. Ein Beispiel: In der sozial- oder ingenieurwissenschaftlichen Forschung wird induktiv anhand üblicher quantitativer und qualitativer Standards argumentiert, ohne dabei angesichts des theoretischen Induktionsproblems die Leistungen und Grenzen der unterschiedlichen Umgangsweisen mit der problematischen Prämisse von der Gleichförmigkeit der Vergangenheit und Zukunft diskutieren oder zu Ende denken zu können. Ein anderes Beispiel: In der Forschungspraxis kann sich mir die Frage aufdrängen, ob es vertretbar ist, Tieren in Experimenten wirkliches Leid zuzufügen, um mögliche Therapien zur Verminderung des Leides von Menschen zu erschließen. Falls mit dem Ziel der Problemlösung weitergeforscht werden soll, dann muss das tierische Leid in Kauf genommen werden oder der Prozess wird beendet oder modifiziert o.ä. – bei dieser Reflexion und Entscheidung bewegen wir uns methodisch betrachtet jedoch nicht mehr „in“ den Biowissenschaften. Die Methode und Problemorientierung einer Einzelwissenschaft wird bei der ergebnisoffenen Reflexion dieser Praxis suspendiert. Wenn nach normativen Vorentscheidungen, impliziten Werten und Normen und Zielsetzungen gefragt wird, dann werden diese Frage nicht mehr in der Rolle des Wissenschaftlers bearbeitet, sondern so wie sie jeden Menschen betreffen, der wissentlich und willentlich handelt.

      Somit ließe sich nicht eigentlich Ethik „in“ den Wissenschaften betreiben, sondern mit den Methoden der Ethik wird ausgehend von Fragen, die sich in der Wissenschaftspraxis stellten, weiter gefragt – dann aber „neben“ der Wissenschaft. In diesem oben skizzierten „Zwischenraum“ wird nun nicht selbstzweckhaft Ethik betrieben, sondern es geht um spezifische Fragen, die wiederum zu einer Haltung der Nachdenklichkeit und des weiteren philosophischen Fragens führen. Man kann Marcus Düwell vollkommen zustimmen, dass hierbei der Kontakt zu den moralphilosophischen Grundlagenfragen auch in der Ethik unter Anwendungsbedingungen notwendig aufrechterhalten werden muss (Düwell 1996: 223). Denn jedes sich von den Selbstverständlichkeiten der Praxis distanzierende, philosophische Nachdenken über Moral führt letztlich u.a. auf ethische Basistheorien und erfordert z.B. einen Umgang mit dem vorliegenden theoretischen Pluralismus. Wie genau soll dann aber der Kontakt mit den moralphilosophischen Grundlagenfragen erfolgen? Weder sollen dabei die konkreten Fragestellungen der Wissenschaftspraxis und ihre Beantwortung aus dem Blick geraten, noch soll eine lediglich „kleine Ethik“ im Sinne eines bloßen Crashkurses o.ä. eingebracht werden. Da die philosophische Ethik nicht über einen festen Bestand an Kenntnissen und abgeschlossenem Wissen verfügt, zudem das Nachdenken nicht dogmatisch zugunsten einer höheren Moral abgebrochen werden kann, die philosophischen Methoden selbst immer weiter reflektiert werden müssen und auch der Erkenntnisanspruch der Ethik sich in Diskussion befindet (siehe Düwell 2015: 71), kann letztlich aus fachlicher Sicht der Ethik nur in den aktuellen Diskussionstand und das Praktizieren philosophisch-ethischen Nachdenkens eingeführt werden (siehe Richter 2015: 204). In Diskussion des Topos stoßen wir nun auf die Frage nach geeigneten Kommunikationsstrategien und didaktischen Konzeptionen zur Vermittlung philosophischer Ethik für einen Bereich, der sich ‚irgendwie‘ „neben“ dem fachlichen Wissen und Können der Wissenschaften befindet, aber für Wissenschaftler/innen dennoch notwendig interessant sein sollte. Mit der Diskussion um den Erkenntnisanspruch einer anwendungsbezogenen Ethik ist also die Frage nach didaktischen Konzeptionen ihrer Vermittlung eng verknüpft. (Hierzu hat das Tübinger Ethikzentrum ebenfalls Konzepte und Ansätze geliefert, z.B. im Rahmen des Ethisch-Philosophischen Grundlagenstudiums (siehe Maring 2005).) Auch wenn der Erkenntnisanspruch der anwendungsbezogenen Ethik und dessen Verhältnis zur wissenschaftlichen Praxis sowie die didaktischen Strategien einer Vermittlung weiterer Entwicklung bedürfen, so lassen sich abschließend doch zwei Argumente aus dem Begriff der Wissenschaft anbringen, die zeigen, dass eine philosophische Ethik für alle Wissenschaftler/innen als solche notwendig interessant sein muss (siehe Treptow 2015: 53) – auch wenn noch nicht abschließend klar ist, wie diese „neben“ den Disziplinen praktiziert oder im Curriculum verortet werden sollte.

      Das erste Argument stammt von Klaus Goergen, das er mit Blick auf einen für alle verpflichtenden schulischen Ethikunterricht anbringt – ich wandle es leicht ab. Das zweite Argument stammt von Markus Düwell und betrifft das Ziel der wissenschaftlichen Praxis.

      Wenn nun, das ist das erste Argument, Wissenschaft das Ziel des gesicherten Wissens erreichen soll, dann muss dabei auch geklärt werden, was „Wissen“ ist und was nicht: Gesichertes Wissen lässt sich nicht erstreben, ohne zugleich wissen zu wollen, was genau unter „Wissen“ verstanden werden kann und wie dieser Begriff gedacht werden muss. Die erforderliche begriffliche Klärung muss mit den Methoden der Philosophie durchgeführt werden und sie führt auch auf normativ-ethische Fragen (vgl. Goergen 2015: 95f.). Das zweite Argument beginnt mit einer von Marcus Düwell formulierten Frage (Düwell 2015: