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Ethik in den Kulturen - Kulturen in der Ethik


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Luhmann hat in seinem Werk „Liebe als Passion“ (Luhmann 1994) an die soziale Erwartung erinnert, dass Liebesgefühle, die erwidert werden wollen, erst kommunikativ auf ihre Belastbarkeit hin ausgewiesen, sich also einer Art Stresstest aussetzen müssen, damit sie von Adressaten als glaub- und vertrauenswürdig nachvollzogen werden. Weil der/die Andere die Unterscheidung noch nicht treffen konnte, die das echte vom bloß vorgespielten Gefühl, gar vom Schwindel, trennt, erwacht in der Selbstbeobachtung eine bislang noch schlafende Seite der Vernunft: es ist die Skepsis. Von nun an wird kritisch nachgefühlt.

      Solche Skepsis der anderen Seite kann aber durch eine gelingende Performanz der Eindruckserweckung zerstreut werden. Erinnert werden soll hier – aufgrund verfehlten Biologismus-Vergleichs – gar nicht an die eindrucksvollen Nistbau-Tänze der Paradiesvögel-Männchen; eher an das Vorbringen von Argumenten, es sei besser, wenn man sich mal ‚beim Italiener‘ treffen würde. Denn da erhofft sich das gefühlsbesitzende Individuum günstige Gelegenheit zu beweisen, dass Innerstes und Äußeres, Gefühl und Inszenierung tatsächlich in angemessener Verbindung stehen.

      Als besonderer Typ der Leidenschaft, als „Passion“, so die Nüchternheit dieser Theorie, kann Liebe erst dann überzeugen, wenn sie in symbolisches Handeln übersetzt, codiert und der Code auch entziffert wird. Folglich müssen Beweise her: galante Worte, die die Einzigartigkeit des Moments zelebrieren, Geschenke, die nicht jeder kriegt, allerlei uneigennütziges Tun, das von der Selbstlosigkeit dessen künden soll, der da an den Start geht – getrieben von einem erheblichen Teil seines Selbst. Droht dem sorgfältig ausgearbeiteten Performanzvorhaben das Scheitern, etwa durch die Tücke des Objekts – z.B. die sich auf dem Antlitz des Bewerbers verfangende Nudel aus Loriots gleichnamigen Sketch, dann gilt es, aller Irritation zu Trotz, die Oberhand über Konversation zu behalten. „Nein, sagen Sie noch nichts!

      So wird das Unwahrscheinliche, das Wunder der Liebe, durch die richtige Nutzung des Codes wahrscheinlicher. Die Bedienung des Codes soll das Innere des Anderen so triggern, dass entsprechende interaktive Anschlusshandlungen ausgelöst und sogar durchgeführt werden können. Und so kann es kommen, dass dann ein Geburtenjahrgang auf den nächsten folgt.

      Gelingt das dazu nötige Einvernehmen in Einzelfällen nicht, kann es sein, dass der Wind sich dreht und das Feuer der Leidenschaft auf der Seite der Skepsis zu lodern beginnt. Nicht Liebe, sondern Skepsis wird zur Passion. Längst vom Anlass abgelöst, macht sie daraufhin Einiges von sich her. Sie wächst zu einer Haltung an, die fortan den Zugang zur Welt schlechthin bestimmt – auch den Zugang zur Welt des eigenen Selbst. Es ist ein prüfender Zugang zu Dingen und Menschen, eine leidenschaftlich verfolgte Nüchternheit1.

      Folgen wir doch einmal diesem Pfad.

      II. Als das Zweifeln noch geholfen hat

      Als Skepsis wird sowohl eine einzelne Infragestellung, ein Gefüge von Zweifeln, aber auch eine Haltung verstanden, die auf ein prinzipiell distanziertes Verhältnis des Individuums zur Welt Wert legt. Wird diese Haltung durch emotionale Beharrlichkeit bekräftigt, die erfahrungsgesättigte Bestätigung vom Nutzen von Skepsis für’s eigene Handeln also durch Empfindungen eingefasst und begleitet, so soll von passionierter Skepsis bzw. von Skepsis als Passion die Rede sein.

      So verstanden ist Skepsis1 eine bis in die Selbstinszenierung derer hinein anstrengende Angelegenheit, die sich, in Attitüde und Kompetenz, ihrer Mitgliedschaft in einer ständig den Mangel an Eindeutigkeit (Bauman 1995) zu bewältigenden Moderne vergewissern. Als selbstbewusste Akteure mit der Lizenz zu permanenter Nachprüfung erhoffen sie sich die Zustimmung ihrer peer-groups. Das sind mindestens ebenso skepsispassionierte Zeitgenossen. Sie sollen bestätigen, dass der Habitus – oder ist es eher Haltung, Attitüde? – auch heute noch angesagt ist: als coole Attitüde des immerzu Durchblickenden, vornehmer: des gut informierten Bürgers (Schütz 1972: 85–101), unangenehmer: des Oberlehrers (Busch 1895). Und dass diese Unaufgeregtheit auch in Zukunft angesagt bleibt, so lange, wie die Moderne noch als solche bezeichnet werden kann – das wird man wohl noch sagen dürfen. Die Behauptung indessen, „wir“ seien nie modern gewesen (Latour 2008), scheint zwar so gar nicht zu derlei Skepsisinszenierung zu passen; jedoch ist sie der vorerst letzte der dernier cries, der entzückt. Wie aufregend! Auch noch die Grundlage der eigenen Habituslegitimation in Frage stellen, wie skeptisch ist das denn?

      Doch gut informierte Bürger sind nicht nur gut informiert; sie wissen sich durch die Kaskaden der Informationen auch noch einen Weg zu bahnen. Die dann dem Navi im SUV (Sport Utility Vehicle) vertrauen, dass es schon die Richtung weisen wird? Nein, Skeptiker lassen sich allenfalls Antworten vorschlagen. Gern auch über Geltungs- und Wahrheitsfragen. Der Satz „Wir glauben erstmal gar nichts“ wird zum Markenkern – z.B. eines sich als kritisch verstehenden Journalismus (Jansen 2016).

      Passionen wie die coolness zum Beispiel bilden nicht nur eine Herausforderung an das Individuum, die eigenen Gefühle überhaupt wahrzunehmen und darüber hinaus im Verhältnis zum eigenen Selbst achtsam zu begleiten; vielmehr sind sie über diesen egozentrischen Bezug hinaus auf Verständigung angelegt und damit auf die Gestaltung symbolischer Kommunikation durch das passionierte Subjekt. Dieses hat über den Selbstbezug hinaus erheblich mehr zu leisten, als auf die Einfühlung anderer zu vertrauen, deren Spürsinn schon noch die passende Verbindung zum eigenen emotionalen Innenraum herstellen wird.

      Trotz aller Ambivalenz der Moderne scheint die Skepsis darin einer Sehnsucht zu folgen – oder weniger sentimental formuliert – einem Motiv nach eindeutiger Feststellung, die durch das Widerlegen des Falschen erreicht werden soll. Und wenn schon die Mehrdeutigkeit der Welt nicht zu übersehen ist, dann suchen Skeptiker sie gleichwohl nach Reduktionschancen, auf Eindeutigkeit hin ab. Am Ende ihrer Prüfungen gelangen sie meist zu einem Ergebnis. Dann aber sagen sie eher selten: „Ich bin der festen Überzeugung“ – das sagen nur Politiker. Gestählt durch vielerlei Erfahrungen, Recht gehabt zu haben, bleiben hard- core-Skeptiker nur einer Grundlage, einem Prinzip treu. Das allerdings entzieht sich jeder Skepsis – das Prinzip, dass alles immer noch anders sein könnte. In schwachen Momenten sagen sie „Leider wahr.“ Dann, wie ertappt, korrigieren sie sich und sagen „Nach allem, was wir wissen …“. Und Sir Karl Raimund Popper winkt ihnen wohlwollend von seiner Wolke zu.

      III. Codes und Variationen

      Skepsis bewältigt so das Leiden an der Wackeligkeit des für feststehend Gehaltenen. Sie genießt aber die Genugtuung, genau von dieser Wackeligkeit zu wissen. Darin scheint endlich ein Ruhepunkt gefunden, in den nicht auch noch ständig Beweislast gegen den nagenden Zweifel, ob das jetzt wirklich das gute Leben ist, hineingeschleppt werden soll. Es bündeln sich die unterschiedlichsten Affekte in der Passion für das Existenzrecht anderer Möglichkeiten. Warum? Vielleicht weil diese Möglichkeiten nicht zum Zuge gekommen, gar unterdrückt sind? Weil capabilities übersehen wurden? Weil hinter der Maske das „wahre“ Gesicht nicht gezeigt wurde oder weil es nun die Skepsis ist, die sich verpflichtet sieht, erst recht dringend zur Maskierung aufzufordern? Aus Sympathie für versäumte Möglichkeiten ist Skepsis der subjektive Ausdruck der Kontingenz; als Passion gerät sie zur Nüchternheit, die an sich selbst trunken ist.

      Die Spielarten skeptischer Haltungen sind vielfältig. Da gibt es den chronisch missgestimmten Flaneur (Benjamin 1982), dem sein Kritischsein schon von Weitem angesehen werden soll; den tiefgründelnd melancholischen Asketen, der sich die Erfolge seiner Skepsis „am Material“ hart erarbeitet hat; oder die auf Dauerempörung angelegte Aktivistin, die immerzu nach neuem Nachschub für die Passion des Widerlegens sucht – sie alle verbindet doch ein Skepsis-Code: dass ihnen niemals und nirgends ein X für ein U vorgemacht, ein Glaubenssatz für Wahrheit gesetzt, ein Dogma für die Ewigkeit ausgegeben werden kann.

      IV. Erfolge und Misserfolge

      Starke Subjekte, das ist mal klar, sind skeptische Subjekte. Mehr noch: Skeptiker sein, heißt, gut gerüstet sein und dies auch zu zeigen. Gerüstet wofür? Für die – ungewollten – Irrtümer der Mitmenschen, das Selbst eingeschlossen; für die fiesen Manipulationen aller Art, die täglich auf sie einwirken, seien sie Nutzer der Medien, Verbraucher