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Ethik in den Kulturen - Kulturen in der Ethik


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Erfolgsbilanz von Skepsis ist eindrucksvoll. Öko-soziale Bewegungen verdanken der Kultivierung von Skepsis ihre Existenz, die Zurückweisung von ungerechtfertigter Macht ist ohne sie nicht möglich, auch nicht die sichere Bestimmung von Tatorten und die Aufklärung von Verbrechen: Skepsis – die Mutter aller Sicherheitsmaßnahmen.

      Wem passionierte Skepsis jedoch keinen Erfolg gebracht hat, könnte der Resignation den Vorzug geben, die in Verdrossenheit umschlägt. Es wird ein Überschuss an Skepsis als hinderlich wahrgenommen, war sie doch nicht hilfreich genug, an der Ungerechtigkeit der Verteilungsverhältnisse Wesentliches zu ändern. So schaut man vielleicht zu, wie andere die unwirksam gewordene Skepsis aufgreifen und sie instrumentalisieren.

      Dazu ein weiteres Beispiel, allerdings eines, das eher vom Behagen an der Resignation als von Verdrossenheit kündet.

      V. Skepsis als Populismus: vom Behagen an Resignation

      Vom sogenannten Euroskeptiker Nigel Farage, einer der treibenden Kräfte der Beendigung der Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs in der Europäischen Union, kam das statement, er habe 20 Jahre dem Lebensziel des Austritts gewidmet. Nach der gewonnen Abstimmung des Referendums wolle er sich aber doch lieber seinem Privatleben widmen, sagte er in seiner resignation-speech.1. Mit den praktischen Konsequenzen seiner leidenschaftlich betriebenen Euroskepsis wollte er nichts zu tun haben. Die Negativität, die in seinem anhaltenden Zweifel am Sinn der der EU-Mitgliedschaft lag, war immer auch mit gewagten Versprechungen über die zukünftige Unabhängigkeit des Landes verknüpft, als positive Verheißung. Er hatte sich – independence day – der Positivität einer Vision verschrieben, die ihrerseits die Skepsis seiner Gegner lautstark zur Seite wischte. Die Fragwürdigkeit dieses Vorgehens wurde durch Desinformationen zur Rolle des Landes in der EU begleitet, die von Aktivisten und Teilen der Massenmedien gestreut wurden: seht her, es gibt monetäre Fakten, die eben keinen Zweifel mehr zulassen, „we send the EU £ 350000 a day“.2

      Doch offensichtlich hat diese Spielart passionierter Skepsis eine Anziehungskraft, die nicht Wenige, die sie für eine aufrechte Haltung hielten, aufgebaut auf einem Bündel guter Argumente, im Nachhinein bereuen. Dieser Typ der sogenannten Euroskepsis geriet so noch stärker ins Zwielicht, das wiederum Skepsis-Skeptiker innerhalb Britanniens und vom Kontinent auf den Plan gerufen hatte. Wer Skepsis so stark auf Passionen der Abwehr, auf der Angst vor dem Verlust von politischer Selbstkontrolle aufbaut, Angst vor Überformung durch die EU und vor der Einwanderung geflüchteter Menschen, rückt sie als wirkmächtiges Instrument in die Strategie des Populismus. Begleitet von aufflackernden Gefühlen der Fremdenfeindlichkeit schwimmt sie auf den Wellen einer Leidenschaft, an deren Ende eine Entscheidung steht: nun gerade nicht mehr zu zweifeln. No doubt about it.

      Paradoxerweise gipfelt diese populistische Skepsis im Ausruf des Austritts-Aktivisten Michael Gove: “People in this country have had enough of experts!”3: Experten haben das Monopol auf Skepsis verloren, der Ball liegt in unserem Spielfeld, wir, die wir stolz sind, keine Experten zu sein – independent of knowledge.

      Darin gerät Skepsis zu einem Zerrbild ihrer selbst. Denn Skepsis meint doch eher eine Kultur sorgfältig erarbeiteter, kühl und distanziert vorgetragener Einwände, in der Argumente genannt und sie im Lichte von Wissen und Urteilskraft abgewogen werden – das Milieu des herrschaftsfreien Diskurses schlechthin. Mögen auch Gefühle diesen Prozess des Argumentierens begleiten, so hält sie sich zugute, zwischen beidem – Argument und Gefühl – doch deutlich unterscheiden zu können. Mehr noch: sie sieht sich geradezu in der Pflicht zur Selbstbeobachtung, ob und welche Emotionen ins Spiel kommen und dies den Adressaten auch offen zu sagen. Dass es Machtgefühle sind, in deren Dienst die Skepsis genommen wird, zeigt, wie wenig sie dem entgegenzusetzen hat und wie weit die Utopie vernünftiger Verständigung zurückgewichen ist.

      VI. Unfreiwillige Skepsis

      Skepsis als Passion, so der Befund, kann aus vielen Gefühlen und Gefühlskontexten schöpfen, die den operativen Kern des scharfen, des misstrauischen Verstandes mal mehr, mal weniger antreiben, aber auch verhüllen.

      Nur der Vollständigkeit halber sei an das oben angegebene Beispiel erinnert, an das Gespräch im Restaurant. Kaum begonnen, wird es durch die Aufmerksamkeitsverlagerung Hildegards (Evelyn Hamann) bedrückt, die von der Tücke des Objekts auf dem Antlitz ihres Gegenübers wie halluziniert erscheint. Er hingegen, verunsichert, ob denn etwas erfolgreich ausgehen wird, das er mit Sätzen wie „es gibt Augenblicke im Leben, wo die Sprache versagt“ und „wo ein Blick mehr bedeutet als viele Worte“ eingeleitet hat, im Unbehagen einer ihn schleichend erfassenden Skepsis begehrt er endlich eine Reaktion: „Warum sagen Sie denn nichts?“

      Literatur

      Bauman, Zygmunt (1995). Moderne und Ambivalenz. Das Ende der Eindeutigkeit. Frankfurt a.M.: Fischer.

      Benjamin, Walter/Tiedemann, Rolf (Hrsg) (1982). Walter Benjamin: Passagen-Werk. Bd I/II, Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

      Busch, Wilhelm (2007). Max und Moritz. Eine Bubengeschichte in 7 Streichen. Köln: Schwager & Steinlein.

      Farage, Nigel (2016): Resignation Speech. Abrufbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=z-QwY0mZzuA (Stand: 04.07.2016)

      Farage, Nigel (2016) Abrufbar unter: http://www.telegraph.co.uk/news/2016/06/24/nigel-farage-350-million-pledge-to-fund-the-nhs-was-a-mistake/ (Stand: 08.11.2016)

      Jansen, Hauke (2016): Leiter der SPIEGEL-Dokumentation in Eigenwerbung. Abrufbar unter: www.spiegel.de (Stand: 16.08.2016)

      Latour, Bruno (2008). Wir sind nie modern gewesen – Versuch einer symmetrschen Anthropologie. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

      Loriot (2011): Die Nudel. Abrufbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=zArEBFsviHs (Stand: 06.06.2016).

      Luhmann, Niklas (1994). Liebe als Passion: Zur Codierung von Intimität. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

      Schütz, Alfred (1972). Der gut informierte Bürger. Ein Versuch über die soziale Verteilung des Wissens In: Brodersen, A. (Hrsg.) Gesammelte Aufsätze. Studien zur soziologischen Theorie, Bd. II, Den Haag: Martinus Nijhoff. S. 85–101.

      Sky news. Abrufbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=GGgiGtJk7MA (Stand: 08.11.2016).

      Subalterne Urteilskraft und „Gerechtigkeit von unten“

      Matthias Möhring-Hesse

      Gemeinheiten von unten

      Eine Erklärung für den neuen Rechtspopulismus mit all seinen Schäbigkeiten und Gemeinheiten ist schnell bei der Hand: Bei Wahlen und auf Pegida-Demonstrationen begehren die Deprivierten und die Ausgeschlossenen, die Verlierer der Modernisierung und der Globalisierung, die „zu kurz Gekommenen“ auf – und melden sich als „Wir sind das Volk“ gegen die „da oben“ zur Wahl und zu Wort. Wer sich den Rechtspopulismus so erklärt, der mag auch in die Gegenrichtung denken: Am unteren Rande der auch in der Bundesrepublik zunehmenden sozialen Ungleichheiten lebt es sich nicht nur schwerer. Dort wird auch mit größerer Wahrscheinlichkeit falsch gedacht: gemeiner, aggressiver auf den eigenen Vorteil bedacht und aggressiver gegenüber anderen, erst recht gegenüber den Fremden, den Konkurrenten um öffentliche Aufmerksamkeit und sozialstaatliche Leistungen. Zwar sei es eine Frage der Gerechtigkeit, die von Deprivation und Ausgrenzung Betroffenen zu unterstützen und ihnen zu ihrem Recht zu verhelfen. Es sei aber gerade keine Frage der Gerechtigkeit, ihre Beurteilungen zur Kenntnis zu nehmen, sich ihre Einstellungen und Haltungen anzueignen und sich von diesen über deren Rechte aufklären zu lassen. Gerechtigkeit werden die, die so denken, für