Norbert Wibben

Raban und Röiven Insel der Elfen


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beeil dich!«

      Raban schüttelt verwundert den Kopf, folgt aber der Anweisung. Er rennt an der Längsseite vorbei, eine niedrige Eingangstür registrierend, die, schief in den Angeln hängend, offensteht. Der Junge blickt aber nicht hinein, sondern biegt kurz darauf um die Hausecke. Bei dem sich ihm bietenden Anblick steht er abrupt still. Das währt nur kurz, dann hastet er zu seinem Freund.

      Der Kolkrabe hockt mit schräg gelegtem Kopf vor einem leblosen Körper auf der Erde und murmelt etwas, woraufhin ein leicht goldenes Flirren von ihm zu der Gestalt hinüberströmt. Raban lässt sich ebenfalls nieder und breitet zitternd seine Hände aus.

      »Beatha! Beatha! Beatha!«, fordert er mit kräftiger Stimme und lässt gleich darauf ebenfalls Lebensenergie fließen. Nach einigen Momenten unterbrechen beide diesen Vorgang. Der Junge beugt sich mit bangem Blick vor, um den Puls zu ertasten. Er ist aber zu aufgeregt, um an dem schlaffen Handgelenk einen Pulsschlag wahrnehmen zu können. Also beugt er sich entschlossen über den leblosen Körper, öffnet den grünen Umhang und legt seinen Kopf dorthin, wo er den Herzschlag hören sollte. Er hält den Atem an und lauscht.

      »Nun. Wie sieht es aus?«

      »Bitte Ruhe. Ich bin nicht sicher.« Raban hält den Atem an. Hört er das Rauschen seines eigenen Blutes oder könnte das …? Ja, das ist eindeutig ein schwacher Puls zu vernehmen!

      »Er lebt. Aber, was macht er hier und wer hat ihn in diesen Zustand versetzt?« Raban richtet sich wieder auf und starrt abwechselnd auf den vor ihm liegenden Körper und auf den Raben.

      »Das wird er uns sagen, sobald es ihm besser geht«, versucht der schwarze Vogel, seinen aufgeregten Freund zu beruhigen. Er klappert mit den Augendeckeln und schaut auf den reglosen Mann. Plötzlich fährt Raban hoch, als er eine böse Ahnung hat. Er blickt suchend um sich.

      »Sollten das …? Das müssen feindliche Zauberer … Sgiath! Protego!« Raban hat um sie alle einen maximalen, magischen Schutz errichtet. Sein Blick streift suchend über die Umgebung. »Ich werde vorsichtshalber noch einen Heilungszauber sprechen. Vielleicht hat er eine innere Verletzung erlitten. Wenn er aber von einem dunklen Fluch getroffen wurde, hilft das leider nicht.« Der Junge breitet seine Hände erneut über den Mann und spricht dreimal »Salvus«. Sofort fließt ein goldenes Gleißen von ihm zu dem leblosen Körper, das kurz darauf erlischt. Jetzt hebt sich dessen Brust und ein einziger, leichter Seufzer ist zu hören. Das Gesicht hat immer noch eine ungesunde Färbung. Ob doch ein Fluch die Ursache sein sollte? Wenn das so ist, wie konnte er dann einen Hilferuf senden? Hat er ihn kommen sehen, aber nicht abwehren können?

      »Hilferufe erfolgen manchmal unbewusst. Vielleicht war das auch ein gedanklicher Ruf nach uns«, erwidert Röiven, der die Überlegungen seines Freundes mitbekommen hat. »Ich werde vorsichtshalber einen uralten Zauber versuchen, den ich von Elfrun, meiner Großmutter, gelernt habe. Ich muss mich konzentrieren. Halte du währenddessen die Umgebung im Blick.« Der schwarze Vogel ist kurze Zeit still, während der er seine Augendeckel geschlossen hält. Als er sie öffnet, leuchten sie zuversichtlich. Er murmelt knarzend einige Worte, die er offenbar dreimal wiederholt. Raban meint »Cum ri buidseachd« zu verstehen und fragt, als Röiven endet:

      »Der Spruch hilft wirklich gegen einen dunklen Fluch? In der Geschichte über Eila haben die Elfen im geheimen Wald Erdmuthe zu heilen versucht, nachdem sie von einem derartigen Zauber getroffen worden war. Wenn sie auch diesen Spruch nutzten, müsste ich ihn doch kennen, oder?«

      »Das kann ich nicht sagen. Damals war ich noch nicht geschlüpft. Da ich ihn von meiner Großmutter habe, muss der Spruch nicht unbedingt den Elfen bekannt sein. Vermutlich ist er das auch nicht, was erklären würde, warum du ihn nicht mit dem Wissen der Elfen übertragen bekommen hast. – Ich hoffe, dass der Spruch tatsächlich hilft. Soweit ich mich erinnere, stärkt er die Abwehrkräfte eines Zauberers gegen einen dunklen Fluch. Je nachdem, was das für ein Zauberspruch war, kann er auch versagen. Aber, hoffen wir das Beste!«

      »Etwas anderes bleibt uns wohl nicht übrig!« Raban ist skeptisch, da er keine Reaktion auf den Zauberspruch erkennen kann. Er beugt sich erneut hinab, horcht nach dem Herzschlag und richtet sich wieder auf. »Sein Herz arbeitet, auch wenn es unregelmäßig schlägt. Ich meine aber, dass es etwas kräftiger klingt.« In diesem Moment sehen sie, wie sich die Augen hinter den geschlossenen Lidern heftig hin und her bewegen. »Jetzt sollten wir besser von hier verschwinden. Womöglich lauern die, die ihm das angetan haben, noch hier!«

      Immer noch im vergangenen Herbst auf der Elfeninsel.

      Ein überreich ausgestattetes Zimmer liegt im hellen Licht vieler Kerzenleuchter. Von unzähligen vergoldeten Flächen wird es strahlend zurückgeworfen. Dieser Raum ist mit protzigen Möbeln und kostbaren Teppichen ausgestattet, die sowohl auf dem polierten Parkettboden liegen, als auch an den Wänden hängen. Der Teil einer verzierten Wand schließt sich in diesem Moment mit einem sanften Klicken.

      Soeben war hier noch ein schmaler Eingang zu einer nun verborgenen Kammer geöffnet, worauf jetzt nicht der kleinste Spalt hinweist. In diesem versteckten Zimmer leuchtet eine in der Luft schwebende Lichtkugel auf. Hier gibt es keine Fenster, dafür an jeder der drei Wänden bis zur Decke reichende Bücherregale, die allerdings kaum gefüllt sind. Die Geheimtür befindet sich in der vierten Wand und wird von danebenstehenden Vitrinen eingerahmt, in denen es im hellen Licht glitzert. Obwohl der Raum nicht besonders groß ist, befindet sich hier auch ein kleiner Schreibtisch, auf dem zwei alte Kerzenleuchter stehen. Die Kerzen werden entzündet und verbreiten auf der Tischplatte zwei warme, ineinanderlaufende Lichtkreise.

      Der Mann, der soeben eingetreten ist, trägt einen reich verzierten, purpurnen Umhang. Die schwarzen, langen Haare wirken etwas strähnig, was der Aufregung des Mannes zuzuschreiben ist. Er hat keine Zeit, wie sonst auf sein Äußeres zu achten, da er brennend daran interessiert ist, welche Schätze er erbeutet hat. Gestern Abend hatte er keine Zeit nachzuschauen, da er zu einem wichtigen Empfang geladen war. Wenn er der gewählte, neue König der Darkwings werden will, muss er sich bei verschiedenen Veranstaltungen sehen lassen. Dazu gehören besonders Wohltätigkeitsbasare, so wie gestern. Sie sind ihm ein Gräuel, was er allerdings nicht zeigen darf. Sein Ausdruck ist grimmig. Wenn er erst einmal König ist, wird er das alte Gesetz zur Regelung der Thronfolge ändern. Dass die Seitenlinie des Königshauses keine Berechtigung auf die Herrscherwürde hat, mag vielleicht einmal einen guten Grund gehabt haben, den er aber nicht erkennen kann. Wenn es dies Gesetz nicht geben würde, wäre er, Damian, seinem Bruder automatisch als Herrscher gefolgt, ohne dieses erniedrigende Buhlen um die Gunst der anderen Adligen vollführen zu müssen.

      Vielleicht wird er aber bereits früher der Herrscher werden, zwar nicht gewählt, dafür aber mit absoluter Macht ausgestattet. Aus seiner Sicht hat Duncan zwar Gleiches vorgehabt und ähnliche Voraussetzungen gehabt, das aber völlig falsch begonnen. Zaubern zu können bedeutet eben nicht, gleichzeitig über einen überragenden Geist zu verfügen, grübelt Damian selbstgefällig. Es ist aus seiner Sicht gut, dass der König von Duncan getötet worden ist, so musste er nicht zum Brudermörder werden, aber die Auseinandersetzung mit den fremden Zauberern hätte er zu vermeiden gesucht. Er grübelt.

      »Wer waren wohl diese Magier? Es müssen mehr als einer gewesen sein, doch die wenigen Jäger und Angehörigen der Palastwache, die den Kampf überlebten, hatten in der Endphase der Auseinandersetzung den Saal bereits verlassen gehabt. Sie waren erst zurückgekehrt, als Duncan tot am Boden lag. Ich war an diesem Tag in der ehemaligen Fairwingfestung und suchte in der Bibliothek nach Büchern über Zauberei. Nach der Rückkehr erfuhr ich vom Tod meines Bruders. Der königliche Ankläger untersuchte das Geschehen und fragte in meiner Anwesenheit die Überlebenden aus. Wie Duncan getötet worden war, konnten sie aber nicht berichten. Um die Verletzten hatten sich ein Mann und eine Frau gekümmert, berichteten sie. Außerdem war noch ein Knabe dabei, der sich mit einem großen, schwarzen Vogel unterhalten haben soll. – Hm. Sie sollen wie Fairwings gekleidet gewesen sein. Ob einer von ihnen möglicherweise Kenneth war? Darüber wurde nichts berichtet. Aber die königliche Jägerin