Norbert Wibben

Raban und Röiven Insel der Elfen


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einen Tipp geben, was ich gemeinsam mit Röiven unternehmen könnte? Er umsorgt seine Kinder viel zu sehr und wird sich noch damit überfordern, wenn ich ihn nicht auf andere Gedanken bringe.«

      »Was ist los? Dein Freund umsorgt seine Brut? Dabei heißt es doch immer »Rabeneltern«, wenn man zum Ausdruck bringen will, dass sich jemand nicht, oder nicht gut, um seine Kinder kümmert. Ich weiß, dass diese Bezeichnung entstanden ist, weil junge Raben nach dem Verlassen des Nestes noch sehr unbeholfen wirken. Daher schlussfolgerten viele Menschen, Raben seien schlechte Eltern und würden ihre Jungen vorzeitig im Stich lassen.«

      »Das trifft auf keinen Raben und am wenigsten auf Röiven zu. Ich glaube, mein Freund übertreibt die Fürsorge. Die jungen Vögel können sich bereits sehr gut selbst versorgen und fliegen auch schon ausgezeichnet. – Also. Hast du eine Idee? Seine Partnerin, Zoe, macht sich ebenfalls Sorgen.« In diesem Moment meldet sich Ciana, die auf dem Sofa sitzend noch eine Tasse Tee trinkt.

      »Wie wäre es, wenn du mit ihm noch einmal die Orte aufsuchst, an denen ihr vor zwei Jahren … Du schüttelst den Kopf und blickst skeptisch? Warum nicht?«

      »Ich bin mir nicht sicher, ob alle Orte eine positive Erinnerung bei ihm hervorrufen. An den ersten Stellen waren wir nicht erfolgreich. Wir konnten nicht verhindern, dass es Bearach gelang, immer mehr Kolkraben zu töten. Das weckt vermutlich traurige Erinnerungen oder bestärkt ihn noch mehr in der Überzeugung, die Kinder nur durch seine Nähe vor Unheil bewahren zu können.«

      »Aber es muss doch auch Orte geben, die mit positiven Erinnerungen verbunden sind.«

      »Das Tal, in dem wir die ersten Raben überzeugen konnten, Asyl im geheimen Wald zu nehmen. Hm. Von dort stammt Zoe, mit der zusammen er schon oft dort gewesen ist.«

      »Was ist mit dem Museum?«, wirft der Großvater ein.

      »Du meinst, wo unser ehemaliger Gegner Bearach jetzt als »Perseus mit dem Haupt der Medusa« ausgestellt wird? Dort bin ich mit ihm an einem frühen Morgen gewesen, als das Museum noch geschlossen war. Wir wollten uns vergewissern, ob Morgana das Haupt der Medusa, oder möglicherweise sogar Bearach, geholt hat, um sie wieder zum Leben zu erwecken.«

      »Genau. Wäre das nicht ein gutes Beispiel für eure erfolgreiche Zusammenarbeit im Kampf gegen das Böse?«

      »Ja, schon. Ich könnte … Ich werde ihn fragen, wohin wir gemeinsam gehen sollen, um einfach mal auf andere Gedanken zu kommen. Vielleicht klappt es ja und ich reiße ihn so aus der eingefahrenen Spur. Ich danke euch.

      Wartet nicht auf mich. Es kann sein, dass ich mehrere Tage mit Röiven unterwegs bin, auf unseren Spuren von damals.« Der Junge grinst die beiden an, umarmt sie und verlässt den Raum. Von seinem Zimmer aus nutzt er den magischen Sprung und begrüßt gleich darauf die Wachen am Eingang zum geheimen Wald.

      Unter der Linde stehend ruft er gedanklich seinen Freund.

      »Röiven, wo bist du. Komm bitte zu eurem Baum, ich möchte mit dir sprechen!«

      Es erfolgt keine Antwort, die der Junge auch nicht sofort erwartet hat.

      »Röiven. Ich bin‘s, Raban. Komm zu eurem Baum.«

      Nichts.

      »Du musst mich doch hören. Warum ant … Dir geht es doch gut?«, fragt der Junge sofort erschrocken. »Ist dir etwas passiert? RÖIVEN!«

      »Krch. Ich …« Stille!

      »Röiven. Wo bist du?«

      »Ich … ich weiß nicht …«

      »Öffne deine Sinne, lass mich durch deine Augen sehen.«

      Keine Antwort. Trotzdem konzentriert sich der Junge mit geschlossenen Augen und versucht, durch die seines Freundes zu schauen. Aber alles bleibt schwarz.

      »Röiven, öffne deine Augen!«, fleht Raban. Er wartet mit pochendem Herzen. Langsam wird es etwas heller, aber erkennen kann er immer noch nichts.

      »RÖIVEN! Klappe deine Augendeckel auf und zu und lasse sie dann etwas länger offen.« Tatsächlich. Es wird hell, dann dunkel und erneut hell. Raban strengt sich an. Was ist das, was er dort sieht? Ein paar grüne Striche, die nicht genau zu erkennen sind, laufen quer über das Bild, das nun wieder verschwindet. Sollten das Grashalme sein? Dann müsste sein Freund ja auf dem Boden liegen.

      »Röiven, liegst du auf der Erde? Versuche noch einmal, die Augen länger zu öffnen und einen Gegenstand zu fixieren.« Raban wartet. Es dauert etwas, aber dann wird es wieder hell. Die Grashalme werden unscharf, dafür erkennt der Junge nun eine alte Eiche. Der Knabe hofft, dass diese optischen Informationen für einen magischen Sprung ausreichend sind und ruft entschlossen: »Portaro!«

      Er steht nun auf einem Bergrücken mit Blick auf einen alten, knorrigen Baum. Viele der Äste sind unbelaubt, aber nicht alle. An vereinzelten Stellen ist dunkelgrünes Blattwerk zu sehen, dass der Baum noch einmal hervorgetrieben hat. Doch wo ist jetzt Röiven?

      »Krch!«, lässt ihn herumfahren. Dort liegt sein Freund auf dem Boden. Sofort fällt er auf die Knie und untersucht ihn. Eine Verletzung kann er nicht feststellen. Er dreht ihn um und horcht nach dem Herzschlag. Erleichtert atmet der Junge auf und breitet seine Hände über den Freund.

      »Beatha! Beatha! BEATHA!«

      Raban spürt ein leichtes Kribbeln an den Handflächen. Dann beginnt ein kaum sichtbares Licht von seinen Händen zum Kolkraben zu fließen. Das golden schimmernde Gleißen wird immer stärker. Die kleine Brust des Vogels beginnt sich etwas kräftiger zu heben und zu senken, wie der Junge erfreut feststellt. Raban beobachtet das helle Licht noch eine kurze Zeit, bevor er das Übertragen von Lebensenergie abbricht.

      Er beugt sich hinab und horcht erneut nach dem Herzschlag. Dieser klingt für ihn zwar nicht normal, eher unregelmäßig, aber immerhin kräftiger als eben. Da er im Moment außer Abwarten nichts weiter tun kann, blickt er sich um.

      »Wo sind wir und was wollte mein Freund hier?«, grübelt er. »Und was vielleicht noch wichtiger ist, warum befindet er sich in diesem Zustand? Wenn ich das richtig beurteilen kann, war er kurz davor zu sterben.« Sorgenvoll betrachtet er seinen Freund. Als er vorhin erneut nach dessen Herzschlag gehorcht hatte, fühlte er sofort die Knochen des Brustkorbs. Sollte Ilea Recht haben, und Röiven ist abgemagert? Dann vernimmt er einen tiefen Atemzug, mit dem rasselnd Luft in den kleinen Körper gesogen wird. Die Augendeckel des schwarzen Vogels flattern und öffnen sich langsam. Die dunklen Augen blicken verwirrt hin und her, dann bleiben sie auf dem Jungen haften.

      »Ra… ban. Me… Fr… nd …”«

      »Ruhig. Erhole dich erst.« Als die Augendeckel wieder zufallen, breitet der Junge seine Hände vorsichtshalber noch einmal über den Vogel und überträgt mit »Beatha« erneut Lebensenergie. Raban setzt sich abwartend ins Gras und lässt seinen Blick umherschweifen.

      Plötzlich regt sich der Kolkrabe, dreht sich um und hockt neben dem Jungen.

      »Hättest du etwas Schokolade für mich?«, fragt er mit schräg gelegtem Kopf.

      »Aber klaro.« Ein großer Haufen Schokobrocken erscheint vor dem Kolkraben, der sich sofort das erste Stück schnappt. Raban betrachtet den schwarzen Vogel, der einen Brocken nach dem anderen hinunterschlingt. Es dauert nicht lange, und alle Stückchen sind verschwunden.

      »Ups«, knarzt Röiven plötzlich mit leicht gesenktem Kopf. »Jetzt habe ich dir alles weggegessen. Kannst du noch ein paar herbeizaubern?« Er klappert mit den Augendeckeln und schaut mit schräg gehaltenem Kopf zu dem Jungen hinauf. »Du weißt ja, dass meine Versuche, mir selbst welche herbeizuzaubern, fehlschlagen.« Dieser lacht und erwidert.

      »Stimmt. Du hast es einmal versucht. Deine »Schokolade« schmeckte aber keineswegs wie echte. Sie erinnerte mich ein wenig an …«

      »Du musst so alte Geschichten nicht wieder hervorholen. Ich weiß auch, dass die Brocken ungenießbar waren. Ihr Geschmack …«

      »… erinnerte an eingeschlafene Füße, jedenfalls