Norbert Wibben

Raban und Röiven Insel der Elfen


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      Raban hat seinen Rucksack, in dem sich Leckereien für ein Picknick befinden, bei der stürmischen Umarmung durch Ilea auf den Boden fallen lassen. Jetzt hebt er ihn auf und hält ihn erneut an einem Riemen über einer Schulter.

      »Ähem. Nein, Danke. Meine Mom hat schon viel zu viel eingepackt.«

      »Na dann. Verbringt einen schönen Tag.«

      »Das werden wir!«, entgegnet Ilea und umfasst den freien Arm Rabans mit beiden Händen. Den Jungen durchläuft ein freudiger Schauer. Bevor die erneut aufsteigende Röte auf seinem Hals erkennbar werden kann, nickt er Leana kurz zu, dann flirrt die Luft.

      »Hallo Raban und hallo Ilea«, werden die beiden kurz nach ihrer Ankunft am Eingang zum geheimen Wald von einem der Wächter empfangen. Sie grüßen freundlich zurück, um dann sofort zu Röivens und Zoes Lieblingsbaum im Wald der Elfen des Nordens zu wechseln. Die große Linde steht auf einer mit Wildblumen übersäten Wiese. Das Gelände steigt sanft in Richtung der Elfenfestung Serengard an. Der Junge und das Mädchen stehen unter der gewaltigen Krone und schauen nach oben. Dort befindet sich das Nest der Kolkraben, das jetzt aber nicht mehr benötigt wird.

      »Papa, wer sind die beiden?«, krächzt es in diesem Augenblick über ihnen.

      »Ist das der angekündigte Besuch?« Das war eindeutig eine andere Stimme, obwohl sie fast genauso knarzte. Mehrere dunkle Schatten kommen aus der Krone nach unten gesaust, wobei eine weitere Stimme krakeelt:

      »Ich habe sie zuerst gesehen! Lasst mich vor.«

      »Ist doch egal, wir begrüßen sie alle gemeinsam!«

      »Jetzt ist es aber genug. RUHE!« Das war eindeutig Röiven, ist sich Raban sicher. Im nächsten Moment sitzen sieben prachtvolle Kolkraben nebeneinander auf dem untersten Ast des Baumes, auf dem früher oft nur einer hockte. Obwohl Platz genug ist, scheinen besonders die fünf Vögel in der Mitte einander den Platz streitig machen zu wollen. Sie wackeln mal hierhin, dann wieder dorthin, so, wie sich Kinder manchmal schubsen.

      Röiven beginnt gerade mit: »Ich freue mich …«, als der schwarze Vogel in der Mitte nach hinten vom Ast fällt. Kurz zuvor sind die beiden an seiner Seite zu ihm herübergerückt, wodurch er wohl vom Platz katapultiert wurde.

      »Ihr blöden …«, beginnt der junge Vogel, während er seinen Sturz geschickt abfängt und schnell wieder an Höhe gewinnt. »Das sollt ihr büßen!« Jetzt fliegt er mit vollem Schwung den beiden Verursachern in den Rücken, wodurch sie nach vorne vom Ast fallen.

      »Das ist unfair.«

      »Von hinten in den Rücken stoßen, ist gegen die Regel!«

      »Welche Regel?«, keckert der Rabe zurück, der jetzt seinen ursprünglichen Platz wieder einnimmt.

      Die bisher auf dem Ast verbliebenen Raben drehen ihre Köpfe hastig in alle Richtungen. Sie rechnen offenbar damit, dass sich der Tumult ausdehnen wird. Das geschieht aber nicht. Einer dieser Vögel, es ist Zoe, wie Raban an ihrem weißen Fleck auf der Brust erkennt, sitzt ruhig auf ihrem Platz. Sie klappt ihre Augendeckel mehrmals auf und zu, um dann mit scharfer Stimme:

      »Jetzt ist es GENUG!«, zu rufen. »Hockt euch nebeneinander und begrüßt artig unsere Freunde!« Dieser Aufforderung folgen die Kolkraben schnellstens. Sie sitzen nun ruhig und ohne einen Rempler still auf dem Ast.

      Röiven hüstelt kurz und beginnt erneut:

      »Ich freue mich, euch meine Kinder vorstellen zu können. Wie ihr bereits feststellen konntet, sind sie echte Fithich.«

      »Jo!«

      »Jepp!«

      »Klaro!«

      »Was du nicht sagst!«

      »Sicher das!«, krähen die jungen Vögel zur Bestätigung.

      Raban kann sich einen Scherz nicht verkneifen und entgegnet:

      »Angenehm. Ihr habt aber seltsame Namen für Fithich. Meiner lautet Raban und das Mädchen hier heißt Ilea.«

      Sofort setzt lautes Protestgekreische ein.

      »Das war nur zur Bestätigung!«

      »So heißen wir doch nicht.«

      »Du bist wohl auf Krawall aus.«

      »Den kannst du haben!«

      »Hier bin ich schon, nimm dich in …«

      »RUHE!«, fährt jetzt Röiven dazwischen, bevor sie sich vom Ast erheben können. »Wenn ihr Streit sucht oder nicht wisst, wohin mit euren Kräften, dann nehmt euch einen Schwarm Dohlen oder das andere Lumpenpack, die Elstern, vor. Die haben es verdient und gegen die könnt ihr gewinnen, gegenüber meinem Freund benehmt ihr euch aber vernünftig. Verstanden?«

      »Jo!«

      »Jepp!«

      »Klaro!«

      »Wir sind ja nicht schwerhörig!«

      »Sicher das!«, klingt es fast wie zuvor. Ilea muss lächeln. Sie konnte die Auseinandersetzung verfolgen, da sie die Sprache der Kolkraben verstehen kann, seit Röiven ihr im letzten Jahr etwas Zauberkraft übertragen hatte. »Röiven und Zoe. Eure Kinder sind prächtig. Sie ähneln euch sehr.«

      »Wie meint sie das?«

      »Ist das eine erneute Aufforderung zu einem Streit?«

      »Wir können uns gerne …«

      »Halt!«, unterbricht Raban eine möglicherweise erneut aufflammende Auseinandersetzung. »Ilea will sich nicht mit euch messen und ich auch nicht. Wir wissen, wie groß eure überlegenen Fähigkeiten im Streit Vogel gegen Vogel sind. Ihr habt da die besten Eigenschaften eurer Eltern mitbekommen. Doch wir sind keine Fithich, wie ihr unschwer erkennen könnt, da ihr ja auch deren überragende Intelligenz geerbt habt. Darum solltet ihre einen Kampf auch nur gegen euersgleichen beginnen.«

      »Will der jetzt kneifen?«

      »Einfach so einen Streit verpuffen lassen …«

      »Jetzt ist es genug!«, beginnt Zoe. Röiven vollendet:

      »Ihr behandelt unsere Gäste gefälligst mit Respekt. Wie ihr schon wisst, habe ich Zauberkräfte. Raban ist ein ebenso mächtiger Zauberer, den ihr besser nicht herausfordern solltet.«

      »Wir haben keine Angst.«

      »Das wäre doch gelacht, gegen einen Zauberer kneifen wir nicht.«

      »Genau.«

      »Attacke!«, krächzen die fünf Jungvögel, um sich vom Ast hinab auf den Jungen und das Mädchen zu stürzen.

      Der Junge reagiert schneller als sein Freund.

      »Sgiath!«, ruft um ihn eine Schutzglocke hervor, die im nächsten Moment fünfmal nacheinander hell aufleuchtet. Die jungen Raben werden zurückgeschleudert und liegen auf dem Rücken im Gras. Mit »Torpor« verhindert der Raban, dass sich die übermütigen Hitzköpfe erneut auf ihn stürzen können.

      Er wundert sich, dass Zoe ihn nicht aufgeregt flatternd ebenfalls angreifen will, da er ihre Kinder doch gelähmt hat. Sie vertraut dem Jungen offenbar und sitzt abwartend auf dem Ast, wobei sie lediglich ihren Kopf schräg hält und ihn anschaut.

      »Da seht ihr, wie es euch ergeht, wenn ihr unbedacht einen Zauberer angreift«, ermahnt Röiven seine reglos daliegenden Kinder, während er sie, zwischen ihnen umherschreitend, forschend betrachtet. »Wenn ihr versprecht, euch jetzt anständig zu benehmen, wird mein Freund euch wieder freigeben. – Nun?«

      »Sie können nicht antworten«, erwidert Raban, »also werde ich es mal probieren. Inhibeo!«

      Im nächsten Moment rappeln sich die fünf Jungvögel auf. Sie klappen ihre Augendeckel ungläubig mehrmals auf und zu, torkeln noch etwas benommen umher, um dann nacheinander flatternd zum