Norbert Wibben

Raban und Röiven Insel der Elfen


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warst das? – Nein, das war nur Spaß. Ich habe dich tatsächlich nicht gehört. Ich bin voll im Stress. Kinder aufzuziehen ist wirklich anstrengend. Wenn sie nicht nach Futter schreien, muss ich trotzdem weitersuchen, damit ich auch einen Happen zu schlucken bekomme.«

      »Aber das kennst du doch. Ainoa war …«

      »Ainoa war viel einfacher großzuziehen. Fünf Schnäbel, die gleichzeitig gefüllt werden wollen, das ist schon erheblich schwerer. Wenn endlich der Abend anbricht, schaffe ich es manchmal nur mit Mühe, mich auf einem Ast festzuhalten, wenn ich dort vor Erschöpfung einnicke.«

      »Mittlerweile müssten eure Kinder doch schon fliegen können, da sollte das Füttern doch einfacher sein.«

      »Das ist zwar richtig, dafür muss ich meine Augen aber an fünf Stellen gleichzeitig haben. Du kannst dir nicht vorstellen, auf was für Ideen die jungen Fithich kommen. Ich schaffe es kaum, sie vor Unheil zu bewahren.«

      »Du hast doch Hilfe, Zoe ist doch sicher nicht untätig. Und könnte Ainoa nicht auch …«

      »Die zieht mit einem großen Trupp anderer Fithich durchs Land. Sie kommt uns eher selten besuchen. Es ist auch nicht üblich, dass sich Geschwister aus dem Vorjahr mit um die Aufzucht kümmern. Zoe hilft mir natürlich, aber sie meint, wie schon bei unserer ersten Tochter, dass ich zu vorsichtig bin. Sie ist immer so vertrauensvoll. Aber ich – ich weiß, was alles passieren kann. Wenn ich allein an meine Eltern denke …« Hier bricht der Kolkrabe ab. Der Junge gibt ihm etwas Zeit. Er weiß, dass sein Freund von seiner Großmutter aufgezogen wurde, nachdem die Eltern gestorben waren. Doch dann fragt Raban zögernd:

      »Darf ich dich bald besuchen, vielleicht morgen oder übermorgen? Ich würde gerne einen Blick auf deine Kinder werfen. Ich bringe Ilea auch mit.«

      »Du willst WAS auf meine Kinder werfen? – Halt, das war sicher wieder nur so ein Ausdruck von euch Menschen, stimmt’s?«

      »Jo, jepp! Ich, also wir, möchten sie gerne sehen.«

      »Das freut mich und Zoe sicher auch. Ich werde es ihr gleich sagen. Und die Kinder muss ich ermahnen, besonders artig zu sein.«

      »Hey, mein Freund. Lass die Kinder sich so geben … ich will sagen, ermahne deine Kinder nicht. Ich möchte sie so sehen, wie sie sind. – Und wann können wir kommen?«

      »Also, morgen ist schon gut. Wir treffen uns unter der Linde. Aber kommt nicht zu früh.«

      »Ist die Mittagszeit recht? Ich bringe auch Schokolade mit, die du vermutlich dringend zur Stärkung benötigst.«

      »Hey, Superidee. Vielleicht solltest du gleich mit dem Aufgang der Sonne erscheinen. Ich bin morgens immer so schwach. Möglicherweise findest du mich sogar unter dem Baum, vor Erschöpfung hinuntergefallen. Krch.«

      »Du Angeber. Wir kommen mittags. Bis dahin.«

      Jetzt beendet Raban die Verbindung. Er ist erleichtert, seinen Freund endlich erreicht zu haben. Es geht dem Kolkraben offenbar auch gut, da er sich unverändert aufführt, sowohl bei der Aufzucht der Kinder, als auch bei der gespielten Theatralik, wenn es um die heißgeliebten Schokostückchen geht.

      Im vergangenen Herbst.

      Die magischen Sprüche von Sorcha und Kenneth haben Kendras Genesung beschleunigt, trotzdem bedarf sie noch einige Tage der Ruhe. Nachdem der Fairwing dem Wunsch Kendras folgend sie mitgenommen hatte, als er Sorcha, Raban und Röiven in den geheimen Wald der Elfen zurückbrachte, hatten sie einen Tag im Wald und in der Elfenfestung Serengard verbracht. Als sie zurück auf Eilean na sìthichean sind, möchte Kenneth ihre Betreuung und Pflege in zuverlässige Hände geben. Da Kendra weder Mutter noch andere Angehörige hat, die das übernehmen könnten, soll Amelia, die Wirtin des Gasthauses »Wanderers Zuflucht«, das im Viertel der Fairwings steht, diese Aufgabe erfüllen. Kendra bezweifelt, dass eine königliche Jägerin, die von der Herrin des Gasthauses bisher erst zweimal gesehen wurde, von ihr gepflegt werden wird. Doch Kenneth ist anderer Meinung. Er hat auch kaum den ersten Satz seiner diesbezüglichen Frage gestellt, als die resolute Frau ihm bereits über den Mund fährt:

      »Bring das arme Kind ruhig zu mir. Ich werde es wieder auf die Beine …« Hier hält sie erschrocken inne, weil ihr Blick auf das bleiche Antlitz der schönen, jungen Frau fällt, die bisher von der Gestalt des Mannes verdeckt wurde. »Was? Da steht sie ja schon. Typisch Mann. Lässt der unvernünftige Bursche das verletzte Mädchen hierher laufen, anstatt ein Transportgefährt oder auch nur sein Pferd zu nutzen.« Die Wirtin unterbricht sich, drängt Kenneth zur Seite, der verblüfft kein Wort der Erwiderung äußert und will die Hände Kendras ergreifen. Dann zögert sie und wischt sich erschrocken ihre Hände an der blütenweißen Schürze ab. Erst jetzt lächelt Amelia wieder und nimmt die der Frau in ihre und zieht sie in die Gaststube herein. »Komm schon, mein liebes Kind. Wir haben oben ein Gästezimmer mit einem schönen, weichen Bett. Dort ist es ruhig und du kannst dich erholen, ohne von unliebsamen Besuchern belästigt zu werden.« Ihr Blick ist dabei drohend auf den Mann gerichtet.

      »Kenneth ist aber kein un… und er hätte mich auf Feuerstern, seinem Pferd hergebracht, wenn er nicht den magischen Sprung nutzen könnte«, versucht Kendra, die Wirtin aufzuklären, während Kenneth sofort warnend einen Finger vor seine Lippen hält. Doch die Frauen beachten ihn nicht.

      »Na, na, Kindchen. Das ist ja auch wohl das Mindeste, was dieser Mann für dich tun konnte. – Ähem, sein Pferd kenne ich, aber was ist ein magischer Sprung?«

      »Er hat mich mit Zauberkraft …« Hier wird sie schnell und energisch von Kenneth unterbrochen.

      »Ruhig! Das ist nichts für öffentliche Plätze. Auch wenn in diesem Gastraum nur ehrliche Fairwings Zutritt haben, könnten Lauscher etwas von unserem Gespräch mitbekommen.« Seine Stimme ist eindringlich, auch wenn er nicht laut spricht und sein Blick sucht forschend die wenigen Fenster im Gastraum ab.

      »Entschuldigung!«, flüstern Amelia und Kendra erschrocken.

      »Ist schon gut. So laut wart ihr jetzt nicht und Fremde habe ich nicht entdeckt. Lasst uns nach oben gehen, dort können wir uns weiter unterhalten. – Außerdem muss ich das Zimmer begutachten, ob es für eine königliche Jägerin angemessen ist!« Die Wirtin will empört auffahren und stemmt bereits ihre Hände in die Seiten, als sie ein feines Grinsen auf seinem Gesicht entdeckt.

      »Soweit ich »Wanderers Zuflucht« bisher kennengelernt habe, wird das Zimmer sicher mehr als genügen!«, hält Kendra dagegen und lächelt die andere Frau gewinnend an, während sie den Gastraum durchqueren. »Außerdem fühle ich mich hier sicher und geborgen.« Ohne ein weiteres Wort nutzen sie in dem anschließenden Flur die Stiege nach oben. Der dunkle Schatten, der durch den kleinen Spalt der Außentür zu sehen ist, ist Kenneth entgangen. Das plötzliche Zufallen der Tür fällt ihnen leider ebenso wenig auf.

      Das Gästezimmer ist für ein Wirtshaus mehr als luxuriös eingerichtet. Kendra bedankt sich bei der Wirtin, die sich nach unten begibt, um eine kräftigende Brühe bei ihrem Mann in Auftrag zu geben.

      »Unsere Spezialhühnersuppe wird dich bald wieder auf die Beine bringen«, sagt Amelia zurückblickend, um die Tür dann leise hinter sich zu schließen.

      Die Jägerin berät sich nun mit Kenneth, wie es weitergehen soll. Sie will sich vom Dienst bei den Jägern für ein Jahr beurlauben lassen, um das begonnene Werk ihrer Mutter fortzuführen. Das Anwesen, das jetzt ihr gehört, soll wiederaufgebaut werden, darum will sie sich vor Ort kümmern. Kenneth besteht darauf, dass sie eine Woche in der Obhut der Wirtsleute bleibt, danach will er sie abholen und sicher zu dem Anwesen geleiten.

      Ob Kendra nach ihrem Jahr Pause wieder als königliche Jägerin arbeiten möchte, hat sie noch nicht entschieden. Nach dem Tod des Königs ist das Volk der Darkwings jetzt ohne Herrscher. Der durch Duncan getötete Monarch hat zwar Verwandte, sogar einen Bruder, aber keine Kinder. Ein neuer