David Goliath

The Outlaw


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Sheriff

      »Trinke deinen Whiskey immer mit der Waffenhand,

      um deine freundliche Gesinnung zu zeigen.«

      *aus Wild West Whim-Wham, New York City, 1888

      Der Sheriff

      »Teilt euch auf«, befahl Robert White seiner nicht vermummten Bande, als sie über die Gleise ritten und Paradise City in der Abenddämmerung enterten, begrüßt von den bereits brennenden Fackeln an den Fassaden der First Street und den baumelnden Petroleumlampen dazwischen.

      Er selbst hatte sich den Schnauzbart abrasiert und seine weiße Augenklappe gegen schwarzen Ruß getauscht, den er sich über die vernarbte Augenhöhle gerieben hatte. Die tiefe, schiefe Hutkrempe und sein nach vorn abgeknickter Kopf schattierten den blinden Zeugen seines einstigen Beinahetodes.

      Auch alle Pferde der White Horses glänzten nicht mehr weiß. Staub, Schlamm und aufgetragener Ruß minderten den optischen Wert der Herde und machten sie unauffälliger.

      Sie teilten sich auf. Tom Black, Harry Cobalt und Pete Mustard steuerten schnurstracks auf den Saloon zu, der seinen Zweck zu allen Seiten mit großen, fad farbig gemalten Holzschildern anpries. Bill Plum und Luke Celery trabten zur Kirche, auf Geheiß von Frank Brown, der ihnen mit einem dezenten Kopfnicken die Richtung vorgab. Henry Gray zögerte noch, da Viola Finch keine Anstalten machte, von Robert Whites Seite zu weichen. Er begehrte seine Trophäe, wollte ihr zeigen, was ein Whiteman mit Yankee-Flittchen anstellte, doch Robert Whites Schutzschatten und der geschenkte Revolver schreckten ihn ab. Also machte er seinen eigenen Stiefel, ziellos in die Stadt reitend.

      Robert White blieb mit Viola Finch und Frank Brown hinter den Gleisen stehen. Er schaute zur Dame. Seine Hände ruhten auf dem Sattelhorn.

      »Muss ich befürchten, dass du mich auslieferst?«

      Viola Finch suchte seinen Blick. »Warum sollte ich?«

      Die Rauchschwaden circa 50 Meilen östlich pulsierten noch.

      Er zeigte darauf. »Das, und die 1000 Bucks.«

      Sie schmunzelte und holte ein Buch aus ihrer Tasche. Sie blätterte darin herum. Selbstgeschriebene Zeilen endeten bei der Hälfte, als unbeschriebene Seiten dominierten. Der Graphitstift entjungferte eine dieser leeren Seiten.

      Robert White sondierte neugierig die Schreibutensilien. »Dein Tagebuch?«

      »Nein«, murmelte sie und schrieb die ersten Sätze zu Ende. »Dein Tagebuch, Boss«, betonte sie demütig.

      Frank Brown hob die Augenbrauen. Seine Hand fuhr zur Bibel, dem Gegenteil von der Niederschrift über den Teufel, die Viola Finch gedachte anzufertigen. Im Augenwinkel visierte er die Kirche an.

      Robert White lächelte. »Was bist du, Ms. Finch?«

      »Ein Schreiberling«, lächelte sie zurück.

      »Welche Zeitung?«

      Sie negierte. »Keine Zeitung. Meine eigenen Geschichten«, proklamierte sie stolz. Ihre großen Brüste drückte sie heraus. Das Kleid spannte und dehnte sich.

      Robert White machte einen abfälligen Ton. »Ein verblendetes Weib.« Er reichte seine Hand: »Gib mir den Revolver wieder, du kannst ja schon zu Tode langweilen, da brauchst du keine Waffe.« Sein Kopf deutete auf Frank Brown: »Genau wie er mit seinem Buch.«

      Sie verzog das Gesicht. Dann legte sie ihm ihr Buch in die Hand. »Sieh es dir an.«

      Abgeneigt nahm er den zerschlissenen Einband und blätterte darin herum. Das abendliche Zwielicht erschwerte das Prozedere. »Kannst du davon leben?«

      Damit schien er einen Nerv zu treffen. Viola Finch versank im Sattel, in der Ferne nach dem Silberbaum mit Goldsaum suchend.

      Er musterte sie, ihr nun etwas abgerittenes Kleid, ihre vom Galopp ein wenig zerzausten Haare, ihr müdes, hungriges Antlitz. »Wie kannst du dir eine Zugfahrt leisten?«

      Sie sah verlegen weg.

      Er hörte nicht auf, sie mit seinem Auge zu durchleuchten. »Du bist arm wie eine Kirchenmaus«, stellte er fest, nonverbale Bestätigung erntend. Eine Hand ging zur Waffe. Der Lederschutz war schnell entfernt. »Über was schreibst du genau?«

      »Lese es doch, Boss.«

      Er zog seine Waffe, spannte den Hahn und zielte auf sie – alles innerhalb einer Sekunde. »Halte mich nicht zum Narren, du verdammte Hure! Es ist schon zu dunkel und deine Sauklaue kann man nicht entziffern. Also, über was schreibst du genau? Und hör auf, mich Boss zu nennen!«

      Frank Brown dirigierte sein Pferd vor die beiden, um Viola Finch das Entkommen zu erschweren und um Robert Whites Revolver vor den Augen der Städter zu verdecken.

      Viola Finch wusste nicht, wen oder was sie fixieren sollte. Unschlüssig wechselte sie zwischen Robert White, seiner Mündung, seinem wiehernden Gaul und Frank Brown umher.

      »Ich schreibe Geschichten.«

      »Das sagtest du bereits«, knurrte Robert White.

      Dann brach sie in Tränen aus. »Er hat mich benutzt.«

      »Wer?«, fragte Frank Brown vorsichtig, als Robert White nicht reagierte.

      »Mein Verleger«, wimmerte sie. »Dieser Dreckskerl hat mir alles genommen. Sacramento war meine letzte Hoffnung.«

      »Der Elefant?«, warf Robert White gefühllos ein.

      Viola Finch lächelte unter Tränen. »Ja, der Elefant. Besser gesagt, der Goldrausch oder der Wilde Westen. Irgendetwas, um nicht im Hurenhaus zu enden.«

      Die Männer lachten kalt.

      »Der Goldrausch ist längst vorbei, Mädchen«, sagte Frank Brown.

      »Wilder Westen?«, hakte Robert White nach. »Treiben wir es wilder als die Yankees in den Alten Staaten?«

      Viola Finch nickte auf ihr Büchlein in Robert Whites Hand. »Hier ist das Klima rauer. Es gibt mehr Schießereien und das Gesetz wird von denen geschrieben, die am Ende noch stehen.«

      Wieder lachten die Männer.

      Robert White steckte seinen Revolver ein und warf das Buch zurück zur Schriftstellerin.

      »Und darüber«, er zeigte um sich, das triste Land, die tote Stadt, die stinkenden Rüpel, »wollen die Yankees lesen?«

      »Mit ein paar Umformulierungen, ja.«

      »Umformulierungen?«, bohrte Robert White skeptisch weiter.

      Viola Finch suchte nach Worten. »Mehr Romantik, weniger Huren. Das Gute siegt über das Böse.«

      »Märchen«, spuckte Robert White abfällig aus.

      »Mädchen«, sagte Frank Brown, »du bist hier in der Hölle gelandet. Hier gibt es nichts Gutes.«

      »Aber du kannst über mich schreiben«, schlug Robert White diabolisch grinsend vor.

      Viola Finch nickte eifrig. »Ja, Boss. Genau das will ich.«

      Er überging ihren abermaligen Fauxpas der Anrede. »Schreib alles auf. Jede Kugel, jeden Toten, jede Rauferei, jeden Fluch. Schmücke es noch aus«, untermalte er mit ausschweifender Handgeste, »und dichte dazu, wo das Böse nicht böse genug ist. Verkauft sich das?«

      Sie zweifelte. »Dafür muss ich erst einen Verleger finden.«

      »Gibt es die nicht in Sacramento?«

      »Schon, aber ich glaube nicht, dass ich ohne Happy End einen Verleger finde.«

      Robert White feixte. »Gibt es hier denn kein Happy End?«

      Ihre Schultern tanzten. »Das Böse gewinnt eigentlich niemals. Die Leser brauchen das Gute, um Hoffnung zu schöpfen.«

      Robert