Finch schlug das Buch auf, grapschte ihren Graphitstift und nickte. Dann machte sie sich Notizen, um die Geschichte über Robert White und die White Horses schreiben zu können.
»Wild West Whim-Wham«, diktierte Robert White mit Blick zu den Sternen, die langsam am Abendhimmel herausstachen.
Sein Schreiberling verstand nicht.
»Der Titel«, klärte er auf.
»Warum nicht ›Robert White und die White Horses‹?«, entgegnete Viola Finch überrascht.
Er lächelte überlegen. »Wenn du so schreibst, wie du denkst, wird das nichts. ›Robert White & seine White Horses‹ ist natürlich der Untertitel.«
»Ach, bist du jetzt auch ein Schreiberling?«, fragte sie frech und fing sich eine harte Ohrfeige ein, die sie ohnmächtig in den Sattel sinken ließ.
Frank Brown musste sie noch stützen, dass sie nicht herunterfiel. Er sah seinen Boss an.
»Ich hasse freche Huren«, erklärte Robert White und ritt voraus.
Frank Brown folgte ihm, Viola Finch und ihr Whitey an den Zügeln eskortierend.
In Paradise City war mehr los als sonst. Immerhin tummelten sich dutzende Fremde in der Stadt, kürzlich erst nach einem 50-Meilen-Marsch angekommen.
Vor Taylor‘s Clothes schickte Robert White seinen Adjutanten nach gegenüber zum Saloon, um aufzupassen, dass sich seine Whiteman angemessen verhielten, wenn sie nach William Emeralds Verbleib fragten. Er selbst stieg ab, holte die Dame vom Pferd, schulterte sie und betrat das Textilgeschäft. Ein kleines Glöckchen an der Tür läutete, als die Tür es touchierte. Er legte Viola Finch auf ein abgegriffenes, durchgesessenes, verblasstes Polstersofa und schaute aus dem Fenster – neben dem Saloon befand sich das Haus des City Marshals. Mehr Pferde als üblich, wie in den sonst regelmäßigen Berichten von William Emerald, warteten davor auf ihre Reiter – Sheriffpferde, wie Robert White erstaunt feststellte, oder Armeepferde. Im Fackellicht glänzende Sättel mit Taschen für Gewehre. Dazu Seile und Ketten. Außerdem sehr gepflegte Pferde, vergleichbar zu den Whiteys. In Nordnevada hatte niemand so gepflegte Pferde wie die White Horses. Ansonsten verfügten einzig Rothäute, Sheriffs und Kavalleristen der US-Armee über entsprechend Muße und Zeit für die Pflege ihrer Pferde.
Hinter ihm knarzten Holzfußbodendielen. Er drehte sich um, ohne die Waffe zu ziehen. Claire Taylor stand ihm gegenüber, paralysiert.
»Robert«, hauchte sie entrüstet.
»Claire«, lächelte er. Nach einem Moment distanzierter Freude zeigte er auf Viola Finch. »Bist du immer noch Krankenschwester?«
Claire Taylor konnte sich nur schwer von seinem Anblick lösen. Schließlich schenkte sie der Ohnmacht einen Blick. »Sie atmet noch«, attestierte sie erleichtert aus der Ferne. Das Hämatom an der Schläfe fiel ihr auf. Abwesend starrte sie auf Robert Whites Hand.
»Das sehe ich auch«, sagte er. »Wird sie jetzt noch schwachsinniger?«
»Weil du sie geschlagen hast?«
Sein Grinsen bejahte.
»Nein, ich denke, sie wird in ein paar Minuten wieder zu sich kommen und genauso schwachsinnig sein wie zuvor, wenn sie sich mit dir abgibt«, meinte Claire Taylor, sich keinen Schritt nähernd. »Was machst du hier?«, zürnte sie verhalten, mit aufeinandergepressten Lippen.
Robert White spreizte seine Arme: »Kein Zucker?«
Claire Taylors Augen huschten nach hinten, wo die Schrotflinte auf ungebetene Gäste wartete. Sie würde sich schneller eine Kugel einfangen als sie die Schrotflinte erreichen könnte.
»Dafür hast du doch William«, schmetterte sie ihm stattdessen entgegen.
Robert Whites Freude starb. Er senkte seine Arme und brummte cholerisch. »Wo ist er?«
»Hast du es noch nicht gehört?«
Er trampelte auf den Boden, fluchte und wedelte unterstützend mit den Armen. »Nein, zum Teufel!«
Claire Taylor grinste einseitig, sich vorsichtig, Inch um Inch, nach hinten schiebend, um irgendwann an die Schrotflinte zu gelangen. »Er ist tot.«
Robert White schaute sich um – halb leere Kleiderständer, zerschnittene Stoffe, zerkratzte Spiegel, spärliches Nähzeug, ausgefranste Fäden. Er brauchte etwas, um sich abzureagieren. Schleunigst. Ehe er den Laden oder die Besitzerin auseinandernahm. Schließlich beugte er sich zur somnolenten Viola Finch, packte ihren Schopf und vergrub seine Nase darin, um einen sehr tiefen Zug zu holen. Das Aroma der Frau beruhigte ihn fürs Erste. Als er sich wieder aufstellte, stand ihm Claire Taylor mit der Schrotflinte gegenüber.
»Heißt man so die Familie willkommen?«, scherzte Robert White leichtfertig.
Claire Taylor spuckte auf den Boden. »Du gehörst nicht dazu!«
»Ach nein?« Er inspizierte den Laden, wanderte umher, fühlte die Stoffe. Die Mündung der Schrotflinte verfolgte ihn. »Wo ist Carl?«
Sie schwieg. Ihre Augen warfen Feuer.
Er näherte sich ihr, bis er direkt vor der Mündung stand. »Wo ist Carl?«, wiederholte er zorniger. Seine Kiefer schlugen aufeinander.
Claire Taylor schüttelte den Kopf. »Nein!«, sagte sie nur.
»Nein, was?«, forschte Robert White anmaßend nach. Er stand press an der Mündung und lehnte sich dagegen, Waffe und Frau nach hinten zwingend.
»Nein! Er ist nicht hier!«
»Wirklich?« Robert White sah zum Vorhang, der den Verkaufsraum vom Hinterzimmer, dem Wohnraum, trennte. Der Vorhang, der noch leicht schwang, weil jemand eine Schrotflinte hervorgeholt hatte. »Carl?«, rief er nach hinten, ohne Antwort.
Viola Finch wimmerte leise. Sie erwachte allmählich.
»Soll der Junge ohne Vater aufwachsen?«, nahm Robert White den Lauf in die Hand und schob die Schrotflinte beiseite.
Claire Taylor stemmte sich dagegen, konnte aber weder den Lauf aufs Ziel gerichtet halten noch ihre Position vor dem Vorhang halten. »Du bist nicht …«, geiferte sie unvollständig.
»Carl?«, rief Robert White erneut. »Komm nach vorn, Junge. Dein Vater will dich sehen.«
Plötzlich flog der Vorhang beiseite und Carl Taylor stand mit großen Augen im Rahmen. »Vater?« Doch dann versiegte seine Euphorie, als er Robert White sah.
»Mein Junge«, sagte dieser selig. »Schön, dich zu sehen. Du wächst und wächst. Wo soll das noch hinführen?«
Mutter und Schrotflinte bäumten sich gegen ihn auf.
»Verschwinde!«, kam Milton Smith aus dem Hinterzimmer, zerrte Carl Taylor zurück, quetschte sich an seiner Tochter vorbei und baute sich vor Robert White auf, einen Eisenstab in der Hand.
Robert White lächelte. »Die ganze Familie.«
Milton Smith fauchte.
»Ich hätte mir ein herzlicheres Wiedersehen gewünscht.« In Sekundenbruchteilen griff Robert nach dem Eisen, riss es dem alten Mann aus der Hand, zog ihm damit eins über und schlug Claire Taylor die Schrotflinte aus der Hand.
Milton Smith ging keuchend zu Boden und Claire Taylor schrie kurz auf, als der Eisenstab ihre Handknochen brach.
Danach vergrub sich Robert Whites Hand in Claire Taylors Hals. Sie gurgelte. Er drückte fest zu.
»Immer noch diese kleine, verdammte Hure«, keifte Robert White.
»Loslassen!«, schrie Carl Taylor mit der Schrotflinte in der Hand.
»Willst du deinen Vater erschießen?«
Carl Taylor sah verwirrt zu seiner Mutter. Diese wehrte sich gegen die Hand an ihrem Hals, vergeblich.
»Nur zu«, ermutigte