man mich zu Ostern in die Untersekunda schiebt.«
Bärbel war mit der besten Absicht nach Dresden zurückgekehrt und stürzte sich auch in den ersten Tagen voller Eifer auf die Arbeit.
Aber der Winter war diesmal so besonders schön und lang. Die Eisbahn lockte, und mancher Seufzer kam über die Lippen Goldköpfchens, wenn es vom Fenster aus die Glücklichen sah, die gleich nach Tisch mit den blitzenden Schlittschuhen zur Eisbahn eilen konnten.
Frau Lindberg sorgte selbst dafür, daß Bärbel in diesem sportlichen Vergnügen nicht beeinträchtigt wurde. So verging kaum ein Tag, an dem sie sich nicht mit ihren Mitschülerinnen auf dem Eise tummelte und sich eifrig bemühte, kunstvolle Bogen zu ziehen.
Es blieb natürlich nicht aus, daß sich auf dem Eise die Gymnasiasten des Kant-Gymnasiums mit den Schülerinnen der Obertertia oft trafen. Da aber Bärbel in ihrer offenen Art daheim allen diesen Flirt skrupellos erzählte, lächelte Frau Lindberg nachsichtig dazu und wußte in geschickter Weise bis in die Tiefen dieses Mädchenherzens zu dringen, ohne daß es Bärbel zum Bewußtsein kam, daß sie ein klein wenig ausgehorcht wurde.
Erst ihre um zwei Jahre ältere Schulgenossin, Herta Brodowin, machte Goldköpfchen darauf aufmerksam, daß Schweigen in vielen Fällen besser sei als Reden. Weder Bärbel noch Edith hatten Sympathien für die siebzehnjährige Mitschülerin, von der man allerlei munkelte. Aber man hatte auch wieder Respekt vor der Welterfahrenen und lauschte gern ihren interessanten Erzählungen.
»Jugend und Alter passen nicht zusammen«, meinte Herta, »man versteht uns heute nicht mehr. Wir sind nicht so altmodisch, wie unsere Mütter es waren. Wir haben das Recht auf unsere Jugend, wir müssen kämpfen um unsere Freiheit, und ich schlage vor, einen Klub zu gründen, in dem wir uns Treue und Verschwiegenheit bis in den Tod geloben.«
Der Plan Hertas fand begeisterte Aufnahme. Auch Bärbel hatte so viel von Jungmädchenklubs gehört, daß sie sich freute, Mitglied einer solchen Vereinigung zu werden.
Der plötzlich gefaßte Plan wurde mehr und mehr besprochen, und schließlich stimmte die ganze Obertertia einstimmig zu, es müsse solch ein Klub gegründet werden.
Herta Brodowin riß die Führung an sich.
»Wir suchen uns ein Lokal oder ein Zimmer, kommen dort alle acht Tage zusammen, besprechen das Notwendige, haben unsere Statuten. Auf diese Weise können wir etwas erreichen.«
»Einen Namen muß dieser Klub aber haben.«
»Freilich«, meinte Herta, »ich schlage vor, Klub Tollkirsche.«
»Pfui«, meinte Bärbel, »die Tollkirsche ist giftig. Das ist etwas für alte Jungfern, aber nicht für junge Mädchen.«
Die verschiedensten Namen schwirrten durcheinander. Herta war gekränkt, daß man ihr widersprach.
»Wenn ihr alles besser wißt, so sucht euch auch den Namen allein.«
»Der Name muß auf alle passen«, meinte Bärbel.
»Ich hab’s«, rief Edith, »wir sind sechzehn, und elf von uns haben heute blaue Kleider an. Wir nennen uns Veilchen.«
»Nein, – Blauforelle!«
»Warum denn nicht gleich Blaublümelein«, höhnte Herta, »nach Heinrich Heine? – Ein Jüngling hatte ein Mädchen lieb, – sie sind verdorben, gestorben.«
»Blaublümelein ist sehr hübsch«, sagte Bärbel, »ich bin dafür.«
Herta ließ zwar abfällige Worte fallen, aber die Mehrheit entschied sich für Bärbels Vorschlag. So entstand an diesem Tage der Klub »Blaublümelein«.
Die Ämter waren schnell verteilt. Bärbel wurde Schriftführerin. Sie sollte die Statuten abschreiben, sie sollte die gesamte Korrespondenz führen. Man verabredete zur Gründung den morgigen Nachmittag und wählte dazu eine kleine Konditorei; dort sollte alles genau besprochen werden.
Am Abend machte Bärbel der Großmutter gegenüber geheimnisvolle Andeutungen.
»Großchen, nun ist es aus mit der Offenheit, du mußt dich damit abfinden. Jugend und Alter ist eben etwas zu Verschiedenes. Die Jugend muß kämpfen, um etwas zu erreichen. Ich werde in Zukunft vor dir meine Lippen verschließen, – ich muß es tun, man wird von mir den Eid fordern.«
Frau Lindberg horchte hoch auf. Das waren ganz neue Worte, die sie heute von ihrer Enkelin hörte.
»Was willst du mir in Zukunft verschweigen, Bärbel?«
»Heute darf ich noch reden, Großchen, aber morgen wird der Klub gegründet. Es wird wohl so eine Art Ferne sein. Wir müssen schweigen bis an den Grabesrand.«
»Und was bezweckt dieser Klub?«
»Kämpfen.«
»Um was denn?«
»Um die Rechte der Jugend.«
»Wer gründet diesen Klub?«
»Herta Brodowin hat gesagt, daß es endlich an der Zeit ist, uns zu rüsten, denn die Jugend hat heute das Vorrecht.«
Ein leichter Schatten legte sich über das Antlitz der alten Dame. Sie kannte Herta Brodowin nicht persönlich, hatte aber von Bärbel schon mancherlei gehört, was ihr nicht gefiel. Wenn es Herta gelang, Bärbel schlecht zu beeinflussen, bestand die große Gefahr, daß der noch so harmlose Backfisch von den angekränkelten Ideen jenes Mädchens erfaßt wurde und daß Bärbel vielleicht doch die Offenheit einstellte.
Es gab hier nur ein Mittel, um vorzubeugen. So erzählte Frau Lindberg lachend von dem eigenen Klub, den man gegründet habe, damals, als man sich auch in der Zeit der Sturm- und Drangperiode befand.
»Es ist immer dasselbe, Bärbel. Die Jugend glaubt sich stets unterdrückt und benachteiligt. Mag sie kämpfen, aber vergeßt dabei niemals die Ehrfurcht vor dem Alter, die Pflichten gegen die Nächsten, denkt stets daran, was ihr dem Elternhause schuldig seid. Ich sehe es nicht gern, mein liebes Bärbel, daß du dich an Herta anschließt, aber ich will dich nicht von diesem Klub zurückhalten, trotzdem habe ich das feste Vertrauen, daß du etwas Schlechtes weder tun noch billigen wirst. Und zum Eidschwören seid ihr alle viel zu jung, das laßt schön bleiben.«
»Wir stellen uns ganz gewiß die edelsten Aufgaben, Großchen, vielleicht sind wir sogar einmal zum Schutze des bedrängten Alters da. Ich werde Schriftführerin und werde wachen.«
In der kleinen Konditorei wurde der Klub »Blaublümelein« gegründet. Es war nicht so einfach. Die meisten der jungen Mädchen dachten nicht daran, sich skrupellos Herta Brodowin unterzuordnen. Es kam zu stürmischen Auseinandersetzungen, denn bald wollte diese, bald jene nicht mitmachen, und in der Hauptsache war es Bärbel zu danken, daß man überhaupt endlich zu einem Ziele kam.
Der geheimnisvolle Anstrich, den dieser Klub bekam, reizte sie. Es sollte stets hinter verschlossenen Türen getagt werden, nur im Flüstertone durfte gesprochen werden. Stets mußte man für die Klubkameraden einstehen, sie, wenn eine in Not war, mit allen zu Gebote stehenden Mitteln heraushauen: man wollte ganz heimlich Abzeichen tragen, die aber erst beschafft werden mußten: ein paar gekreuzte Knochen.
»Elend und unglücklich soll derjenige bis an sein Lebensende sein, der eines der Mitglieder in der Not verrät.«
Eine nach der anderen mußte diesen Satz feierlich sprechen.
»Von einer Blutsbruderschaft wollen wir absehen«, sagte Herta, »aber mit einer Feder wollen wir alle unsere Namen unter die Statuten setzen und dabei den Schwur murmeln.«
Bärbel fand das alles fabelhaft feierlich. Wenn Herta aufstand, mit den Augen rollte und dann den Schwur mit düsterer Stimme sprach, lief es Goldköpfchen eiskalt am Rücken herab. Zu schade, daß sie nichts davon dem Großchen erzählen durfte.
»Wollen wir nun auch Herren aufnehmen?« fragte Herta ganz unvermittelt.
Man protestierte. Die Blaublümelein wollten unter sich sein.
»Denkt doch nur, wie schlecht es uns ginge«,