Magda Trott

Goldköpfchen Gesamtausgabe (Alle 13 Bände)


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ging es ans Einkäufen. Bärbel erstand drei Meter hellblaues Bändchen, wanderte aber durch das ganze Lager, um jedem Verkäufer, der sie anredete, zu sagen:

      »Noch einen Augenblick, ich bin mit der Wahl noch nicht fertig.«

      Es war zu herrlich, von allen als Dame behandelt zu werden.

      Als sie endlich den Laden verließ, lief sie in der Tür beinahe mit Frau Heidenreich zusammen.

      »Ach, das ist ja das kleine Bärbel aus der Apotheke!«

      »Ich bin erst gestern aus Dresden gekommen.«

      Frau Heidenreich plauderte einige Augenblicke mit dem jungen Mädchen, dann sagte sie lächelnd:

      »Da kannst du mir gleich einen Gefallen erweisen, Bärbel. Ich habe draußen den Kinderwagen stehen und möchte meine kleine Enkelin nicht ohne Aufsicht lassen. Du bist wohl so gut und fährst die Kleine die wenigen Augenblicke auf und ab, bis ich meine Einkäufe erledigt habe.«

      Bärbel war starr vor Entrüstung.

      »Gnädige Frau, ich – bin sehr eilig!«

      »Es dauert gar nicht lange, Bärbel. Siehst du, hier ist der kleine Schreihals. – Ach je, nun weint die Kleine schon wieder; fahre sie auf und ab, Bärbel. – Aber paß gut auf, sie ist unruhig und könnte aus dem Wagen stürzen.«

      Nochmals lächelte Frau Heidenreich dem jungen Mädchen zu, dann war sie im Innern des Ladens verschwunden.

      Bärbel schoß einen grimmigen Blick auf das schreiende Baby. Gerade hier, an der belebtesten Ecke, sollte sie Kindermädchen spielen. Wenn man sie sah, was sollten sich die vorübergehenden Herren nur denken! – Solch eine Zumutung!

      Das Kleine schrie jämmerlich.

      »Natürlich bist du naß«, brüllte Bärbel den Schreihals an, »aber ich denke nicht daran, dich vor aller Welt trockenzulegen, du Ferkel, – das mag deine Großmutter daheim besorgen.«

      Sie stieß den Kinderwagen hastig vor sich her, zog ihn wieder zurück und rief dabei grimmig:

      »Jetzt bist du endlich still, du Schreihals!«

      Aber das Kleine schrie weiter.

      Bärbel wagte kaum, die Augen aufzuschlagen, aber das alles half nichts, die Vorübergehenden erkannten sie doch; und um das Unglück voll zu machen, kam nun gar noch Anita Schleifer mit ihrer Mutter daher.

      Bärbel wurde glühend rot. Anita Schleifer war bis zum vorigen Jahre ihre Mitschülerin gewesen. Besonders Anita hatte stets so verächtlich auf alle die herabgesehen, die irgendeine Dienstleistung taten. Sie war die Tochter des reichen Holzhändlers Schleifer, und Bärbel erinnerte sich noch sehr genau an Anitas letzten Geburtstag, bei dem es freilich furchtbar langweilig gewesen war, aber immerhin hatte ihr die elegante Aufmachung bei Schleifers sehr imponiert.

      Was mußte Anita denken, wenn sie sie neben dem Kinderwagen sah und Babys betreuen?

      Sie merkte Anitas spöttischen Blick, sie hörte auch deren Worte:

      »Das ist doch Bärbel Wagner. Ist sie denn hier in Stellung gegangen?«

      Bärbel kochte. Sie wandte Anita und Frau Schleifer den Rücken zu und stierte auf die Tür des Geschäftshauses, ob denn noch immer nicht Frau Heidenreich erschiene.

      Endlich kam sie. Sie trug mehrere große Pakete in der Hand; ein Angestellter brachte einen Mülleimer hinter ihr her.

      »Wir hätten Ihnen doch gern die Waren ins Haus geschickt, gnädige Frau.«

      »Danke, danke, ich brauche die Sachen sofort, und ich habe hier eine freundliche Helferin, die mir die Pakete gewiß gern heimträgt.«

      Bärbel vernahm diese Worte, sie hatte im ersten Augenblick die Absicht, im Sturmschritt das Weite zu suchen. Aber schon fühlte sie Frau Heidenreichs behandschuhte Rechte.

      »Ich danke dir herzlich, liebes Bärbel. Und nun hilfst du mir auch noch, die Einkäufe heimzutragen. Der Weg ist ja nicht weit. Hier, nimm den Mülleimer, wir packen noch einiges hinein, dann geht es prachtvoll. Den Wagen schiebe ich mir lieber allein.«

      Grenzenloser Aufruhr herrschte in Bärbels Seele. Man hatte sie zweimal »gnädiges Fräulein« genannt, und jetzt lief sie mit einem Mülleimer durch Dillstadt. Am liebsten hätte sie geweint.

      »Die Eltern lassen sich derartige Sachen immer schicken«, preßte sie hervor, »dem Kaufmann macht das keine Mühe. In Dresden wird auch alles ins Haus geschickt.«

      »Die Leute haben zur Weihnachtszeit zu viel zu tun, Bärbel. Außerdem brauche ich den Mülleimer sofort. Er ist ja nicht schwer.«

      Bärbel Wagner ging wahrhaftig neben dem Kinderwagen einher, in der Rechten den Mülleimer tragend. So mußte es Johann Huß zumute gewesen sein, als er zum Scheiterhaufen schritt. Aber sie kochte, sie schwur Frau Heidenreich Rache.

      Endlich, endlich kam das Haus in Sicht. Bärbel beschleunigte die Schritte, damit sie möglichst rasch die Ecke erreiche.

      Plötzlich durchfuhr sie ein grenzenloser Schreck. Dort drüben kamen ihr zwei junge Herren entgegen: Joachim und Harald Wendelin.

      Wohin jetzt mit dem Mülleimer?

      »So – nun sind wir daheim, mein liebes Bärbel. Nochmals vielen herzlichen Dank für die freundliche Hilfe; grüße die Eltern und …«

      Das weitere vernahm Bärbel nicht mehr. Sie sah, wie zwei junge Herren sie grüßten, sie fühlte fliegende Hitze im Antlitz, sie stellte polternd den Eimer zu Boden, und ohne sich von Frau Heidenreich zu verabschieden, stürmte sie davon.

      »Bärbel – Bärbel!«

      Erst an der nächsten Straßenecke machte sie halt, dann wurde sie von den beiden Studenten eingeholt.

      »Warum laufen Sie uns denn davon?« fragte Harald Wendelin lächelnd.

      »Sie brauchen mich gar nicht zu schonen«, herrschte das junge Mädchen den Ahnungslosen an, »ich weiß, was Sie sagen wollen.«

      »Was hast du denn, Bärbel?«

      »Wozu denn die Komödie? Ihr habt es doch alle beide gesehen. – Es ist unerhört!«

      »Wir haben gar nichts gesehen, Bärbel.«

      Sie atmete tief auf. »Nun ja, als wohlerzogene Studenten schuldet man einer jungen Dame Rücksichten. – Lassen wir also Gras über den Mülleimer wachsen. – Aber eigentlich ist es empörend!«

      Harald Wendelin warf seinem Freunde einen belustigten Blick zu. Wohl hatten beide Bärbel mit dem Mülleimer erblickt, aber daß sich das junge Mädchen dadurch so degradiert vorkam, war keinem von ihnen in den Sinn gekommen. Warum sollte man nicht in der Weihnachtszeit mit Paketen beladen durch die Stadt laufen?

      Als man sich endlich der Apotheke näherte, blieb Bärbel plötzlich stehen.

      »Wo ist denn mein Band?«

      Erregt begann sie in allen Taschen zu suchen, aber das kleine Päckchen mit dem blauen Band war verschwunden.

      »Es wird im Mülleimer liegen«, sagte sie zornig, »aber ich gehe nicht mehr zurück, sonst muß ich ihr am Ende noch den Müll heruntertragen. – Nun, so geht es ohne das Band.«

      Die beiden Studenten belustigten sich außerordentlich über das temperamentvolle junge Mädchen, aber sie hüteten sich wohl, Bärbel zu necken.

      Man kam gerade zum Abendessen zurecht.

      »Beeile dich«, sagte Emma zu Bärbel, »es hat schon zu Tisch geläutet.«

      Die Familie Wagner war um den Eßtisch versammelt, nur Martin fehlte.

      »Klingeln Sie doch noch einmal«, sagte Frau Wagner.

      Im Flur ertönte die Glocke; aber auch jetzt ließ sich Martin nicht sehen.

      »Diese Verspätungen liebe ich nicht«, sagte der Hausherr. »Wahrscheinlich