dir!«
Noch einige laute Schreie, dann entschwand der Lärm.
Apothekenbesitzer Wagner hatte sich lachend in einen Stuhl fallen lassen.
»Unser Kuno wird mit seinen Weihnachtsgaben nicht zufrieden sein, weil wir ihm alles, was auf seinem Wunschzettel stand, gestrichen haben.«
Sorgenvoll schaute Frau Wagner auf.
»Woher hat der Junge nur diese tollen Gedanken?«
Der Apothekenbesitzer zog aus der Tasche mehrere Zettel hervor, und wieder lachte er.
»Wunschzettel eures treuen Sohnes Kuno, genannt Sherlock Holmes«, las er. »Ein Schlagring, einen dicken Totschläger, einen sechsläufigen Revolver, genannt Browning, ein dolchartiges Messer, das nicht zusammenklappt, wenn man damit sticht, eine Blendlaterne, Schuhe mit glatten Gummisohlen, sogenannte Schleichschuhe, einen Schattenanzug aus schwarzem Trikot, viele Süßigkeiten.«
»Es ist doch schrecklich, derartige Wünsche niederzuschreiben«, sagte Frau Wagner sorgenvoll.
»Das ist alles gar nicht so schlimm. Der Junge wird von diesen Mordgedanken bald abkommen, wenn er, ebenso wie Martin, seine Indianerausrüstung bekommt.«
»Aber er hat uns schon gar manchen tollen Streich geliefert.«
»Das haben Joachim und Bärbel auch getan. Mach’ dir nur des Jungen wegen keine Sorgen, Erna. Zum Glück schlummert in allen unseren Kindern so viel Gutes, daß die überspannten Ideen, die ein jeder von ihnen hat, keine tiefen Wurzeln schlagen werden. Denken wir doch an unsere Jugend zurück. Lieber Himmel, was war ich für ein Bursche, und schließlich hast du doch einen ganz brauchbaren Mann bekommen, liebes Weib.«
Während Herr und Frau Wagner nun die letzten Vorbereitungen zum Weihnachtsfeste trafen, hatten die beiden Zwillinge bereits wieder Frieden geschlossen und standen jetzt in der Küche, um den Schokoladenbrei zu kochen. Sie hatten es durchgesetzt, daß sie aus Marzipanmasse Ringe, Würste und Brezeln formen durften, hatten den Marzipanteig so lange auf Tischen und Kommoden ausgerollt, bis die weiße Masse dunkelgrau geworden war. Als die Mutter erklärt hatte, daß man sich vor solch schmutzigen Marzipansachen ekle, war Martin auf den Gedanken gekommen, das graue Marzipan mit schwarzer Schokoladenmasse zu überziehen. So wurde jetzt in der Küche diese Masse gekocht, um die Marzipansachen wieder ansehnlich zu machen.
Die Köchin war etwas ungehalten darüber, daß die Schokoladenmasse nun schon zum dritten Male umgeschüttet wurde, weil sie bereits zweimal kräftig angebrannt war.
»Mir braucht ihr von eurem Naschwerk nichts anzubieten«, sagte sie, »pfui Teufel, das sieht ja ganz fürchterlich aus!«
Martin war eben dabei, eine der grauen Marzipanwürste auf dem Küchentisch noch etwas länger auszurollen. Da brach die Wurst entzwei, und unwillkürlich versuchte Martin die beiden Stücke mit Speichel zusammenzukleben.
»Pfui, du Schmutzfink!«
Gelassen steckte Martin die beiden Teile in den Mund.
»Mir schmeckt es«, sagte er kurz.
»Der Bärbel wird es auch schmecken«, versicherte Kuno.
»Das glaube ich nicht«, erwiderte die Köchin. »Bärbel ist eine feine junge Dame geworden.«
Die beiden Knaben brachen in wieherndes Gelächter aus und riefen:
»Bärbel eine Dame! Du bist ja ganz meschugge, Emma.«
»Wollt ihr euch nicht erst einmal die Hände waschen, Jungens, ehe ihr weiterkocht? – Pfui, Martin, an dir klebt ja die dicke Tinte.«
Martin wischte sich hastig die Finger an der Jacke ab; dann begann das Eintauchen der Marzipansachen in den heißen Schokoladenbrei. Das war keine leichte Arbeit, zumal sich Martin dabei einige Male die Finger verbrannte und die süßen Stücke hastig auf die Erde fallen ließ. Dann aber legten die Knaben all die tropfenden Würste auf den soeben sauber gescheuerten Küchentisch. Emma, die mit einer anderen Arbeit beschäftigt war, sah das Unheil erst, als der Tisch bereits bis zur Hälfte belegt war.
»Nun aber hinaus, ihr schrecklichen Bengel, und euren Kram nehmt mit, sonst werfe ich alles auf die Erde!«
Da holte Kuno eine Zeitung, und da hinein wurde das tropfende Marzipan gewickelt.
»Wir machen es bei uns wieder auseinander«, entschied Kuno. Darauf zogen sich die beiden Knaben in ihr gemeinsames Zimmer zurück.
Gegen Abend kamen die beiden Studenten an. Apothekenbesitzer Wagner holte seinen Sohn und dessen Freund persönlich von der Bahn ab. Er hatte seine helle Freude an den gut aussehenden jungen Männern, die beide in dem Gedanken, das Fest hier verleben zu können, recht beglückt waren.
Besonders aus den Augen Harald Wendelins strahlte das Glück. Er, der schon seit Jahren kein Elternhaus hatte, der ein richtiges Weihnachtsfest kaum kannte, war Wagners aus tiefstem Herzen dafür dankbar, daß er die Ferienzeit wieder hier in Dillstadt verleben durfte. Wie froh und geborgen fühlte er sich im Kreise dieser fröhlichen Familie, wie viele nette Stunden hatte er schon damals hier verbracht.
Man sprach von dem bevorstehenden Examen. Joachim wie auch Harald hatten sich dem Maschinenbaufach zugewandt und wollten im Frühling ihren Diplomingenieur machen.
»Ist Fräulein Bärbel auch schon eingetroffen?«
»Nein, unser Bärbel kommt erst morgen. Aber sie ist noch ein Kind, Herr Wendelin, bitte, schenken Sie sich die förmliche Anrede und nennen Sie unser Goldköpfchen einfach beim Vornamen.«
Harald Wendelin wurde von den Zwillingen gar bald mit Beschlag belegt. Kuno besonders wollte wissen, ob er schon einmal überfallen worden sei, ob er sich gegen Einbrecher verteidigen könne, und ob es wohl richtig sei, wenn man den ersten Angreifer k.o. boxe und den zweiten niederschösse.
»Vielleicht könnte man auch in jede Hand eine Pistole nehmen und alle der Reihe nach niederknallen. – Wie würden Sie es machen?«
»Ich würde mich gar nicht zu solchem Raubgesindel begeben.«
»Das kann aber sehr schnell einmal kommen. Mein Freund hat mir erzählt, daß auch in unserer Gegend eine Verbrecherbande umgehen soll. Eines Tages hat man es auf die Apotheke abgesehen, weil man weiß, daß in der Apotheke Werte sind. – Wenn ich erst meinen Schlagring habe, brauchen alle nichts mehr zu fürchten.«
»Du bist ja ein gefährlicher Bursche geworden, Kuno.«
»Ich bin nur auf der Hut, – ich kann jetzt schon den ganzen Korridor entlangschleichen, ohne daß jemand etwas merkt. Und einen Schlüssel kann ich auch schon geräuschlos umdrehen. Wenn ich erst meinen Schattenanzug habe, mache ich mal einen Versuch beim Uhrmacher. Ich schleiche mich lautlos in seinen Laden, tue so, als ob ich eine goldene Uhr klaue, und dann schlage ich Alarm.«
»Ich würde dir raten, das bleiben zu lassen, lieber Kuno.«
»Ich will doch mal ein berühmter Detektiv werden. Je eher man mit dem Lernen beginnt, um so besser. – O, Sie werden schon in einigen Jahren von mir hören, Herr Wendelin.«
Aber auch Martin wollte von dem jungen Ingenieur allerhand wissen. Ob er schon in Wäldern gewesen wäre, wo Indianer lebten, und ob er zu skalpieren verstände.
So verging der erste Abend sehr angeregt. Herr und Frau Wagner hatten Mühe, ihr Lachen zu unterdrücken, wenn die Zwillinge ihre grausigen Pläne enthüllten und von ihrer Zukunft sprachen. Der eine wollte ein berühmter Indianerhäuptling werden, der andere ein bekannter und gesuchter Detektiv.
Am 23. Dezember war man fast noch aufgeregter. Heute sollte Bärbel heimkommen, und auf die Schwester freuten sich die Zwillinge ungemein.
»Mit der ist ein Ding zu drehen«, meinte Kuno, »die hat Mumm in den Knochen. Da werden wir schon ’ne Geschichte schmeißen. – Ich plane Großes!«
Frau Wagner und die beiden Knaben holten Bärbel von der Bahn ab. Goldköpfchen hatte sich zwar vorgenommen, die junge Dame zu spielen, um auf die beiden jüngeren Geschwister