Joachim Wagner hatte sich mit Hilfe von Bettüchern ein Maharadscha-Kostüm zurecht gemacht, Wendelins hatte sich Frau Wagner liebevoll angenommen und ihn als Stierkämpfer herausgeputzt. Er sah zwar etwas hager aus, machte aber immerhin einen ganz guten Eindruck. Bärbels Kostüm war vielleicht das billigste. Das junge Mädchen hatte sich aus Kreppapier eine Heckenrose gearbeitet und dabei so viel Geschick gezeigt, daß selbst Frau Wagner die Talente ihrer Tochter ehrlich bewunderte. Maria kam als Krankenschwester mit einem schwarzen Häubchen, dann sah man ein Veilchen, eine Zigeunerin, eine Bäuerin; nur Anita Schleifer, die Tochter des reichen Holzhändlers, hatte sich als Marquise Pompadour in ein geradezu kostbares Gewand gehüllt.
Alle waren versammelt, nur der, der Bärbels Glück bedeutete, war noch nicht erschienen. Aber endlich kam er auch. Er trug einen feuerroten Domino.
»Rot ist die Liebe«, flüsterte Bärbel ihrer Freundin Maria zu, »sieht er nicht wie ein König unter Bettlern aus?«
Aber im Laufe des Abends kam doch für Bärbel das große Weh. Der feuerrote Domino war fast immer an der Seite Anita Schleifers zu finden; er tanzte mit ihr sogar den Kotillon. Bärbel bildete sich zwar ein, daß ihr das Herz breche, aber ihr Gesichtchen strahlte doch stets erneut auf, wenn sie beständig zum Tanze aufgefordert wurde.
Wilhelm Wolf, der berühmte Gutsbesitzer aus Pommern, näherte sich natürlich auch im Laufe des Abends mehrfach Bärbel; aber sie fühlte doch heraus, daß er Anita viel mehr Interesse entgegenbrachte als ihr.
Der Abend verlief überaus fröhlich. Gegen Mitternacht goß man Blei; Maria goß Tränen, nichts als Tränen.
»Ich wußte es«, sagte sie, »mich hat das Glück verlassen.«
Bärbel goß sich einige Bäume.
»Du kriegst ihn doch noch«, flüsterte ihr Maria zu, »hier unten, das ist eine große Wiese, und da – ist die Allee, die zu deinem Schlosse führt.«
Harald Wendelin wurde wegen des Herzens, das aus der Bleimasse entstanden war, von dem Wagnerschen Ehepaar aufgezogen. Dann warfen die Anwesenden mit Apfelschalen, um daraus den Vornamen des Zukünftigen zu erfahren. Bärbel, Anita und Wendelin warfen alle drei den Buchstaben W.
Bärbel betrachtete die gelegte Apfelschale tiefsinnig.
»Heißt er nun Wiese, Wolf, oder ist’s noch einer, der in der Zeiten Hintergrunde schlummert?«
»Du bleibst ledig«, sagte Anita Schleifer ein wenig spitz. »wenn man sich den Buchstaben des eigenen Vatersnamen wirft, bekommt man niemals einen Mann.«
»Nun wirf du doch mal!«
Anita Schleifer schleuderte geziert die Apfelschale über die linke Schulter. – Da lag ein deutliches »S«.
»Na also«, sagte Bärbel mit teuflischer Schadenfreude, »wenn man sich den Anfangsbuchstaben seines Vatersnamen wirft, bleibt man ledig.«
»Ach, hast du ’ne Ahnung«, entgegnete Anita ein wenig verächtlich und wandte sich an den roten Domino: »Darf ich Sie bitten, Herr Rittergutsbesitzer, mich zu den Erfrischungen zu führen.«
Um drei Uhr morgens war Schluß des Festes. Die Jugend bestürmte zwar Herrn Wagner leidenschaftlich, er möge doch noch ein Stündchen zugeben. Aber der Apothekenbesitzer erklärte mit eiserner Energie, es sei nun genug.
Beim Abschiednehmen küßte Wilhelm Wolf Bärbels beide Hände.
»Auf Wiedersehen, mein gnädiges Fräulein. Treffen wir uns morgen nachmittag wieder in der Konditorei?«
»Nein«, sagte Bärbel, »ich habe mich bereits mit drei anderen Herren verabredet, – es mangelt mir an der Zeit.«
»Wie soll ich das ertragen?«
»Verabreden Sie sich doch mit Anita.«
»Warum tun Sie meinem Herzen so weh?«
»Das große Weh muß ein jeder erfahren, Herr Rittergutsbesitzer.«
Bärbel schlief trotz der gehabten Enttäuschung wundervoll. Beim Einschlafen dachte sie noch an die freundlichen Worte des jungen Provisors, der mit Bärbel viel getanzt hatte und der ihr so manchen harmlosen Witz erzählt hatte.
»Er heißt zwar Mittelmann, aber er ist doch besser als die anderen Männer.«
Das waren Goldköpfchens letzte Gedanken, dann schlummerte es süß und fest ein.
Am nächsten Morgen gab es in der Apotheke eine große Aufregung. Zuerst wurde von Herrn Schleifer geschickt und angefragt, ob man dort beim Aufräumen Anitas Brillantring gefunden hätte. Darauf stellte Apotheker Wagner fest, daß ihm aus dem Eßzimmer eine kleine, wertvolle Bronze fehlte, und schließlich schickte auch Herr Gebert, einer der geladenen Tänzer, hin, um anzufragen, ob er gestern sein Portemonnaie liegen gelassen habe.
Drei Stunden später erschien ein Kriminalbeamter, der streng vertraulich Herrn Wagner zu sprechen wünschte. Es stellte sich heraus, daß Herr Wolf ein gesuchter Hausdieb sei, der eigentlich Winkelstern hieße, und der von Ort zu Ort reise, sich in die Familien unter einem falschen Namen einführe, um dort Hausdiebstähle zu begehen.
Für Wagners war dieser Vorfall recht peinlich, zumal man den angeblichen Rittergutsbesitzer im Hotel nicht mehr erwischt hatte. Er war mit dem Frühzuge bereits aus Dillstadt abgefahren, und niemand wußte, wohin.
»Da hat uns unser Bärbel mal wieder etwas Nettes eingebrockt«, sagte Frau Wagner.
»Wir dürfen Goldköpfchen keine Schuld geben, liebe Frau, wir hätten diesen uns fremden Mann nicht in unser Haus bitten dürfen, auch wenn die Erkundigungen gut waren. Ich hatte von vornherein ein Mißtrauen gegen diesen Burschen.«
Man war zunächst bemüht, die Angelegenheit geheimzuhalten: aber der Hotelbesitzer, der selbst stark geschädigt worden war, trug die Sache im Ort herum, und so erfuhr auch Bärbel davon.
»Das ist stark«, sagte das junge Mädchen empört, »nun wird es nichts mit dem Schweineschlachten und dem großen Glück, – nun ist doch das große Weh da. – Ja, ja, man soll nur den Karten glauben, – Schwindel ist alles! Die dumme Kati weiß gar nichts!«
Maria Koch schöpfte wieder Hoffnung, zumal sie sich heute mit Joachim Wagner in der Konditorei traf; vielleicht hatte Bärbel recht, vielleicht logen die schmutzigen Blätter. Warum sollte gerade Kati die Gabe haben, in die Zukunft zu sehen?
Am ersten Januar schrieb Goldköpfchen ins Tagebuch ein: »Glück im Unglück, – noch habe ich Gerhard Wiese den Abschiedsbrief nicht geschrieben, und ich werde es auch nicht tun. Er hat bestimmt noch keine Bronze geklaut, – er ist ein Ehrenmann! Und an Karl Schilling werde ich auch heute noch schreiben.«
Dann saß sie wieder bei Harald Wendelin und ließ sich von ihm wohl zum zehnten Male »Frauenliebe und Leben« spielen.
Blaublümelein
Die Weihnachtsferien waren vorüber, Goldköpfchen war wieder nach Dresden zurückgekehrt. Beim Abschied hatten die Eltern ihr Töchterlein ermahnt, im letzten Vierteljahr recht fleißig zu sein, damit Bärbel nicht etwa in der Obertertia sitzenbleibe.
»Ich hoffe ja nicht, Vati, aber mit des Schicksals Mächten ist kein ewiger Bund zu flechten.«
»Das werden Sie sich selbst nicht antun, Bärbel«, sagte Harald Wendelin, »es ist doch recht peinlich, wenn die Mitschülerinnen weiter kommen und man selbst mit jüngeren wieder von vorn anfangen muß.«
»Gestehen Sie es mir ehrlich, Herr Wendelin, sind Sie niemals sitzengeblieben?«
»Nein, Bärbel, das gab es für mich nicht. Ich wußte, daß meine Mutter ums tägliche Brot stark zu kämpfen hatte, ich habe frühzeitig den Ernst des Lebens kennengelernt, ich konnte die schmale Tasche meiner Mutter nicht mehr belasten. Sie starb mir viel zu früh, ich kam zu Verwandten, und die sahen streng darauf, daß ich die Klassenziele erreichte.«
»Dann haben Sie eigentlich keine sonnige Kindheit gehabt.«
»So