brauchen Lanies Handynummer und ein möglichst aktuelles Foto von ihr“, sagte er.
Joanie sah jetzt doch betroffen aus, sagte aber nichts dazu.
„Einen Moment“, sagte sie und entfernte sich wieder von der Haustür.
Keri sah Ray an, der ihr mit einem Kopfschütteln signalisierte, dass auch ihm diese Frau nicht gefiel.
„Ich würde lieber im Auto warten“, sagte Keri, „sonst sage ich noch etwas … Kontraproduktives zu dieser Frau.“
„Vielleicht keine schlechte Idee. Ich schaffe das hier allein. Vielleicht könntest du Edgerton anrufen und herausfinden, ob er nicht doch auf die sozialen Netzwerke zugreifen kann. Schließlich kann man die Regeln in bestimmten Fällen auch etwas lockerer auslegen.“
„Raymond Sands, du bist mein Star“, sagte sie und war augenblicklich wieder besser gelaunt. „Scheinbar färben meine teils unkonventionellen Methoden langsam auf dich ab. Das gefällt mir.“
Sie drehte sich um und sprang zum Auto, bevor er etwas entgegnen konnte. Aus dem Augenwinkel sah sie, dass die Männer nebenan sie die ganze Zeit beobachteten. Plötzlich spürte sie, wie kalt die Luft war und zog den Reißverschluss ihrer Jacke bis obenhin zu. Obwohl der November in Los Angeles recht angenehm war, konnte einen die kühle Luft doch zum frösteln bringen, wenn man nicht direkt in der Sonne war. Die unangenehmen Blicke dieser Männer trugen vielleicht zusätzlich zu Keris Gänsehaut bei.
Anstatt in den Wagen einzusteigen, lehnte sie sich mit dem Rücken dagegen. So konnte sie weiterhin Lanies Haus und die Nachbarn im Auge behalten, während sie Edgertons Nummer wählte.
„Edgerton hier“, meldete er sich enthusiastisch. Kevin Edgerton war mit seinen achtundzwanzig Jahren der jüngste Mann auf dem Revier. Er war groß und schlaksig. Außerdem war er ein wahres Computergenie, verantwortlich für mehr als einen technischen Durchbruch in so manchem Kriminalfall.
Darüber hinaus hatte er Keri geholfen mit dem Sammler in Kontakt zu treten. Jetzt sah Keri vor ihrem inneren Auge, wie er seine dicken braunen Strähnen aus den Augen strich. Sie begriff nicht, warum er sich nicht endlich einen anständigen Haarschnitt zulegte.
„Hi Kevin, Keri hier. Ich brauche deine Hilfe. Kannst du dir vielleicht Zugang zu ein paar gewissen Online-Profilen verschaffen? Es geht um Sarah Caldwell aus Westchester, sechzehn Jahre alt. Die andere junge Dame heißt Lanie Joseph, ebenfalls sechzehn, aus Culver City Süd. Bitte halte mir keinen Vortrag über gerichtliche Verfügungen. Es ist dringend und wir…“
„Schon geschehen“, unterbrach Edgerton sie.
„Was? Das ging schnell“, sagte sie erstaunt.
„Naja, Caldwell ist nicht ganz so einfach. Ihre Accounts sind mit Passwörtern geschützt und ich muss mit ihr verlinkt sein, um ihre Seite zu sehen. Ich könnte das Passwort knacken, aber du weißt ja, legal ist das nicht. Josephs Seite ist hingegen ein offenes Buch. Jeder kann sehen, was sie macht. Ich sehe es mir in diesem Augenblick an.“
„Gibt es irgendwo einen Hinweis darauf, was sie heute ab Mittag gemacht hat?“, fragte Keri und bemerkte, dass drei Männer aus der Einfahrt auf sie zugingen.
Die beiden anderen schienen Ray weiter zu beobachten, der noch immer vor Joanie Harts Tür stand und darauf wartete, dass sie ein Foto von ihrer Tochter fand. Keri verlagerte ihr Gewicht ein wenig. Sie lehnte noch immer mit dem Rücken an dem Wagen. Doch jetzt konnte sie schneller reagieren, falls es nötig wäre.
„Auf Facebook ist seit gestern Abend nichts passiert, aber sie hat heute Mittag ein paar Fotos mit einem anderen Mädchen zusammen auf Instagram gepostet. Ich nehme an, es handelt sich um Sarah Caldwell. Sie waren in der Fox Hills Mall. Eines der Fotos wurde in einem Modegeschäft aufgenommen, das andere an einem Makeup-Stand. Das letzte zeigt sie an einem Esstisch mit einer Riesenbrezel. Titel Yummy, Zeit: 2 Uhr und 6 Minuten.“
Die drei Männer bogen jetzt in den Garten der Harts ein. Sie waren nur noch wenige Meter entfernt.
„Danke Kevin, letzte Bitte: Ich werde dir die Handynummern der Mädchen schicken. GPS ist wahrscheinlich bei beiden deaktiviert, aber ich will wissen, wo sie zuletzt waren“, sagte sie, als die Männer sich vor ihr aufbauten. „Ich melde mich wieder.“
Sie legte auf, bevor er etwas sagen konnte und steckte ihr Handy in die Hosentasche. Dabei öffnete sie unauffällig den Verschluss ihres Holsters.
Schweigend sah sie die Männer an. Dann stemmte sie ihr rechtes Bein gegen den Wagen. So hatte sie zusätzliche Kraft, wenn sie sich schnell bewegen musste.
„Guten Abend, die Herren“, sagte sie schließlich in freundlichem Tonfall, „recht frisch heute Abend, nicht?“
Ein kleiner Lateinamerikaner – offenbar der Anführer dieses Rudels – drehte sich zu seinen Freunden um. „Hat diese Schlampe gerade gesagt, es wäre recht frisch?“ Er war zwar klein, aber unter seinem riesigen Flanellhemd konnte Keri nicht erkennen, welche Statur er hatte. Die beiden anderen waren groß und dünn. Ihre Hemden hingen locker herab, als wären sie wandelnde Skelette. Einer der beiden war weiß, der andere ebenfalls südamerikanischer Herkunft.
„Das ist schön, ihr nehmt heutzutage auch weiße in eure Gangs auf“, sagte sie und wies mit dem Kinn auf den Mann, der offensichtlich nicht zu den anderen beiden passte. „Gab es nicht genügend willige Handlanger in der Familie?“
Es war eigentlich nicht Keris Art, aber sie musste versuchen die Gruppe aufzuspalten und sie wusste, dass viele dieser Gangs sehr speziell damit waren, wen sie aufnahmen und wen nicht.
„Die große Klappe wird dir noch Ärger einfahren, Missy“, zischte der Anführer.
„Yeah, Ärger“, wiederholte der große weiße Typ. Der andere sagte nichts.
„Wiederholst du immer, was dein Boss sagt?“, fragte Keri den Weißen. „Sammelst du auch den Müll ein, den er so fallen lässt?“
Die beiden Männer sahen sich kurz an. Keri spürte, dass sie einen wunden Punkt getroffen hatte.
Im Hintergrund sah sie, dass Ray inzwischen das Foto von Lanie bekommen hatte und jetzt zu ihnen herüberkam.
Die beiden übrigen Männer wollten sich ebenfalls in Bewegung setzen, aber Ray warf ihnen einen eisigen Blick zu und sie blieben sofort stehen.
„Die Schlampe ist ziemlich frech“, sagte der Weiße. Etwas Besseres schien ihm nicht einzufallen.
„Vielleicht sollten wir ihr ein paar Manieren beibringen“, sagte der Anführer.
Keri sah, wie der dritte Typ sich daraufhin anspannte. Jetzt war ihr die Dynamik dieser Gruppe vollkommen klar. Der Anführer hatte die größte Klappe. Der Weiße war sein Handlanger und der Dritte war der Friedliche. Er war nicht mitgekommen um sich zu schlagen, er war hier, um die anderen beiden davon abzuhalten. Da er bisher nicht direkt angesprochen wurde, wollte Keri ihn jetzt miteinbeziehen. Mal sehen, wie er reagieren würde.
„Seid ihr vielleicht Zwillinge?“, fragte sie ihn und nickte in Richtung des Weißen.
Er sah sie einen Moment lang, offenbar wusste er nicht genau, was er mit diesem Kommentar anfangen sollte. Keri zwinkerte ihm zu und sofort schien er sich zu entspannen. Jetzt lächelte er fast.
„Eineiige Zwillinge sogar“, antwortete er.
„Yo, Carlos, was redest du? Wir sind doch keine Zwillinge“, sagte der Weiße verwirrt.
„Nee, Mann!“, mischte sich der Anführer wieder ein und lachte. „Die hat schon recht. Nicht leicht, euch auseinanderzuhalten. Wir sollten euch markieren.“
Jetzt lachten alle drei, auch wenn der Weiße nicht zu begreifen schien, warum er lachte.
„Alles okay hier?“, fragte Ray hinter ihnen. Die drei Männer fuhren erschrocken