Magda Trott

PUCKI & POMMERLE: Alle 18 Bücher in einem Band


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Ohne Mütze durfte er dem Professor doch nicht vor die Augen treten. Aber Pommerle war schon wieder in Krummhübel, das war schließlich die Hauptsache.

      »Daß ich daran gar nicht gedacht habe,« sagte er, »wozu laufe ich denn bis zu den Grenzbauden! Ich hätte doch gleich wieder zurück nach Krummhübel gehen müssen.«

      Er schaute zu seiner Mütze empor, kraulte sich hinter dem Ohr und beschloß dann, die neue Mütze herunterzuholen. Er zog die Jacke aus, legte sie auf den Boden, dann klomm er an dem rauhen Stamme empor.

      Aber heute schien der Jule vom Unglück verfolgt zu sein. Mit dem Hosenboden blieb er an einem hervorstehenden Aststümpfchen hängen, ein Riß. Jule fühlte an seinem verlängerten Rücken die kühle Morgenluft, und als er mit der Hand behutsam hinfaßte, stellte er fest, daß quer über den Hosenboden ein zwei Finger langer Riß klaffte. Das war fatal, denn die kurze Joppe deckte den Schaden nicht zu. Solange er hier im Gebirge wanderte, machte das weiter nichts, aber wenn er hinab nach Krummhübel kam, wurde die Geschichte unangenehmer.

      Trotzdem waren diese Gedanken bald vergessen; die Aussicht, das Pommerle endlich wiederzufinden, verliehen dem noch stark ermüdeten Knaben wieder neue Kräfte. Durch den Eulgrund eilte er nach Wolfshau hinab. Auf halbem Wege lag ein Forsthaus, hätte Jule geahnt, daß dieses Haus sein Pommerle barg, er wäre sicherlich nicht so rasch vorübergeeilt wie jetzt. Aber die guten Förstersleute und Pommerle lagen zu so früher Morgenstunde noch in tiefstem Schlaf.

      Es war gegen sechs Uhr morgens, als Jule nach Krummhübel kam. Mit der Hand hielt er sich den Riß im Hosenboden zusammen. Wohl war ihm nicht zumute. Was würde Professor Bender wohl sagen? Pommerle hatte gewiß längst erzählt, daß es von Jule verlassen worden war.

      Auf den Straßen war noch kein Leben, hin und wieder radelte ein Bäckerjunge mit einem Korbe, gefüllt mit frischen Brötchen, vorüber, Männer gingen mit dem Handwerkszeugs auf dem Rücken zur Arbeit.

      Er eilte weiter bis hin zu jenem Hotel, in dem Benders abgestiegen waren, und blieb unschlüssig an der Tür stehen. Er horchte, vernahm innen Stimmen und sah den Pförtner heraustreten.

      Schüchtern trat Jule an den Mann heran.

      »Guten Morgen auch.«

      »Ist das nicht – – da bist du ja wieder, – na, deinetwegen haben wir gestern was ausstehen müssen.«

      Jule wurde rot.

      »Kennen Sie das Pommerle?«

      »Freilich! – Du bist fortgelaufen mit der Kleinen. Na warte mal, mein Junge, die Prügel! Wenn du meiner wärst, müßtest du dir den Hosenboden gehörig pflastern lassen.«

      »Schläft das Pommerle noch?«

      »Das ist überhaupt gar nicht hier, es wird erst geholt.«

      »Ist nicht hier?« Jule schrie die Worte entsetzt heraus.

      »Der Herr Professor ist schon fortgegangen, er holt es wieder heim.«

      »Wo ist es denn? – Lebt es noch?«

      »Ja, – man hat es unterwegs gefunden und dann in das Forsthaus zu Wolfshau gebracht.«

      »Und ihm fehlt nichts, gar nichts?«

      »Nein, mein Junge, aber dir fehlen gehörige Prügel.«

      »Mir ist ja jetzt alles einerlei,« rief Jule unter Lachen und Weinen. »Wenn Sie wollen, mögen Sie mich verhauen. Wenn nur das Pommerle wieder da ist!«

      Jule drängte den Pförtner zur Seite und betrat die große Halle.

      »Hurra–a–a–a–a–a!« brüllte der Knabe aus Leibeskräften, »das Pommerle ist gefunden!«

      »Willst du wohl stille sein!« schrie ihn der Pförtner an, »es ist erst sechs Uhr, da schlafen unsere Gäste noch.«

      Jule senkte den Kopf schuldbewußt. Dann aber strahlte er den Mann an. »Ich freue mich halt gar so seht, daß das Pommerle wieder da ist!«

      »Wie siehst du aber aus, Junge? Gerade wie ein Landstreicher. Da hinten alles zerrissen. Geh hinauf und zieh dir erst mal 'ne andere Hose an. Schäme dich, so umher zu laufen!«

      In seiner freudigen Erregung hatte der Knabe vergessen, die Hose, die bedenklich herunterhing, noch weiter zusammenzuhalten. Jetzt schämte er sich, daß er so liederlich vor dem Pförtner stand.

      »Jetzt hinauf nach Nummer 7, die Frau Professor ist schon auf. Hast ihr große Sorgen gemacht.«

      Rückwärts, damit der Pförtner den zerrissenen Hosenboden nicht wieder erschaue, stieg Jule die Treppe zum ersten Stockwerke empor. Als er aber an der Tür von Nummer 7 stand, sank ihm der Mut. Einen ganzen Tag lang war er fern gewesen. Man hatte ihn mitgenommen, hatte ihn durch diese kleine Reise zu erfreuen versucht, und er hatte dem Professor und seiner Frau so schlecht gedankt.

      »Ich will es auch ganz bestimmt nicht ein zweites Mal tun,« murmelte er.

      Immer noch stand er zaghaft an der geschlossenen Tür und wagte nicht anzuklopfen. Aber endlich tat er es doch, ganz leise und zaghaft.

      »Bitte!« erklang von drinnen die Stimme der Frau Professor Bender.

      Eine rasende Angst überfiel den Knaben. Die Tränen stiegen ihm in die Kehle, er wagte nicht zu öffnen.

      Als auf einen erneuten Hereinruf niemand das Zimmer betrat, öffnete Frau Bender selbst die Tür und sah sich Jule gegenüber.

      »Jule!«

      »Ich will's nicht wieder tun,« stammelte der Knabe unter hervorstürzenden Tränen.

      »Jule, – dem lieben Gott sei gedankt, daß du da bist!«

      »Ich habe gedacht – – daß es vorneweg geht. Ich hab's immerzu gesucht – – ich hab's aber nicht gefunden. – Ich will's nicht wieder tun – ich – – ich – –« Vor Schluchzen konnte er nicht weitersprechen.

      All der Zorn, den Frau Bender für den Knaben in sich aufgespeichert hatte, war verflogen. Nur noch Sorge war in ihr gewesen um die beiden Kinder. Als man gestern abend spät gemeldet hatte, daß Pommerle wohlbehalten im Forsthause Wolfshau weile, hatte ihre ganze Sorge Jule gegolten, von dem man nichts gesehen hatte.

      Nun stand er gesund vor ihr, freilich, ein Bild des Jammers. Zerknirscht, das Gesicht zerschrammt, der Anzug zerrissen. Sie legte den Arm um die Schulter des Knaben und zog ihn ins Zimmer.

      »Jule – Jule, wie konntest du davonlaufen? Wie konntest du uns solche Sorgen machen?«

      »Ich will's auch nicht wieder tun,« schluchzte der Knabe erneut. »Ich habe mich so geängstigt, ich hab' das Pommerle überall gesucht, hab's nicht gefunden, aber nun ist's ja da, nun ist alles wieder gut!«

      »War es nicht unrecht, Jule, dem Kinde davonzulaufen?«

      »Ja.«

      »Kannst du dir nicht denken, daß wir in großer Sorge waren?«

      »Sie werden sich lange nicht so geängstigt haben wie ich. – Es war schrecklich!«

      »Du hättest Strafe verdient, Jule. Danke dem lieben Gott, daß alles so gut abgelaufen ist, Pommerle hätte in den Bergen umkommen können, und alles durch deine Schuld.«

      Der Knabe stand mit gesenktem Haupte vor Frau Bender. Dann fuhr er plötzlich mit der Hand in die Tasche und legte ein Zweimarkstück vor Frau Bender hin.

      »Hier, das sollen Sie haben.«

      »Warum denn?«

      »Weil ich ungezogen war, – ich schenke es Ihnen, weil Sie sich so sehr geängstigt haben. Ich hab's – – ich hab's mir sauer verdient, aber ich gebe es Ihnen gerne.«

      »Behalte dein Geld, mein Kind, aber versprich mir jetzt fest, daß du unser Pommerle nicht wieder zu solchen Streichen veranlassen wirst. Ein Kind darf nicht davonlaufen, sonst bestraft es der liebe Gott.«

      »Und der Rübezahl!« ergänzte