Magda Trott

PUCKI & POMMERLE: Alle 18 Bücher in einem Band


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es doch zu singen: »O du fröhliche, o du selige. – Jule, du sollst mitsingen!«

      Gemeinsam begann man das Lied von vorn. Aber schon nach der ersten Zeile hielt Pommerle inne. »Was hast du denn eben gesungen, Jule?«

      »Nun, das Weihnachtslied.«

      »Sing doch mal allein.«

      Da sang der Jule los: »O du fröhliche, o du selige, gabenbringende Weihnachtszeit.«

      Das Kind lachte. »Du kannst ja nicht mal das Weihnachtslied. Ach, Jule, bist du dumm!«

      »Wenn es nun nicht bald losgeht, trage ich meine Geschenke wieder nach Hause. – Weißt du was, Pommerle, bei mir ist eben jetzt Bescherung. Ich hole dir das Grauchen.«

      »Wo ist es denn?«

      »Nun, das habe ich auch schon der Frau Professor gebracht. Jetzt sitzt es auch in der Weihnachtsstube. Aber sie soll es mir wieder 'rausgeben.«

      »Und meine Pulswärmer liegen auch auf deinem Platz.«

      »Ach so, Pulswärmer. – Na ja, die kann ich gut brauchen.«

      Gerade als die große Standuhr ausholte, um die erste Viertelstunde nach sechs zu schlagen, ertönte die Glocke, die die beiden Kinder und Anna, das Hausmädchen, in die Weihnachtsstube rief. Auch Frau Krause, die Aufwärterin, hatte sich inzwischen eingefunden, denn auch für sie war im Benderschen Hause ein Gabentisch aufgebaut worden.

      Jule und Pommerle stießen mit den Köpfen in der Tür heftig zusammen, jeder wollte zuerst im Zimmer sein.

      Da stand der große Weihnachtsbaum mit seinen strahlenden Lichtern, im Gold- und Silberschmuck. Zwischen den Zweigen leuchteten rote Äpfel und braune Pfefferkuchen. Während Jule mit den Augen seinen Platz suchte, stand Pommerle wie gebannt in den Anblick des schönen Baumes versunken. Was war das für eine Pracht! Sogar in diesem Augenblick dachte es kurz an Sabine. Sie sagte zwar, sie könne durch das Herz sehen, aber es war wohl doch nicht möglich, daß sie den Weihnachtsbaum in all seinem strahlenden Glanz erkannte.

      Aber die Gedanken des Kindes wurden sehr bald abgelenkt durch das Freudengebrüll, das der Jule ausstieß.

      »Oh, juhu – fein – das ist 'ne Kiste! Oh, Hurra! Jetzt geht es in die weite Welt. Gehört es wirklich mir? Mir ganz allein? Oh – oh – uff!«

      Jule stand vor einem Fahrrad. Er strahlte vor Glück und Wonne. Es war kein neues, blitzblankes Rad, man sah es ihm an, daß es wohl schon oftmals benutzt worden war; aber der Jule kniete neben dem Rad nieder, streichelte die Speichen, die Pedale, alle Stangen; und ehe Professor Bender, der lächelnd dem Treiben des Knaben zusah, es hindern konnte, hatte sich der Jule aufgeschwungen. Er wollte sicherlich nicht fahren, aber in seiner Freude trat er auf die Pedale. Im nächsten Augenblick fuhr Jule geradeswegs in den Weihnachtsbaum hinein.

      Herr und Frau Bender sprangen rasch hinzu, um ein Unglück zu verhüten. Es lief auch alles gut ab, obwohl der Baum bedenklich schwankte. Aber der Jule lag auf der Erde. Er war sichtlich erschrocken.

      »Aber, Jule, was machst du denn?«

      Der Knabe konnte vor Verwirrung nicht antworten. In seinen Gedanken tobte der Sturm der Freude: »Ich habe ein Rad, ich habe ein richtiges Fahrrad!«

      Pommerle stand vor seinem Gabentisch und war ebenfalls überwältigt von all den schönen Geschenken. In einem Körbchen lag ganz ruhig eine große, graue Katze. Es schien, als ließe sie sich durch all den Glanz und Lärm nicht stören.

      »Grauchen, mein liebes Grauchen!«

      Doch lange konnte sich Pommerle mit dem Tier nicht aufhalten, denn vor dem Tische stand etwas, das dem Kinde ebenfalls helles Jubelgeschrei entlockte: der Roller.

      »Oh – uh – herrlich!«

      Und plötzlich rollte auch Pommerle durch das Zimmer und wurde noch im letzten Augenblick von den Armen des Onkels aufgehalten, sonst wäre der Weihnachtsbaum abermals in Gefahr gekommen.

      »Darf ich jetzt gehen?« fragte Jule.

      »Aber, Jule, wir haben noch nicht einmal ein Weihnachtslied gesungen.«

      Er stand an seinem Rade und hielt es mit beiden Händen fest. Er schien wohl zu fürchten, daß man ihm diesen kostbaren Schatz wieder entreißen könnte.

      »Nun wollen wir zuerst ein schönes Lied singen.«

      »Darf ich dazu das Grauchen in den Arm nehmen?«

      »Laß die Katze nur im Körbchen liegen, sie ist zu schwer für dich.«

      Frau Bender setzte sich ans Klavier; man begann zu singen: »Stille Nacht, heilige Nacht.« Andächtig sang Pommerle mit, aber die erste Strophe war noch nicht beendet, als Jule schon wieder mit dem Rade gegen die Tür fuhr. Er hatte nochmals einen kleinen Aufschwung gewagt und bekam selbst einen Schreck, als das Fahrrad mit ihm davonlief.

      Professor Bender hob warnend den Finger. Da stellte Jule beschämt das Rad an seinen Platz zurück.

      Nachdem das Lied beendet war, meinte der Jule:

      »Ich habe nun zuviel der Güte genossen, ich glaube, ich muß nun heim.«

      »Nein, Jule, nachher essen wir alle zusammen Abendbrot.«

      »Ich habe gar keinen Hunger, ich bin mächtig satt.«

      »Ganz gleichgültig, wir bleiben heute abend zusammen.«

      Dann kam Pommerle mit seinen Geschenken. Bei der Tante war es sehr stolz. Strahlend überreichte es ihr die neuerstandene kleine Kommode. Dann kam der Onkel an die Reihe. Erst gab Pommerle den einen Strumpf, dann hielt es den zweiten hin, wobei es den Arm über die Nadeln deckte.

      »Einer sieht wie der andere aus, Onkel. Begucke dir nur den anderen recht genau.«

      Der gutmütige Professor stellte sich auch tatsächlich so, als sähe er die Nadeln darin nicht. Er hatte von der Hundetragödie gehört und wußte um des Kindes Kummer.

      Die Kleine hing geschickt den noch unfertigen Strumpf über die Tischkante, legte den anderen darauf und flüsterte Anna glückselig an:

      »Du, er hat nichts gemerkt!«

      Dann brachte Frau Bender für Pommerle einen reizenden geflochtenen Nähkorb.

      »Sieh her, mein liebes Kind, den schenkt dir Sabine. Sie hat ihn selbst geflochten – für dich.«

      »Oh, ist der herrlich! Nun kann ich den ganzen Tag nähen. Und wenn ich mit meinem schönen Roller einen Ausflug mache, setzen wir uns dann ins Grüne und nähen. – Wie schön wird das sein! Der Jule fährt auf dem Rade – und ich auf dem Roller immer neben ihm her.«

      Jule hantierte schon wieder bedenklich mit seinem Fahrrad herum. Mit dem einen Fuß stand er ständig auf dem Pedal.

      Professor Bender trat zu dem Knaben.

      »Dein Meister hat mir in letzter Zeit viel Gutes von dir gesagt, mein lieber Junge. Da habe ich mir gedacht, daß ich solch einem braven Lehrling auch einmal eine recht große Freude machen will. Wie du siehst, ist das Rad nicht neu. Es ist mein eigenes Rad. Auf ihm habe ich so manchen schönen Ausflug unternommen. Es ist nicht so modern ausgestaltet wie die Räder, die die heutige Jugend fährt, aber das ist auch nicht nötig, Jule. Dir wird auch dieses Rad viele frohe Stunden bereiten. Kannst du dir erst dein Geld selber verdienen, dann darfst du dir ein schönes modernes Rad kaufen. Vom selbstverdienten Geld, mein Junge! Ich hoffe, daß du auch mit dem alten Rade zufrieden bist.«

      Der Jule wußte nichts darauf zu antworten. Er war etwas verlegen, er war aber auch überglücklich, und, ohne zu wissen, was er tat, saß er schon wieder oben. Er fuhr den armen Herrn Professor kräftig an, daß dieser beinahe gestürzt wäre, wenn er sich nicht an der Lenkstange festgehalten hätte.

      »Jule, Jule, du bist unverbesserlich! Aber das sage ich dir, wenn du mir im Zimmer etwas entzweifährst, nehme ich dir das Rad in den Weihnachtsfeiertagen fort.«

      Erschrocken ließ der Jule das Rad los.