Christof Wackernagel

Traumprotokolle


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ist der Sender schlecht eingestellt, dann schiebt er eine faltbare Tür neben dem Radio zur Seite und eine fahrbare Antennenschüssel-Station erscheint, die er auf dem Regal hin und her fährt und die Schüssel verstellt, bis der Empfang erstklassig ist und ich wundere mich, wie toll man klingen kann; darunter lauter gebrauchte alte Fernseher – an drei Ecken der Burg spielen Bands, schräger Free Jazz oder Neutöner; ich komme gerade zur dritten, wo einer beginnt zu tröten, der damit die anderen auch um die Ecke übertönen muss, unten am Hang sammeln sich die Leute, viele Kinder, ritualhaftes Zucken und Tanzen {die Straße, von der aus ich in das moderne Industriegelände mit der Druckerei ging, beziehungsweise die Druckmaschine, die so lang war und nur hinten oben in der flachen Ausbuchtung, und wo es so schwierig war, wieder rauszukommen, die enge Wendeltrepe, dann der Pförtner} • Ende der Hochzeit von Inge und Johannes, das Büfett wird abgeräumt und ein Kellner höhnt: »die werden sich schwarz ärgern, dass von dem Büfett nichts mehr da ist, vor allem der ganze Lachs weg«, und ein anderer arrangiert die restlichen Salatblätter nochmal neu, was ich hochprofessionell finde, und ich wundere mich, wie man das heute alles bestellen kann, mit Bedienung, wodurch doch auch was verloren geht, aber dann werde ich von einer Frau, die mit anderen in einer Nische an einem Tisch sitzt, kritisiert, massive Vorwürfe, auch politisch; ich wehre mich heftig und bekomme prompt Nasenbluten, werde draußen, am Dock, auf einem Seitengang eines Containerschiffes, wo es sehr eng ist, von einem Arzt am Rücken untersucht und er findet Grübchen, die er vorschlägt wieder glatt »zu fließen«, da gebe es eine neuartige Methode, aber als ich sage, dass ich behandelt werde und diese Stellen Folge davon sind, ist der Arzt entsetzt, auch seine Kollegen, die weißkittelig querschiffs durch einen engen Gang eilen, finden es unglaublich, müssen aber auch weg jetzt; und der Arzt, der schon seinen blauen Koffer dabei hat, fragt, ob »das hier in Wattenscheid« lief − ich sage: »Bergmannsheil, Bochum« − und auf dem Rückweg zum Schloss sehen der Typ, mit dem ich unterwegs bin, und ich am anderen Ende der sattgrünen Wiese, dicht beim Schloss zwei Löwen frei rumlaufen, und ich habe auch schon was davon gehört, dass der Schlossherr sich welche hält, sie also harmlos sein müssten, was mein Begleiter aber nicht glaubt und weshalb er rennen will, was ich ihn beschwöre, nicht zu tun, obwohl ich selbst den gleichen Impuls habe, aber da kommen die Löwen schon angerannt, der eine davon ist sogar ein Tiger, ein riesiger, gelbschwarz gestreifter mit riesigen Hauern im Maul; das andere Tier eine Löwenfrau, und sie rennen direkt auf uns zu, hasten aber an uns vorbei, ohne von uns Notiz zu nehmen und dann rennen wir zum Schloss, der andere an eine andere Seite, ich zu einer Tür, an die ich heftig klopfe – die wilden Tiere sind jetzt ganz hinten auf der anderen Seite der Wiese zu sehen, ruhig, wie grasend, – und mir wird tatsächlich von einem Kellner geöffnet, doppelte Panzerglastüren sind überall eingebaut, die automatisch nach den Seiten in der Wand verschwinden und eine Schleuse bilden und gleich um die Ecke lässt er mich durch eine solche Schleuse in den Vorraum, wo viele Leute aufbrechen, aber noch sitzen und palavern, hinten Erika, fett, verschwindend, dann aber wiederkommend, sehr viel schlanker, fremd, etwas aufgedreht, ganz anders als sonst, auch anders aufgedreht, und als sie weg ist, sehen Sabine und ich uns skeptisch an, auch Heiner sah so alt aus, da tönt es aus der Ecke von Walter Schultheiß: »das ist aber scheinheilig«, und dann sehe ich ihn erst, und begrüße ihn erfreut und auch die anderen Bärenbacher kommen, Nägele, etc., uralt, zerfallen, ranzig faltig –

      – wir müssen jetzt immer in Frauenkleidern gehen, wogegen man nichts machen kann, auch wenn es blöd ist, und oben auf dem Dach sehe ich in der Nähe von Stuttgart ein Flugzeug trudeln, es schwankt, fliegt vorwärts und rückwärts, als wäre es an einer Schaukel, stürzt, fängt sich wieder, ich sehe weg, denke aber, dass ich nicht verpassen darf, wenn es wirklich abstürzen sollte, was dann aber tatsächlich genau in dem Moment stattfindet, in dem ich wieder hinsehe, ich sehe es gerade noch zwischen den Häusern senkrecht verschwinden und dann eine Explosion, aber dann folgt eine zweite Explosion, eine konzentrische sich ausbreitende Welle, wie Napalm, und ich rase, während ich die anderen warne, die Treppe runter, denn die Welle muss jeden Augenblick auch unser Haus wegblasen, aber es passiert nichts und ich merke, dass ich bis in den Keller geraten bin, und nackt, aber das macht ja nichts in dieser Ausnahmesituation, außerdem gehe ich wieder hoch, die letzten beiden Stockwerke ziehe ich mich an den breiten Seilen neben dem Treppenhaus hoch, und oben ruft eine alte Frau nach Julia, aber die hat sich in einer Nische unter dem Dach versteckt und mault: »wie soll man sich denn umziehen, wenn man jetzt immer Frauenkleider anziehen muss« –

      – im obersten Stock eines hohen Hauses liege ich mit vielen anderen einer Gruppe im Bett, muffig, abgesondert von den anderen, mit denen ich nichts zu tun haben will und die anderen hauen auch bald ab, ich bin allein in der großen mehrebigen Wohnung, sehe draußen vor dem einen Fenster Riesenzüge auf Höhe des zehnten Stockes der Häuser, bullige, fast röhrenförmige Würste auf diesen Hochschienen, einmal deutlich von der SBB, edler als die anderen und aus dem anderen Fenster sehe ich, wie die Fassade des gegenüberliegenden Hauses abbricht und auf die Straße kracht, die dahinter erscheinende Ruine sieht auch schon sehr abgebrannt aus, während seitlich zu sehen ist, wie die Züge neben den Dächern in eine Fähre fahren, auch andere Gefährte, und auch das Haus, in dem ich bin, schwankt, aber als ich etwas später wiederkomme, allein in dem abgeschabten Aufzug hoch, sind oben wieder sehr viele Leute und bereiten hektisch die Filmerei und eine Vorführung vor, alles durcheinander auf den teilweise einen Meter unterschiedlich hohen Ebenen der Wohnung, teilweise mit Holzbalken abgestützt, und zwischen den Ruinen der umliegenden Häuser hat einer angeblich eine römische Scherbe gefunden, was durchgegeben und gefilmt wird, wie er, inmitten von kleinen Mauerresten, die nur einen Grundriss andeuten, die halbe Vase oder Schüssel hochhält, die so sauber aussieht, dass es eine Fälschung sein könnte, und die anderen sind froh, dass ich schon so viel aufgebaut habe, dass die Vorführung jetzt stattfinden kann, ein langer Film, an dessen Ende ich den Applaus anheize, auch Nata springt auf und klatscht demonstrativ, es wird ein großer, berechtigter Erfolg für den Autor, und im Gespräch mit einer Journalistin halte ich mich für ein lebendes Beispiel für die These des Films bezüglich vaterloser Kinder: ich habe ja zu reflektieren verstanden, aber was sollten die machen, die den Mechanismen dumpf ausgesetzt seien, man sollte fast einen Bericht darüber machen, was mir im selben Moment etwas peinlich ist, und dann stehe ich auf einem Podest mit Geländer und Stufen und Steckel kommt vorbei, umarmt mich und sagt beim Runtergehen: »das vergess ich dir aber nie«, was ich mit »Gottseidank« beantworte, aber dann reden wir noch über den Film, den ich toll fand, er aber unklar, inzwischen vermehrt sich aber die Hektik der Aufnahmen der Ruinen gegenüber, an denen gegraben wird, und plötzlich kommt einer der Filmer mit einer riesigen Laserkopie einer Aufnahme, spannt sie in eine Vorrichtung und filmt sie erneut ab, wobei Röntgen, Ultraschall und Akustisches eingesetzt werden, damit Strukturen verschiedenfarbig zum Vorschein kommen, changieren, pulsierend sich verändern, und langsam zeichnet sich ab und verschwindet, dass in einem Grundrissmauern-Kreis ein Hakenkreuz zu sehen ist, runenartig, und es stellt sich heraus, dass das Ganze eine Nazischweinerei übelster Sorte ist, eine Fälschung, der auf die Spur zu kommen Sinn dieses ganze Unternehmens ist, weswegen die Gruppe das Haus besetzt, deswegen auch die Hektik, weil der Beweis gefunden werden muss, bevor die Bullen kommen, und der Regisseur rennt zu einer Mitarbeiterin, die apathisch in der Ecke sitzt, und schreit sie an, eine andere auch – wir bauen einen Dachstock aus, allerdings nur halblegal, es muss sehr schnell gehen, nichts darf durch ein falsches Wort verraten werden, und nachdem ich nur einen Tag weg bin, ist der gesamte Rest gemacht, und die anderen zeigen es stolz, die nachgedrehte Wendeltreppe, den Seitenbau auf dem Dachgarten, ich bewundere alles, aber dann gibt es, während die anderen zum Saufen weg sind, Krach in den Autos, wer wo sitzt, und ein Kind, das keiner will, zwängt sich noch wo rein – Besprechung mit Steckel, Stein und Renate, Steckel sagt: »und Auschwitz nervt nur noch«, ich stehe auf und gehe, suche mein Fahrrad unten und schaue, dass ich so schnell wie möglich wegkomme –

      – ich schwebe auf einer Stange zig Meter über dem Fluss unter mir, schwinge bis zum Ufer, dann wieder bis über die Mitte, sehe kleine Schiffe tief unten –

      – am Ende der Knastzeit kommt in einem Hof Angela auf mich zu, hat was zu rauchen, und Probleme, weil sie den Shit irgendwie uncool verdealt, sie wird von anderen deswegen kritisiert, da kommt Gert vorbei, der eine Anhörung hatte und sagt, dass sei alles kein Problem, erzählt, wie er von seinem tollen Job im Zoo erzählt habe, den er ja jetzt verliere, und wir gehen dann noch mal in seine endende Wirkungsstätte, lange durch Wege,