Helga Dreher

Das Torhaus


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weiß nicht, wie ich die Renovierung angehen soll.“

      „Schritt für Schritt, denke ich. Und möglichst planvoll. Abgelehnt, dafür gibt es Architekten und Bauleiter. Oder Architektinnen und Bauleiterinnen. Warte mal, zu Architektin fällt mir doch gleich Monis Tochter ein, sie studiert an der Bauhaus-Uni. Vielleicht kennt sie Namen. Noch etwas?“

      „Andererseits – ich würde ganz gerne etwas in meinem Leben verändern …“

      „Na also, es wird doch. Kommt rechts unter ‚Für‘“.

      „In Weimar gefällt es mir.“

      „Nach deinem Bericht frage ich mich zwar, wie du in der kurzen Zeit zu dieser Erkenntnis kommst, aber gut, man nimmt, was man bekommt. Nach rechts damit.“

      „Die Anwaltsfirma will mich bei Bedarf beraten.“

      „Kann nie schaden. Nach rechts.“

      „Du hilfst mir, und ich finde dann vielleicht so etwas wie Freunde“, flüsterte Alma – „oder Freundinnen?“, fügte sie, schon lauter, hinzu.

      „Damit musst du rechnen! Auf mich kannst du zählen, Horst schließt sich natürlich an, na und warte mal, bis Moni von der Sache Wind bekommt. Dann kommt Freude auf. Also, Freundschaft nach rechts. Noch etwas?“

      „Ich müsste für den Übergang eine Wohnung in Weimar finden.“

      „Kein Problem, deshalb nach rechts, denn Wohnungssuche macht sicher Spaß. Noch etwas?“

      Alma zog die Stirn kraus und tat, als überlege sie krampfhaft. „Nein. Das war alles. Wie steht es auf der Liste?“

      „Fünf zu eins dafür. Eindeutiges Ergebnis, würde ich sagen. Das heißt: Du kannst jetzt nicht mehr zurück, Alma!“

      Damit schloss Sieglinde ihr Notizbuch, legte es mit dem Stift zurück in die Schublade und gähnte. „Um die Feinheiten der Planung kümmern wir uns ab morgen. Jetzt ist es kurz vor zehn und die Nachtschwester wird gleich vorbeikommen. Sie ist übrigens eine ganz sympathische Person. Ich musste sie wegen starker Schmerzen in meiner ersten Nacht mehrmals anklingeln und sie blieb immer freundlich. Stell dir vor, sie macht nur Nachtdienste, hat ihren Lebensrhythmus darauf eingestellt und ist angeblich sehr zufrieden damit. Erstaunlich.“

      Als Alma am nächsten Morgen zum Fiebermessen geweckt wurde, hatte sie die Hilfe der Nachtschwester nicht gebraucht und ganz gut geschlafen.

      KAPITEL 8

      Der nächste Tag verlief für Alma weit weniger aufregend. Nach Frühstück und Visite (Durchgeschlafen, Frau Winter? Sehr gut. Die Kopfschmerzen sind zurückgegangen? Ganz verschwunden? Noch besser. Dann entfernen wir die Cervicalstütze, Schwester Ines. Sie können aufstehen und im Haus herumlaufen, aber vielleicht vermeiden Sie besser die Treppen. Genießen Sie Ihren Aufenthalt bei uns, er wird nur kurz sein. Einen schönen Tag Ihnen beiden!) hatte Alma Leinenhose und Bluse übergezogen und war zum Hauserkunden aufgebrochen. Sieglinde hatte sich zur Begleitung nicht erboten, ihr Bein wolle sie nicht über alle Gänge spazieren tragen.

      Die Klinik war riesig, und trotz der unzähligen Wegweiser hatte sich Alma umgehend verlaufen und war im Röntgenbereich gelandet, aus dem sie nur nach mehrmaligem Nachfragen wieder hinausfand. Schließlich folgte sie konzentriert dem Schild „Cafeteria“ und erreichte einen Café- und Ladenbereich. Dort fand sie ein kleines Geschäft, das sich wohl ganz auf Dinge spezialisiert hatte, die Patienten benötigten: Zeitschriften, Bücher, Getränke, Süßigkeiten, eine kleine Auswahl von Textilien. Alma, die beim Anziehen der Bluse kein ganz gutes Gefühl gehabt hatte, kaufte eine Packung mit zwei weißen T-Shirts, drei der von ihr heiß geliebten Kokosriegel und ein Nachrichtenmagazin. Beim Bezahlen sah sie, dass auf dem Regal hinter der Verkäuferin einige Flaschen standen.

      Dann betrat sie die Cafeteria, holte sich am Tresen einen Milchkaffee und ein Croissant und setzte sich an einen der Tische auf der Außenterrasse. Sie schaute sich um und fand sich nun als Teil der Szene wieder, die sie gestern aus dem Fenster beobachtet hatte. Mehrere Patienten machten sich zu einem Spaziergang ins Außengelände auf. Als Park konnte man die Grasfläche nicht bezeichnen, dafür waren die Bäume noch zu klein. Aber Alma fand, dass die Anlage Potenzial hatte; eines Tages würden die Laubbäume mit ausgebreiteten Kronen bereitstehen, um mit ihrem Blätterdach Schatten zu spenden.

      Alma stand auf, sammelte Zeitung, Riegel und Geschirr ein und fühlte sich unvermittelt müde und ein wenig schwindelig. Schnell suchte sie den richtigen Weg zur Station, fand ihr Zimmer, erklomm das Bett und legte sich auf die Bettdecke.

      Von Sieglinde sah sie an diesem Tag wenig. Zu Almas Erleichterung war am Morgen kein Gefühl von Unsicherheit wegen der vertraulichen Gespräche am Vorabend aufgekommen. Man hatte sich fröhlich begrüßt, sich über die Reihenfolge der Badbenutzung geeinigt und gut gefrühstückt. Danach hatte Sieglinde etwas von Röntgen und Physiotherapie gesagt und war für größere Teile des Tages verschwunden, nicht ohne Alma noch auf den kleinen Stapel Zeitschriften und Bücher auf ihrem Nachtschrank hinzuweisen, nur für den Fall der Fälle, wenn es langweilig würde.

      Nach der Nachmittagsvisite hatte sich Alma den Stapel Bücher näher angeschaut. Sieh da, dachte sie, hier triffst du unvermittelt auf eine fast verwandte Leseseele: Frank McCourt, Anne Tyler und – wow – Katherine Hansen.

      Dazu, liebe Sieglinde, dachte Alma, werde ich noch etwas zu erzählen haben.

      Sie überlegte kurz, schaute auf die Uhr, nahm ihren Geldbeutel aus der Nachttischschublade und ging noch einmal zurück zum Laden.

      ❧

      Als Alma zurückkam, standen die Tabletts mit dem Abendessen auf dem kleinen Tisch. Sieglinde hatte bereits Tee eingegossen und sich eine Scheibe Brot mit Käse und Paprikastreifen belegt.

      „Horst war kurz hier und ist schon wieder weg“, meinte sie kauend, „er hat heute Fußballtraining, Alte Herren. Die Herren sind aber noch gar nicht so sehr alt und benehmen sich offensichtlich wie die Wilden auf dem Platz. Fast jedes Mal gibt es danach bei meinem Besten eine Blessur zu behandeln, voriges Jahr gipfelte es in einer ausgerenkten Schulter. Aber im Prinzip freue ich mich, dass die Jungs ihren Spaß haben und sich dazu auch noch bewegen. Horst hat das ja auch nötig. Übrigens soll ich dich herzlich grüßen.“ Sieglinde schaute lachend auf Almas Teller: „Na, du machst dir ja eine Kalorienbombe!“

      „Du wirst lachen, aber ich habe bestimmt seit Jahren keine Scheibenwurst mehr gegessen. Schau her, Bierschinken, Leberkäse, Lyoner – heißt die noch so? – wahre Schätze, erinnern mich auf wunderbare Weise an meine Kindheit.“

      „Seltsam, wie wir Zeiten unseres Lebens immer wieder mit Dingen verbinden, die damals für uns nicht wichtig schienen – oder die wir nicht als bedeutsam wahrgenommen haben. Meine Schulzeit verbinde ich zum Beispiel weniger mit dem, was ich gelernt habe, als vielmehr mit den vielen aufregenden Ereignissen, die sich außerhalb der Schule, in den Pausen oder auf dem Schulweg abspielten.“

      „Zum Beispiel die Bücher vor dem ersten Schultag nach den Ferien in Papier einschlagen, Etiketten beschriften, in Schönschrift, und vorn darauf kleben!“ Alma bekam sehnsüchtige Augen.

      „Oder noch vorher die neuen Schulsachen einkaufen, Hefte, Stifte, Zeichenblock, später Schnellhefter und Schreibblöcke …“

      „Neue Turnsachen anprobieren! Sport war für mich immer das Größte.“

      „Hattest du ein Glück, da habe ich ganz andere Erinnerungen. Ich war froh, wenn die Sportstunde endlich vorbei war, wir wieder in der Schule waren und der Mathelehrer vorn stand.“ Sieglinde verzog schmerzlich das Gesicht, als müsste sie noch einmal auf den Schwebebalken oder über die Aschenbahn.

      „Oh je, Mathe“, Alma schaute mit gespieltem Entsetzen zur Decke, „aber da gab es diesen netten Jungen in unserem Eingang, ein Jahr älter, der konnte sooo schön erklären …“

      „Sich schick anziehen, möglichst immer ein wenig auffälliger als die anderen Mädchen, und dann wurde der Schulhof zum Catwalk, wie man das heute nennen würde.“ Sieglinde kicherte