Helga Dreher

Das Torhaus


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      „Kein Problem!“ Alma ging zu ihrem Nachttisch und holte die am Nachmittag gekaufte Flasche Rotwein heraus, „einen Korkenzieher habe ich allerdings nicht.“

      „Wieder kein Problem, wir haben ja Leute aus dem gastlichen Gewerbe unter uns, nicht Moni?“ Sieglinde schaute hoffnungsvoll zwischen Moni und der geschlossenen Rotweinflasche hin und her.

      „Bei dir klingt das, als wäre ich in sonst welchem Gewerbe! Aber gut, einen Korkenzieher habe ich tatsächlich immer dabei, nur brauchen wir den hier nicht. Einen Schraubverschluss bekommt man durch Drehen nach rechts auf. Übrigens eine sehr sinnvolle Sache, Weinflaschen mit Schraubverschluss. Wurde auch wirklich Zeit …“

      Als Alma später am Abend, aber noch vor zehn Uhr, im Bett lag, sah sie den Dingen, die auf sie zukamen, fast gelassen entgegen. Gleich morgen würde sie einen Plan machen. Sie würde sich eine Wohnung suchen. Erst einmal müsste sie die Anwaltskanzlei anrufen, fiel ihr ein, damit in Sachen Erbschaft alles Notwendige veranlasst werden konnte.

      Moni war mit ihrem nun erheblich erleichterten Korb und voller Tatendrang ob der bevorstehenden Herausforderungen zur Bushaltestelle gegangen. Sieglinde hatte Alma noch für die weise Voraussicht des Kaufes einer Flasche Rotwein im Klinikladen gelobt. Die Nachtschwester hörte Alma nur noch von weitem, so müde war sie.

      ❧

      „Ja, Frau Winter, dann dürfen wir Sie nach Hause entlassen. Stellen Sie den Arm bitte in der nächsten Woche wieder bei uns vor, dann in der Tagesklinik, das ist hier gleich gegenüber. Wenn Sie nachher noch vorbeigehen, bekommen Sie einen Termin.“ Dr. Behringer reichte Alma die Hand und lächelte ihr aufmunternd zu. „Mit dem Kopf werden Sie keine Probleme mehr haben, jedenfalls keine im Ergebnis Ihres Treppensturzes, haha.“ Zuzwinkern vom Arzt, höfliches Lächeln der Entourage, Abgang durch die Tür, und Alma saß mit gemischten Gefühlen auf ihrem Bett.

      „Sieglinde, ich werde entlassen! Was mache ich jetzt am besten? Hast du einen Vorschlag?“

      Sieglinde hatte zwar ihre Frauenzeitschrift geöffnet vor sich auf dem Bett liegen, war den Worten des Arztes aber aufmerksam gefolgt.

      „Tja, Alma, da haben wir nun gestern kräftig einen aufgegossen, waren mit dem Sanierungsplan des Torhauses so gut wie fertig – so jedenfalls haben wir uns gebärdet – aber die Kernfrage bleibt: Was tust du, wenn du aus dem Krankenhaus entlassen wirst?“

      „Ich nehme das Erbe an, suche mir eine Wohnung in Weimar, und los geht es!“

      „Hm, eins nach dem anderen – schade aber auch, dass ich erst zum Wochenende nach Hause komme“, seufzte Sieglinde. „Nun gut, erstens: Erbschaft antreten. Das heißt, du rufst jetzt mal gleich die Anwaltskanzlei an. Lass dir vom jungen Herrn Lenk ruhig etwas unter die Arme greifen!“

      „Also ehrlich, Sieglinde!“ Alma schüttelte in gespielter Empörung den Kopf. „Aber im Prinzip hast du recht, und da fällt mir noch etwas ein. Herr Lenk meinte doch, ich solle noch ein bis zwei Nächte im Liszt-Hotel übernachten. Da war es schön, fand ich. Und von dort aus sehe ich dann weiter.“

      Ihren Anruf in der Kanzlei nahm Jörg Vollmer entgegen, der sich keineswegs überrascht zeigte. „Ja, Frau Winter, wir haben geduldig gewartet, bis Sie wieder entlassen werden. Die Hauptsache ist, dass Sie wieder gesund und munter sind!“ Sie hörte Stimmen im Hintergrund. „Dr. Rottloff ist außer Haus. Ich gebe Sie weiter an Dr. Lenk.“

      In wenigen Sätzen war alles geklärt. Alma möge sich im Taxi zurück ins Hotel Liszt fahren lassen, dort wieder heimisch werden und vielleicht einen vorsichtigen Spaziergang machen oder für eine Weile ruhen. Am Nachmittag könne man in der Kanzlei Weiteres besprechen. Sie traue sich den Fußweg in die Lincolnstraße zu? Schön, dann erwarte man sie dort gegen sechzehn Uhr.

      Nach dem Kofferpacken verabschiedete sich Alma von ihrer Zimmergenossin, nicht ohne den gegenseitigen Austausch von Telefon- und Handynummern und Sieglindes strenge Ermahnung, bei Schwierigkeiten sofort – und sie meine sofort – Moni oder Holger im Kiosk zu konsultieren oder sie, Sieglinde, im Krankenhaus anzurufen. Heute sei Donnerstag, möglicherweise könne Alma noch in dieser Woche das Juristische regeln – oder regeln lassen. Ansonsten träfe man sich dann am Samstagnachmittag zur Lagebesprechung, da hätte der Kiosk geschlossen, Treffpunkt halb drei am Torhaus.

      KAPITEL 9

      Im Hotel hatte man Alma freundlich begrüßt, sich nach ihrem Befinden erkundigt und ihr sogar ihr altes Zimmer wiedergegeben. Auf dem Nachttisch fand sie zu ihrer Überraschung eine kleine Packung Pralinen, eine Piccoloflasche Rotkäppchen, ein Sektglas und ein Kärtchen mit „herzlichen Genesungswünschen von Ihrem Hotel Liszt“. Die Thüringer, dachte sie gerührt und packte ihre wenigen Sachen wieder in den Schrank. Dabei bemerkte sie, dass eine Kleinwäsche dringend angezeigt wäre, schob den Gedanken aber mit Blick auf ihren Arm beiseite. Vielleicht könnte sie in der Stadt etwas Unterwäsche kaufen?

      Es war schon fast zwölf Uhr, in der Klinik würden sie jetzt ihr Essen bekommen. Alma fühlte ordentlichen Hunger und beschloss, ein Stückchen in Richtung Stadt zu laufen. Dabei ließe sich gleich der Wäschekauf mit erledigen. Sie verließ das Hotel und bog an einer Apotheke nach rechts um die Ecke. An der nächsten Kreuzung schaute sie auf die Straßenschilder: Steubenstraße geradeaus, Gropiusstraße nach links. Sie entschied sich für die Steubenstraße – General Steuben, das sagte ihr etwas. Mal sehen, Alma, was dir die Göttinger Vorlesungen zur amerikanischen Geschichte gebracht haben, überlegte sie.

      General Steuben hatte etwas mit dem amerikanischen Unabhängigkeitskrieg zu tun. Auch mit Benjamin Franklin, damals amerikanischer Botschafter in Paris. (Ah, Feuchtwanger und seine Füchse im Weinberg, wunderbares Buch.) Franklin jedenfalls hatte Steuben wohl nach Amerika vermittelt, wo der ehemals preußische Offizier in der amerikanischen Armee im Kampf gegen die Briten sehr erfolgreich agierte – preußische Militärdisziplin importiert hatte, erinnerte sie sich jetzt – und zum General befördert wurde. Noch heute, fiel ihr ein, gab es jedes Jahr die Steubenparade, eine Art deutschamerikanischen Festumzug in New York.

      Die Steubenstraße erwies sich als stark befahrene und laute Verkehrsader, die nicht zum Bummeln einlud. Alma bog in eine der nächsten Seitenstraßen links ein, lief an einem Kino und später einem Kaufhaus vorbei, wo sie sich an einem kleinen Zeitungsstand im Erdgeschoss eine Tageszeitung kaufte. Die Thüringer Allgemeine wäre das, was sie suchte, hatte der Zeitungsverkäufer gemeint. Sie ging weiter und fand sich kurz darauf eingangs des Theaterplatzes wieder. Hier kannte sie sich von früher noch ein wenig aus. Mit der Schule war sie natürlich, wie alle achten Klassen vor der Jugendweihe, in Buchenwald gewesen und danach durch das „klassische Weimar“ geführt worden. Später war sie mit ihrer Mutter einige Male nach Weimar zu Theateraufführungen gefahren. Shakespeares Sommernachtstraum, erinnerte sie sich, und der Drache, von einem Russen, auf den vollständigen Namen kam sie im Moment nicht, Jewgeni Soundso. Dann noch mehr Shakespeare, der Sturm, der Kaufmann von Venedig … oder war das woanders gewesen? Später? Schon allein?

      Das Theater sah noch aus wie früher, vielleicht war die Fassade ein wenig sauberer. Die Dichter aber schauten sehr blank geputzt drein, so kannte sie sie von früher nicht. Alma sah auf die herunterhängende Leinwand rechts am Theatergebäude, auf der alle Stücke der Saison aufgelistet waren. Vielleicht sollte sie wieder einmal eine „richtige“ Theateraufführung besuchen?

      Neben dem Nationaltheater befand sich ein weiteres Kaufhaus. Alma schaute die Fassade entlang und fand, dass der langweilige Bau nicht auf diesen Platz passte. Sie drehte sich im Kreis und erkannte andere Gebäude wieder – das kleine Bauhausmuseum, daneben das Wittumspalais, gegenüber das Theatercafé, vor dem Tische und Stühle mit blauen Polstern unter großen Sonnenschirmen standen. Dorthin ging sie jetzt, da würde sie etwas zu essen bekommen und könnte dazu im Schatten sitzen mit Blick auf Goethe und Schiller, das Theater und seinen Platz.

      Alma bestellte sich einen Salat mit viel Brot und danach einen Espresso. Sie lehnte sich in ihrem Plastikstuhl zurück und warf einen Blick in die Thüringer Allgemeine. Die Zeitung bestand offensichtlich aus vier Teilen, Politik, Weimarer Lokalblatt, Sport und Magazin, was immer Letzteres bedeutete. Vermutlich die Seiten für den Promiklatsch, wofür