Wimmer Wilkenloh

Hätschelkind


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hab schon nachgeforscht. Sylvester von Wiggenheim wohnt in der vornehmsten Gegend von Blankenese, an der Elbchaussee.«

      Swensen ist amüsiert über das perfekte Deutsch mit deutlichem Hamburger Akzent. Murat Hassanzadeh registriert das, fährt jedoch unbeirrt mit seinen Ausführungen fort.

      »Eigentlich gehört Blankenese nicht zu unserem Ermittlungsgebiet, aber ich habe schon mit dem Chef dort gesprochen. Sie drücken beide Augen zu.«

      Die weiße Villa der Wiggenheims gleicht mit ihrem Säulenvorbau einer etwas gewollten Nachbildung des Weißen Hauses in Washington. Im Schatten dieses Anwesens merken Swensen und Hassanzadeh wie sie auf das Format von zwei lästigen Schnüfflern zusammenschrumpfen, was durch den Gesichtsausdruck des Hausmädchens noch bestätigt wird, als sie sich als Kripobeamte vorstellen.

      »Bitte warten Sie hier, meine Herren. Ich werde Frau von Wiggenheim benachrichtigen.«

      Hassanzadeh schielt den davoneilenden Beinen hinterher, während Swensen entzückt den flachen, rechteckigen Holzkopf an der Wand betrachtet. Über dem waagerechten Mund glotzen zwei eng stehende Löcher als Augen. Aus der Stirn ragt ein langschnäbliger Vogelkopf.

      Wahrscheinlich eine afrikanische Schamanenmaske, denkt Swensen beeindruckt. Während die Beine, diesmal von vorn, wieder in Hassanzadehs Blickfeld schreiten, fragt er sich, welcher exklusive Innenausstatter wohl diese Ritualskulptur zweckentfremdet an diese Wand verbannt hat.

      »Meine Herren, würden Sie mir bitte folgen!«

      Die Dame des Hauses sitzt in einem engen rosa Kostüm auf einem grauen Kanapee und bittet Swensen und Hassanzadeh mit einer Handbewegung Platz zu nehmen.

      »Was kann ich für Sie tun?«

      »Wir hätten gerne Sylvester von Wiggenheim gesprochen?«

      »Mein Mann ist in seinem Atelier. Kann ich Ihnen weiterhelfen?«

      »Nein, Frau Wiggenheim! Wir müssen schon …«

      »Von Wiggenheim, bitte!«

      »Frau von Wiggenheim, wir müssen ihren Mann schon persönlich sprechen.«

      »Fräulein Else, bringen Sie die Herren bitte zur Tür und geben Sie ihnen die Adresse vom Atelier meines Mannes. Auf Wiedersehen meine Herren!«

      Swensen bemerkt den wütenden Ausdruck auf Murat Hassanzadehs Gesicht und stoppt ihn mit einem beruhigenden Augenkontakt. Dann beugt er kurz seinen Kopf in Richtung der Dame des Hauses.

      »Moin, Moin, Frau von Wiggenheim«, verabschiedet er sich demonstrativ.

      Ein vernichtender Blick verfolgt die Beamten.

      * * *

      Ein pfeifendes Geräusch erfüllt den abgedunkelten Raum. Es kommt vom Rotor einer großen Windanlage. Weißer Nebel quillt aus einem Behälter mit Flüssigeis und wabert knöchelhoch über den Boden. Mehrere Scheinwerfer färben die filigranen Wirbel goldgelb. Aus einem Lautsprecher hämmert Trommelmusik. Mittendrin verändert eine blutjunge Frau mit ruckartigen Bewegungen unentwegt ihre Körperhaltung. Sie trägt eine weinrote, rundausgeschnittene Samtbluse und einen schwarzen Superminirock. Der makellose Körper wirkt auf Swensen wie eine Fata Morgana. Neben der Frau hält ein Afghane seine Schnauze stoisch in Richtung Windanlage. Sein langes Fell flattert im künstlichen Luftstrom. Davor fuchtelt ein Mann mit dem linken Arm besessen in der Luft herum, während seine rechte Hand ununterbrochen den Auslöser einer Kamera betätigt. Dazu stößt er unverständliche archaische Laute aus, die sich ab und zu in grunzende Wortbrocken verwandeln.

      »Yeah, Woman, look at me! Yeah! Look here! Yeah!«

      Swensen und Hassanzadeh, dessen Blick sich nach dem Eintreten sofort an die ellenlangen Gazellenbeine des Modells geheftet hat, stehen etwas abseits im Raum. Ein Mann mit feminin tänzelndem Gang hatte sie hierher geführt und ihnen zugeflüstert, hier bitte so lange mucksmäuschenstill zu warten bis der Meister, wie er es ausdrückte, seinen kreativen Schub hinter sich gebracht hätte. Swensen starrt beeindruckt auf das surrealistische Schauspiel vor sich. Er fühlt sich wie ein Auserwählter, der exklusiv in den Kulissen stehen darf und hautnah dem Trubel einer Inszenierung zusehen kann.

      Irgendwie hat der Job eines Kripobeamten etwas für sich, denkt er. In welchem Beruf bekommt man schon einen Einblick in alles, was unsere Welt so antreibt? Und immer, wenn Swensen sich im Sinnieren verloren hat, lösen sich über kurz oder lang alle Grenzen um ihn herum auf. Es ist wie ein Blick hinter die Wirklichkeit. Das ins Licht getauchte Modell und ihr dunkler Gegenpart verschwimmen zu einem pulsierenden Organismus. Jede Zelle wirkt in ihrer Tätigkeit mit jeder anderen Zelle zusammen, als wenn sich all ihre Bemühungen nur so im Gleichgewicht halten können.

      Ja, genauso ist es! Jede meiner Handlungen, jede Aktion, jeder Gedanke, jedes Wort, schießt es ihm wie eine plötzliche Erkenntnis durch den Kopf, hat nicht allein Auswirkungen auf mich persönlich, sondern hält auch das gesamte Zusammenspiel im Gange.

      Da stoppt abrupt die wilde Aktion auf der Bühne vor ihm. Sylvester von Wiggenheim schnippt mit den Fingern und einer der Gehilfen stürmt zu ihm hin, nimmt die benutzte Kamera entgegen und drückt ihm eine neue in die Hand. Der große, massive Mann mit dem sauber geschnittenen Dreitagebart bleibt bewegungslos stehen und legt zwei Finger auf seine geschlossenen Augenlider, als sei er jäh in Trance gefallen. Sein schlichter Rollkragenpullover und die Bügelfaltenhose im gleichen dunkelgrau sehen ziemlich teuer aus. Swensen merkt, dass er das Alter des Fotografen schlecht einschätzen kann. Irgendwo zwischen Mitte dreißig und Mitte vierzig.

      Genauso unerwartet, wie die Stille eingetreten war, kommt mit einem Mal wieder Leben in die Szenerie.

      »Fucking Bullshit! My inspiration is past!«, schimpft Sylvester von Wiggenheim los, zieht eine Filmschachtel aus der Hosentasche und wirft sie quer durch den Raum. Das Team um ihn herum weicht aufgeschreckt zurück.

      »Stop, we stop now! Intermission!!«

      Während Swensen und Hassanzadeh entschlossen auf ihn zugehen, fragt Swensen sich, wer sich nun eigentlich mehr in Szene setzt, Modell oder Fotograf.

      »Who are you?”

      »Sorry, Mr. von Wiggenheim! My name is Jan Swensen, criminalpolice husum and this is Murat Hassanzadeh from hamburg!«

      Sylvester von Wiggenheim starrt die beiden Männer so entgeistert an, als hätte Luzifer sich mit einem Betriebsausflug in seine Räume verirrt.

      »Kriminalpolizei?«

      »Oh, Sie sprechen auch Deutsch?«, lächelt Swensen.

      »Was soll das? Natürlich spreche ich Deutsch!«

      »Wir ermitteln im Fall Edda Herbst und haben ein paar Fragen.«

      »Ich kenne keine Edda Herbst.«

      »Da wäre ich mir nicht so sicher. Waren Sie zwischen dem 14. und dem 18. November zufällig in St.Peter-Ording?«

      Swensen registriert ein kurzes Zögern bei von Wiggenheim.

      »Was soll ich in St. Peter-Ording?«

      »Nun, zum Beispiel Fotos im Watt machen!«

      »Im Watt? Was soll ich im Watt fotografieren?«

      »Vielleicht eine dort herumliegende Leiche!«

      »Ich verstehe nicht!«, antwortet von Wiggenheim barsch. »Wie kommen Sie auf mich?«

      »Nun, durch eine bestimmte leichte Schräge in einer Totalen vom Westerhever Leuchtturm. Eine leichte Schräge ist doch ihr künstlerisches Markenzeichen, oder irre ich mich?«

      »Ich glaube da werde ich mit jemand verwechselt. Sie sehen, ich bin beschäftigt. So eine Performance hier kostet mich über 1.000 DM die Stunde. Also, würden sie mich jetzt entschuldigen?«

      Auf Murat Hassanzadehs Gesicht bilden sich Zornfalten. Swensen tritt etwas zur Seite und überlässt mit einem Augenzwinkern seinem Kollegen das Feld. Gespannt lauert er auf eine neue Variante in der Verhörtechnik, die sein Großstadtkollege ihm präsentieren