mit Eis. In der Mitte war eine besondere Konstruktion, die Licht verbreitete. Selbstverständlich haben auch Hamantaschen und Kreplach (dreieckiges Gebäck, mit Mohn gefüllt und eine Fleischbeilage in Teig) nicht gefehlt. Wiera stammte aus der Familie Riwkind, die in Wilna hoch angesehen war. Leiser Riwkind besaß die besondere Erlaubnis in den Narutz-Seen zu fischen. Ihr Bruder, Dr. Riwkind, war Hals-Nasen-Ohren-Arzt. Etliche aus dieser Familie waren bei unserem Fest anwesend. So wie jedes Jahr, wurde das Fest mit vollen Obstkörben begangen, die ins Haus geliefert wurden. In Anbetracht dessen, dass die Hauptbeschäftigung unserer Mutter in der Führung eines Obst- und Gemüsegroßhandels bestand, durfte das Obst im Haus nicht fehlen.
Die ersten, die zum Fest kamen, waren Mizia, meine Schwester und ihr Mann Jonas. Sie reihten sich in die Festgesellschaft ein und standen wie üblich in ihrem Mittelpunkt. Trotz der guten finanziellen Lage unserer Familie hatte sich im Unterbewusstsein die Sorge verbreitet, die in einer Bemerkung meiner Mutter zum Ausdruck kam. Dies hatte sie in jiddisch gesagt: »Gott soll geben, meine Kinder, dass unsere Lage sich nicht verschlechtern soll, ›nicht schreib und nicht meck‹.«
Die Weine in unserem Haus brauchte man nicht anderweitig zu besorgen. Eines der Hobbys meines Vaters war die Weinherstellung. Hunderte von Weinen verschiedener Sorten befanden sich in unserem Keller. Jede Weinflasche war mit einem Etikett versehen auf dem das Herstellungsjahr und die Art der Zubereitung genau verzeichnet wurden. Im Obst- und Gemüsegroßhandel hatte meine Mutter die Oberhand. Sie leitete dieses Geschäft mit großem Elan und die Angestellten gehorchten ihr aufs Wort. Mein Vater war mit seinen Hobbys beschäftigt, denn außer dem Wein hatte er noch andere.
Die Gäste tranken »Lechaim« und die gute Laune stieg im Laufe des Abends. An diesem Tag war auch der Geburtstag meines Bruders Jerachmiel. Auf sein Wohl wurde ebenfalls so manches Glas gehoben.
Am Purimfest pflegte mein Vater Weinflaschen an seine engsten Freunde zu verteilen. Sie alle waren »koscher lepesach« (geeignet zum Verzehr am Pessachfest).
Beim Erwähnen des Wortes Pessach kommen mir Erinnerungen an die früheren Zeiten vor 1940, an die Pessachfeste bei uns im Hause. An Großvater mit seinem weißen Kittel. Er leitete den Sederabend genau nach den religiösen Vorgaben, angefangen bei der gründlichen Säuberung des Hauses bis hin zum Herrichten des Sederabends. Die Leckereien zu Pessach waren uns Kinder am liebsten. Sie wurden immer versteckt, doch wir hatten sie vorher im Geheimen ausgekundschaftet und genascht. Unsere Mutter hatte es ganz und gar nicht gut gefunden und war außer sich vor Wut. Ich erinnere mich an meines Vaters Worte: »Sich aufzuregen über solch’ Lappalie hat wenig Sinn. Bei ›Beszetnikes‹ (bei Kinderlosen) wäre es nicht passiert. Bei uns ist es eben passiert, also soll es ihnen wohl bekommen. Alles, was sie gegessen haben, soll aus der richtigen Stelle rauskommen und es soll, um Gottes willen, nicht drinnen bleiben.«
Es sind so viele Erinnerungen, die in meinen Kopf herumschwirren! Diese Volkstümlichkeit und Herzlichkeit, die in unserer Familie herrschte, ist mit Worten nicht auszudrücken. In unserer Familie gab es viele Persönlichkeiten, und jede verkörperte etwas besonderes. Eine davon war mein Opa, Vater meiner Mutter, der mit zwanzig Jahren erblindete. Er war ein Wissenschaftler im technologischen Bereich. Bei einem seiner Experimente verletzte er seine Augen. Trotz aller ärztlicher Bemühungen blieb er blind. Der »blinde Techniker« wurde er in Wilna genannt. Trotz des Unglücks wurde er durch verschiedene Erfindungen bekannt. Er wurde zu sämtlichen Wohltätigkeitsveranstaltungen eingeladen. Er konnte eine Maschine auseinandernehmen und wieder zusammenbauen vor dem staunenden Publikum. Er pflegte mit einer besonderen Maschine herrliche Blumenmuster zu gestalten und dies trotz seiner Erblindung. Sein Name war Arno Nadel.
Als die Russen Wilna besetzten, beschlagnahmten sie mein Nähmaschinen- und Fahrradgeschäft und auch den Gemüsegroßhandel meiner Mutter »Agrimkal – Import und Export Großhandel«. Meine Mutter glaubte damals, dass dies das größte Unglück sei, das uns zustoßen könnte. Zwei Wochen später bekamen wir die Anweisung vom Wohnungsamt, wonach wir innerhalb von achtundvierzig Stunden unsere Wohnung räumen sollten. Diese Wohnung, sechs Zimmer in der Kajaweskestraße Nr. 2a bewohnten unsere Eltern bereits seit einigen Jahren. Das waren mein Vater, Chanan Jochel, meine Mutter Schifra, mein Bruder Izchak und wir selbst mit unserer Tochter Tamar, die damals drei Jahre alt war. Meine Schwester Mizia, ihr Mann Jonas und ihr Sohn Samek wohnten in der Vilnastraße, gegenüber dem Benediktinerinnen-Kloster. Unser ältester Bruder Jerachmiel lebte damals wie erwähnt bereits in Palästina.
Mit der Forderung, die Wohnung zu räumen, brach unsere Welt zusammen. Wir versuchten alles, um für die Auflösung der Wohnung eine Woche Aufschub zu bekommen. Die Antwort war: »Nicht einmal eine Stunde!«
Wir hatten keine Wahl. Wir mussten eine neue Bleibe suchen. Meine Eltern zogen zu Jonas’ Eltern, dort bekamen sie ein Zimmer. Als wir eine Wohnung fanden, erklärte man uns im Wohnungsamt, dass sie bereits vergriffen sei. Die letzte Rettung waren zwei Zimmer in Ponar.
Ponar war eine Bahnstation mit ein paar Häusern und Gärten, von Wäldern umgeben. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten keine Juden dort gewohnt. Mein Mann arbeitete in einer Ledergerberei als zweiter Ingenieur, ich selbst fand eine Stelle in einem Kooperativ-Laden für Nähmaschinen. Es ging uns nicht schlecht, wir hatten noch Lebensmittel aus der guten Zeit. Unser Kindermädchen Nani war mit uns nach Ponar gekommen und arbeitete für uns wie früher. Aus den Wäldern hörte man immer Geräusche. Die Nachbarn erzählten, dass die Russen dort Betonbehälter für Brennmaterial bauten.
Die Idylle dauerte bis zum 22. Juni 1941. Diesen Tag werde ich niemals vergessen. Ich hatte die gesamte Belegschaft der Gerberei zum Mittagessen eingeladen. Sie sollten um 13 Uhr mit dem Zug ankommen. In der Wohnung war Hektik, man kochte, briet und backte. Jascha, mein Mann, stellte Tische auf die Terrasse, nebenbei hörte er auch Radio, es war zehn Minuten vor Zwölf. Er kam zu mir und sagte, dass ich um Punkt 12 Uhr auf die Terrasse kommen solle, weil eine wichtige Meldung durchgegeben werde sollte. Dann war es zwölf Uhr. Wir standen alle auf der Terrasse und hörten die Meldung:
»Achtung, Achtung, hier spricht Molotow. Heute Vormittag haben die Deutschen uns angegriffen. Der Krieg zwischen der Sowjetunion und Deutschland ist ausgebrochen.«
Plötzlich hörten wir den ersten Aufprall einer Bombe, die in unserer Nähe explodierte. Die