Harry Voß

Ben und Lasse - Agenten als Piratenbeute


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um eins alle wieder hier am Eingang treffen, verlieren wir viel zu viel Zeit. Ich brauche kein Mittagessen. Ich habe Brötchen im Rucksack, die Mama mir geschmiert hat, außerdem Äpfel und Getränke. Ich bin gut versorgt.

      Lasse hüpft auf der Stelle. „Moni, wo sind die Klos? Ich muss mal!“

      Moni zeigt auf eines der Häuser in unserer Nähe. „Da drüben. Siehst du das Schild?“

      „Ja!“ Und schon rennt er los. „Bin gleich wieder da!“

      „Halt, warte!“, rufe ich ihm hinterher. „Wir müssen doch erst klären, wer mit wem in eine Gruppe geht!“

      Aber Lasse hört mich schon nicht mehr. Na, das fängt ja ganz toll an!

      „Ich muss auch mal!“, ruft Jonas und läuft Lasse hinterher.

      „Ich auch!“, rufen Kathi und Hanna und laufen in dieselbe Richtung.

      Oh Mann! Ich muss zwar nicht, aber bevor ich ausgerechnet dann aufs Klo muss, wenn ich in irgendeiner Schlange anstehe, gehe ich lieber auch jetzt direkt am Anfang. Und dann trinke ich einfach bis heute Nachmittag nichts mehr.

      Ich laufe auf das Haus zu, in dem sich die Toiletten befinden. Die Schilder führen mich innerhalb des Hauses eine Treppe nach unten. Links sind die Mädchentoiletten, rechts die Jungentoiletten. Vor den Mädchentoiletten zieht sich eine Schlange von Frauen bis raus auf den Flur. Vor den Jungentoiletten ist alles frei. Ich will gerade die Tür zu den Toilettenräumen öffnen, da höre ich Lasses Stimme: „Hallo Ben! Wohin gehst du?“

      Ich drehe mich um und traue meinen Augen nicht. Mein Bruder Lasse steht in der Schlange vor den Mädchentoiletten. Etwas weiter hinten stehen Hanna und Kathi in derselben Schlange. Sie kichern. Entsetzt gehe ich auf ihn zu und ziehe ihn aus der Schlange raus. „Spinnst du? Bist du ein Mädchen?“

      Lasse lacht laut auf. „Natürlich nicht! Du bist ja lustig, Ben! Wieso fragst du das? Weißt du nicht, dass ich ein Junge bin?“

      Ich zeige auf das Schild vor der Tür. „Das da sind die Mädchenklos! Wir müssen dort rechts reingehen!“

      Lasse schlägt sich beide Hände vor den Mund: „Hups! Ach so!“ Er folgt mir zu den Jungentoiletten. „Ich dachte, da geht es zu allen Klos. Und erst da drinnen teilt es sich auf.“

      „Aha. Dachtest du.“ Als ich die Tür zu den Jungentoiletten öffne, kommt mir Jonas entgegen. Er ist bereits fertig. Na, jetzt aber schnell. Wenn ich mich beeile, kann ich vielleicht noch Elisabeth überreden, mit mir zu kommen. Die hatte ja vorhin angedeutet, sie würde auch die wilden Bahnen fahren. Ich schließe mich in einer der Zellen ein, stelle meinen kleinen Rucksack ab und setze mich aufs Klo. Eine Minute später bin ich fertig und verlasse die Zelle. Am Waschbecken steht ein kleiner, grüner Rucksack mit einem Biene-Maja-Aufkleber. Eindeutig: Das ist Lasses Rucksack. Was hat denn das nun wieder zu bedeuten? „Lasse!“, brülle ich durch den Toilettenraum.

      „Ja?“, höre ich seine Stimme durch eine der Zellentüren.

      „Ist das dein Rucksack hier draußen?“

      „Ja!“

      „Bist du verrückt, den hier einfach so abzustellen?“

      „Wieso denn nicht? Ich kann ihn doch nicht mit aufs Klo nehmen!“

      „Natürlich kannst du das! Das machen die anderen doch auch!“

      „Aber wenn ich den Rucksack auf dem Rücken habe, dann kann ich mich nicht so gut hinten anlehnen, wenn ich auf dem Klo sitze!“

      Ich muss den Kopf schütteln. Wieso muss man sich hinten anlehnen, wenn man auf dem Klo sitzt? „Man kann den Rucksack auch da drinnen abnehmen und vor sich stellen!“

      „Ist doch egal, wo er steht.“

      „Nein, das ist nicht egal! Hier vorne wird er doch geklaut!“

      Ich höre die Klospülung. Lasse kommt aus seiner Zelle raus. „Wieso? Ist er denn geklaut worden?“

      „Nein! Aber um ein Haar wäre er geklaut worden!“

      Lasse schaut sich erschrocken im Raum um. Neben uns steht ein Mann mit Brille, der sich die Hände wäscht. „Wollten Sie gerade meinen Rucksack klauen?“, spricht Lasse ihn an.

      „Nein“, sagt der Mann und greift nach einem Papier zum Hände abtrocknen.

      „Mein Bruder hat gesagt, Sie wollten mir gerade meinen Rucksack klauen!“

      Ich schnappe tief und laut nach Luft. „Das hab ich überhaupt nicht gesagt! Spinnst du, mich so zu blamieren?“

      „Regt euch ab, Jungs“, sagt der Mann und geht zur Ausgangstür. „Ist doch alles gut gegangen.“

      „Genau“, sagt Lasse und nimmt sich seinen Rucksack. „Reg dich ab, Ben. Es ist doch alles gut gegangen.“

      Ich könnte aus der Haut fahren! Wir verlassen den Toilettenraum, aber im Flur muss ich meinem Erstklässler-Bruder noch einen kleinen Vortrag halten: „Auch wenn es diesmal gut gegangen ist, dann heißt das nicht, dass es beim nächsten Mal auch wieder gut geht! Man darf seine Sachen nicht einfach so unbeaufsichtigt abstellen! Kapierst du das nicht? Hier laufen so viele Leute rum! Da kann doch jederzeit einer kommen und deinen Rucksack stehlen! Und dann ist nicht nur dein Geld, sondern auch dein Kuschel-Elefant weg. Willst du das?“

      „Das glaub ich nicht, Ben. Hast du nicht gehört? Der Mann mit der Brille war auch ein Guter. Der wollte nichts stehlen.“

      „Hier laufen aber nicht nur liebe und nette Menschen durch den Park! Theoretisch könnte hier jeder ein Dieb sein!“

      Lasse bleibt stehen. „Was heißt ‚theoretisch‘?“

      „Theoretisch ... das heißt …“ Ich wedle mit den Händen in der Luft herum. So genau kann ich das auch nicht erklären. „Theoretisch heißt, … dass das auf jeden Fall so sein könnte!“

      Lasse legt seinen Kopf schief. „Du meinst, jeder, der hier herumläuft, ist auf jeden Fall ein Dieb?“

      „Nein. Aber er könnte.“

      Lasse schaut sich um. „Jeder hier?“ Er zeigt auf die Schlange von Frauen vor der Damentoilette. „Auch die da alle?“

      „Ja. Theoretisch schon.“

      Lasse geht auf die erstbeste Frau zu: „Sind Sie ein Dieb?“

      Die Frau erschrickt: „Wie bitte? Nein, natürlich nicht!“

      Lasse hebt seinen Finger. „Aber Sie könnten!“ Dann legt er mit wichtiger Stimme nach: „Theo-Drehtisch!“

      Die Frau nimmt ihre Handtasche in die andere Hand. „Was willst du von mir?“

      Ich gehe auf Lasse zu und ziehe ihn von der Schlange weg. „Du bist ja vollkommen übergeschnappt!“ Ich setze mich in Bewegung und beeile mich, die Treppe nach oben zu kommen. Dabei rede ich weiter auf Lasse ein: „Ich wollte nur sagen: Du siehst den Leuten hier im Park einfach nicht an, wer gut und wer böse ist!“

      „Vorhin hast du gesagt, ich soll daran denken, dass nicht jeder Mensch ein Verbrecher ist!“

      „Ja, natürlich!“ Dieser Junge raubt mir den letzten Nerv. „Wahrscheinlich sind die meisten hier auch lieb und harmlos. Aber manche sind eben böse. Die denken nur an sich. Und wenn sie einen Rucksack ohne Besitzer da herumstehen sehen, dann nehmen sie ihn mit. Wir beide sind doch nun schon lange genug Agenten, dass du wissen könntest, dass es auf dieser Welt vor gemeinen Ganoven nur so wimmelt.“

      „Ja. Das weiß ich. Die Piraten zum Beispiel.“

      „Nein, die nicht.“

      „Vorhin hast du gesagt, Piraten sind im wirklichen Leben Verbrecher.“

      „Ja, doch! Aber nicht die Piraten, die hier herumlaufen! Die gehören zum Park! Die sind nur verkleidet!“

      „Was? Echt?“

      „Nein,