inniges Mitleid; Paul verzerrte das Gesicht so sehr, er musste wirklich heftige Schmerzen haben.
»Komm, halte dich an mich.«
Fräulein Irma versuchte den Knaben aufzurichten, doch schon wieder klangen seine lauten Schreie:
»Mein Bein, au, mein Bein!«
Herr Niepel und seine Frau hörten die Wehrufe und kamen gelaufen. Vorsichtig befühlte der Gutsbesitzer den Knöchel seines Sohnes.
»O weh«, meinte er besorgt, »ich glaube, es ist ein Bruch.«
Hedi wurde blass vor Schreck. Vor wenigen Minuten hatte Paul über das gebrochene Bein des Knechtes gespottet, hatte laut über den Hof den Namen Hinkeldei gerufen. Der Knecht war auch einstmals vom Baum gefallen, nun ging er sein Leben lang hopp-la, hopp-la.
Sie starrte auf das Bein, hob schüchtern den Kopf und fragte leise:
»Muss er nun auch immer ein Hinkeldei sein?«
Vorsichtig wurde der verunglückte Knabe ins Gutshaus getragen. Es überlief das kleine Mädchen kalt und heiß, wenn es das klägliche Schreien Pauls vernahm. Und noch ängstlicher wurde es ihr ums Herz, als es hieß, man hätte nach dem Arzt telephoniert, er solle sofort aus Rahnsburg kommen, weil das Bein gebrochen sei.
Auch die Brüder waren traurig. Sie drückten sich in einem Winkel zusammen. Die Kinder malten sich die Zukunft Pauls in den schrecklichsten Farben aus.
»Nun ist er auch ein Hinkeldei«, meinte Walter.
»Aber ganz abgebrochen hat er sich das Bein doch nicht«, meinte Hedi, »es hing noch dran, ich hab' es gesehen.«
»Nun kann er nicht in die Schule gehen.«
»Hat der es gut!«
»Ach nein – der Paul hat es gar nicht gut. Das gebrochene Bein tut ihm mächtig weh. Und dann ist er immer ein Hinkeldei, und die anderen lachen über ihn.«
»Sie werden alle hinter ihm herrufen: Hinkeldei – Hinkeldei!«
»Das dürfen sie nicht«, rief Hedi kampfbereit, »dann haue ich sie!«
So saßen die Kinder wohl eine volle Stunde besorgt zusammen. Der Arzt kam und ging wieder, erst dann durften die drei hinein zu dem blassen, weinenden Spielgefährten.
»Ich will es nicht wieder sagen«, schluchzte Paul. »Nun bin ich schwer gestraft. – Es hat so weh getan!«
»Wirst du nu immer ein Hinkeldei sein?«
»Ich weiß nicht – ach, es tut so weh!«
Während die beiden Brüder das Zimmer wieder verließen, zog Hedi ein Stühlchen heran und setzte sich an das Bett des Kranken.
»Weine nicht, Paulchen, ich schenke dir auch ein Osterei. Und du wirst auch nicht immer ein Hinkeldei sein. Unser Männe hat sich auch mal das Bein gebrochen, und er ist auch kein Hinkeldei. Der Vater hat ihm das Bein geflickt, jetzt springt er wieder in der Stube und im Wald umher. – Musst nicht weinen, Paulchen, ich bin ja hier.«
»Es tut doch so weh!«
»Soll ich dir eine Geschichte erzählen? Dann tut es nicht mehr so weh. Von der Traumfee oder der Waldfee?«
»Nun muss ich so lange im Bett liegen – –«
»Dann brauchst du nicht in die Schule«, flüsterte Hedi dem Knaben zu. »Die anderen müssen hin, und du kannst zu Hause bleiben. – Paulchen, ich komme immerfort zu dir und erzähle dir was Schönes. – Willst du?«
Mit einem verlegenen Blick schaute Paul auf das kleine Mädchen, das er vor kurzem gescholten hatte. Jetzt empfand er es wohltuend, dass Hedi neben ihm saß und lieb mit ihm sprach. Dabei hatte er sie doch wegen der Ostereier belogen.
»Bist du mir böse?«
»O nein – du hast doch ein zerbrochenes Bein, da werde ich dir doch nicht böse sein. – Nu schlaf recht schön, ich will dir was vorsingen.«
»Wenn nur das Bein nicht so weh täte.«
»Wenn ich singe, tut es nicht mehr weh.« Dann begann die Kleine von dem schwarzen und dem weißen Schaf zu singen. Doch Paul hatte kein Verlangen, die Augen zu schließen. – Schließlich kam die Mutter herein, die gerührt an der Tür stehen blieb, als sie Hedi sah, die dem Spielkameraden mit einem Handtuch die Augen auswischte, weil er wieder zu weinen begonnen hatte.
»Du sollst doch nicht weinen, sonst weine ich auch.«
Frau Niepel schloss die kleine Hedi gerührt in die Arme und küsste das Kind zärtlich.
»Du bist ein braves Krankenmütterchen; Paul ist dir sehr dankbar dafür. Wirst du ihn nun auch öfters besuchen? Er muss lange im Bett bleiben.«
»Ja, ich besuche ihn so lange, bis er kein Hinkeldei mehr ist.«
Als Hedi am heutigen Tage Abschied nahm, drückte ihr Paul herzlich die Hand wie nie zuvor.
»Ich habe dich gern, Pucki, ich werde auch nicht mehr hässlich zu dir sein. Komm bald wieder!«
Sie versprach es. Dann fuhr sie sorgenvoll auf dem kleinen Wagen nach dem Forsthause zurück.
»Du musst recht langsam fahren, sonst bricht sich das weiße Pferdchen auch ein Bein. – Oh, es war sehr schlimm!«
»Ist ihm recht geschehen, dem Paul! Der liebe Gott hat ihn gestraft.«
Hedi warf einen sorgenvollen Blick zum blauen Himmel hinauf.
3. Kapitel: Es geht schlimm aus
Als Hedi gegen Mitternacht erwachte, schien der Mond in vollem Glanz auf ihr Bett. Ein Weilchen blinzelte das Kind zum Himmel hinauf, dann entfuhr ihm ein tiefer Seufzer. Was mochte wohl der arme Paul machen, der mit so großen Schmerzen im Bett lag? Morgen, wenn wieder die Sonne schien, wollte Hedi zu ihm fahren, am Bett des kleinen Freundes sitzen und ihn trösten.
Das Kind warf sich unruhig hin und her. Schließlich kletterte es aus dem Bettchen und trippelte ans Lager der Mutter. Sie schlief, und Hedi betrachtete beim Mondenschein das liebe, freundliche Gesicht.
»Schläfst du sehr schön, Mutti? – Ist die Traumfee bei dir?«
Frau Sandler schlug die Augen auf und blickte erschrocken auf den kleinen Hemdenmatz, der in helle Freude ausbrach, als er die Mutter wach sah. Der Vater wurde gleichfalls munter.
»Aber Hedi, was willst du denn, du sollst schlafen.«
»Ach, Vati, der Mond ist auf mein Bett gefallen und hat mir zugelacht. – Ob der Paul auch den Mond sieht?«
»Unser kleiner unartiger Puck bist du wieder einmal. Marsch ins Bett!«
»Mutti – warum nennst du mich manchmal Hedi und dann wieder Puck? Der Paul heißt doch immer nur Paul?«
»Weil du wie ein kleiner Waldgeist nachts umherläufst. Gerade so, wie es der andere Puck getan hat.«
»Welcher andere Puck, Mutti?«
Hedi machte den Versuch, ins Bett der Mutter zu steigen, doch Frau Sandler wehrte ab.
»Geh zurück in dein Bettchen und schlafe, sonst erkältest du dich, und es könnte schlimm ausgehen.«
»Es geht nicht schlimm aus, Mutti, wenn ich in deinem Bett bin.«
»Morgen früh«, sagte der Vater streng, »darfst du kommen. Jetzt marsch zurück ins Bett!«
»Erzählst du mir morgen früh von dem anderen Puck?«
»Ja – doch nun schlafe.«
Hedi kletterte zurück in ihr Bettchen, blinzelte dann nochmals hinauf zum Mond und sagte:
»Guck mal, Mutti, der Mond macht heute ein liebes Gesicht.«
»Er wird gleich ein böses Gesicht machen, wenn du nicht still bist.«