Magda Trott

Pucki


Скачать книгу

hatte, die hinten im Auto standen. – Waren die Kleinen in den Notsitz gekrochen und unfreiwillig mitgefahren? Die Ärmsten hatten die Nacht in der Garage verbringen müssen.

      Er musste lachen, als er Hedi antippte. Liebevoll hatte die Kleine ihren Arm um den Knaben geschlungen. Nun wachte sie auf, die blauen Kinderaugen weiteten sich in jähem Schreck. Vor ihr stand der Räuber mit dem schwarzen Bart, der sie gefangen hielt und nun verprügeln wollte.

      »Der – der kleine Junge – hat nichts getan – ich habe ihn mitgenommen – – ich – ich – –«

      Weiter kam die Kleine nicht, die Angst verschlug ihr die Stimme. – Warum lachte der Mann so sehr?

      »Wie kommt ihr denn hierher?«

      Nun erwachte auch Fritz. Scheu versuchte er sich hinter Hedi zu verstecken.

      »Wir sind da hinten im Kasten gewesen – – wir konnten nicht 'raus – – bitte – – lass uns frei – – wenn du willst, kannst du mich auch ein bisschen hauen, aber nicht den kleinen Jungen – der kleine Junge – –«

      »Die ganze Nacht habt ihr hier gesessen? – Lieber Gott, was werden eure Eltern sagen.«

      »Es wird sehr schlimm sein«, meinte Hedi. »Aber lass uns jetzt los.«

      »Erst nehme ich euch mal mit, damit man euch wäscht, ihr Ferkel! Dann fahre ich euch sofort heim.«

      Die Kinder wollten es nicht glauben, dass der böse Mann so gut sein konnte. Sie wagten kaum, aus dem Auto zu steigen.

      Der Getreidehändler war allerdings ein wenig bestürzt, als er seinen schmutzigen Wagen sah. Doch zunächst mussten die Kinder gesäubert und heimgebracht werden. Er konnte mit Niepel sogar telephonieren und ihm mitteilen, dass sein Sohn Fritz wohlbehalten bei ihm wäre. Welche Angst mussten die Eltern der Kleinen ausgestanden haben.

      In seiner Wohnung wurden die verängstigten Kinder gewaschen und dann von Henschel heimgefahren. Erst hielt er am Forsthause an, um Hedi abzuliefern. Minna, die Magd, empfing das Kind mit heftigen Scheltworten.

      »Du bist an allem schuld! Wenn deine Mutti jetzt sehr krank wird, hast du es dir zuzuschreiben, du unartige Pucki! Warte nur, der Vater wird dir das Ausreißen anstreichen.«

      »Wo ist denn die Mutti?«

      »Sie liegt zu Bett, du darfst nicht zu ihr.«

      »Mutti – ach Mutti«, schluchzte Hedi herzbrechend auf, »ich will zur Mutti!«

      Während der Getreidehändler mit Minna sprach, kam der Vater aus dem Hause. Hedi eilte auf den Vater zu, doch der wehrte die Umarmung der Kleinen streng ab.

      »Vati will dich nicht sehen, er ist so traurig über dich. Vati grämt sich, weil er solch unartiges Kind hat. Die Mutti ist krank.«

      »Mutti – Mutti – –«

      »Sei jetzt still, Pucki, Mutti darf nicht noch mehr aufgeregt werden.«

      »Ich will die Mutti bitten – –«

      »Du bleibst bei Minna, Vati hat jetzt keine Zeit für dich.«

      In der Küche saß Hedi und weinte leise vor sich hin. Freilich, sie konnte sich denken, dass Vater und Mutter die Nacht über in großer Sorge gewesen waren.

      »Ich konnte doch nicht 'raus aus dem Stall – er war fest verschlossen!«

      Draußen stand Förster Sandler neben Henschel. Erst jetzt konnte er sich das Verschwinden des Kindes erklären. Man war in größter Aufregung gewesen. Nun schwebte der Förster in Sorge um seine Frau, bei der der Arzt weilte. –

      Im Niepelschen Hause gab es für Fritz eine gehörige Tracht Prügel. Der Knabe nahm sie zerknirscht hin.

      »Ich bin nur froh«, sagte er zu den Brüdern, »dass er uns nicht noch länger eingesperrt hat.«

      Gutsbesitzer Niepel konnte sich das Lachen nicht verbeißen, als er erfuhr, dass die Worte des Getreidehändlers die beiden Kinder so sehr geängstigt hatten. Von den Taubenschlägen hatte Henschel gesprochen; er riet dem Freunde, die Tauben, die er züchten wollte, zunächst einige Tage lang einzusperren. Auch eigneten sich große Taubenrassen besser zur Zucht als kleine, die er persönlich nicht leiden könne. Diese Bemerkungen waren von den verängstigten Kindern falsch ausgelegt worden. Fritz versicherte, er werde niemals wieder in ein Auto steigen.

      Das gleiche Versprechen gab auch Hedi. Sie war sehr kummervoll. Wenn nur erst die gute Mutti wieder gesund wäre und ihr verzeihen könnte. Noch schrecklicher als die Fahrt in der dunklen Kiste war der Unwille der Eltern.

      Hedi schmiegte den Blondkopf an das braune Fell des treuen Hundes, und indem erneut die Tränen aus ihren Augen tropften, sagte sie unglücklich:

      »Lieber Harras, mach doch, dass die Eltern bald wieder gut sind.«

      4. Kapitel: Es schießt

      Mit unzufriedenen Blicken betrachtete Hedi Sandler das winzige Kindchen, das im Wagen lag. Die Eltern hatten ihr gesagt, es wäre das neue Schwesterchen, das ins Forsthaus gekommen sei. – Anfangs freute sich Hedi über diese Kunde und bestaunte das kleine schlafende Püppchen, als aber beim Erwachen lautes Schreien ertönte, schüttelte sie missbilligend den Kopf.

      Das ging nun schon mehrere Tage so. Die Mutti, die ein ganzes Weilchen im Bett gelegen hatte, lief wieder umher, und Hedi fand, dass sie sich viel mehr um den kleinen Schreihals kümmerte als um sie. Jedes Mal, wenn das Schwesterchen zu brüllen begann, kam die Mutti herbei, nahm es aus dem Wagen und trug es davon. So beschloss Hedi, auch nicht immer still dazusitzen, sondern die Mutti durch Schreien herbeizulocken.

      An einem Vormittag, als das Schwesterchen wieder einmal kräftig geschrien hatte und jetzt schlafend im Wagen lag, fing Hedi an, ganz plötzlich laut zu brüllen. Die in der Küche beschäftigte Mutter eilte herbei. Da lachte das kleine Mädchen aus vollem Halse und sagte schelmisch:

      »Jetzt mache ich es immer genau so wie das kleine Schwesterchen. – Kommst du auch immer zu mir, wenn ich brülle?«

      »Warum schreist du so sehr?«

      »Ich wollte nur sehen, ob du auch kommst, weil du immer kommst, wenn das kleine Schwesterchen schreit. Hedi will auch, dass die Mutti oft zu ihr kommt.«

      »Schäme dich, Hedi, die Mutti von der Arbeit fortzuholen. – Du bist viel zu groß, um solch Geschrei anzustimmen, wenn dir nichts fehlt.«

      Seit dieser Bemerkung der Mutter wurde Hedi noch nachdenklicher. Man musste also ein ganz kleines Ding sein, dann durfte man schreien. Die Dora von Tante Niepel schrie auch immer. – Nicht mal spielen durfte sie mit der kleinen Schwester. Das war kein Mädchen, das war auch keine Puppe, nicht mal ein Teddybär.

      »Vati«, schmeichelte das Kind eines Nachmittags, als Förster Sandler von einem Rundgang durch den Wald heimkam, »nimm das Kind wieder mit in den Wald, wir möchten unter uns sein; wir können das Kind nicht brauchen.«

      »Aber Hedi – du musst dich doch über das Schwesterchen freuen.«

      »Ach, nein, Hedi freut sich gar nicht. – Nimm es nur wieder mit! – Warum ist es denn grade zu uns gekommen?«

      »Nun, unsere Hedi war fortgelaufen, ist eine ganze Nacht weggewesen, da haben wir uns eben ein anderes kleines Mädchen geholt.«

      Die Kleine überlegte. Es stimmte, was der Vater sagte. Damals, als sie von dem schwarzen Manne mitgenommen wurde und schreckliche Angst im Auto ausgestanden hatte, hatten die Eltern sorgenvoll nach ihr gesucht. Sehr bald darauf war dann das kleine Ding dagewesen, das im Wagen lag und schrie.

      »Hätt' ich gewusst, Vati, dass so ein unartiges Ding zu uns kommt, wäre ich nicht in die Kiste beim Auto gestiegen. – Ach, Vati, ich bin eben ein Pucki, und wenn ein Pucki was anfängt, geht es immer schlimm aus. Jetzt haben wir den kleinen Schreihals auf dem Halse. – Du, Vati, wollen wir nicht der Mutti ganz heimlich 'ne Freude machen und das kleine Schwesterchen 'rausschmeißen? Sie wird sich