hat den Pitt wieder auf die Erde geschickt.«
»Ist dann die Wiese wieder blau geworden?«
»Nein, die Wiese ist heute noch weiß. Das kannst du an jedem Abend, wenn die Sterne recht schön scheinen, deutlich sehen. Lass dir mal von deinem Vater die Milchstraße am Himmel zeigen.«
Hedi machte kreisrunde Augen. »Trippt denn die Milch nicht 'runter?«
»Nein, die bleibt hübsch oben auf der Mondwiese, damit alle Menschen sehen, wie unartig der kleine Pitt war. – So, mein kleines Mädchen, nun muss ich aber wieder weiterfahren. Pass gut auf die Ballons auf, lass sie nicht fortfliegen. – Schau mal, der blaue, der uns davonflog, ist nur noch ein ganz kleines Pünktchen.«
Der Getreidehändler war davongefahren. Hedi stürmte mit den fünf bunten Ballons durch den Garten. Das neue Spielzeug machte ihr größten Spaß. Es war doch gar zu lustig, die bunten Bälle anzuschauen. Vor dem Kinderwagen blieb Hedi nachdenklich stehen. Der Vater hatte gesagt, das Kind sei aus dem Himmel gekommen. Ob sie es nicht wieder in den Himmel zurückschickte? Ob sie ihm die bunten Bälle an Hände und Füße binden sollte, wie es der kleine Pitt getan hatte? Milch bekam es genügend von den Mondkühen. Aber die Ballons waren viel zu schön, um sie für das kleine Ding herzugeben. – Wäre es nicht richtiger, sie führe auch mal zu den Mondkühen hinauf und besuchte die Sterne?
Hedi hatte den Garten verlassen und lief auf der Straße fröhlich auf und ab. Sie hatte alle fünf Ballons in den Händen, keiner durfte ihr entwischen. Sie lief auch ein Stückchen in den Wald hinein, doch die Ballons streiften an die Bäume und blieben daran hängen. So kehrte sie wieder um. Sie hätte gar zu gern den Vati besucht, der hinten bei dem Holzschlag war, und ihm die bunten Blasen gezeigt.
Das Kind blinzelte zum Himmel empor. Der kleine Pitt hatte sich auf einige der Ballons gesetzt, hatte einen am Bein, einen anderen am Arm festgebunden und war dann in die Wolken geflogen. Ob sie nicht auch ein kleines Stückchen in die Luft fliegen konnte? Nur bis auf die hohe Tanne, auf der an jedem Morgen die Amsel saß und so schön sang.
Das Verlangen wurde immer größer. Mit den kleinen Fingerchen band Hedi einen der Ballons an den Arm, den zweiten ans Bein, dann knotete sie die drei anderen fest zusammen, schlang den Bindfaden um einiges Blaubeerkraut, das sich am Rande des Waldes vorfand, und setzte sich vorsichtig auf die drei Ballons nieder.
Mit lautem Knall platzten sie auseinander. Schreckensbleich sprang die Kleine auf und rannte tiefer in den Wald hinein, um beim Vater Schutz zu suchen.
»Es schießt – es schießt!«
Woher der Knall gekommen war, wusste sie nicht. Sie sah nur den Mann mit dem schwarzen Barte im Geiste vor sich und glaubte nichts anderes, als dass er ihr etwas antun wollte.
»Es schießt – es schießt!« schrie sie laut und verängstigt, während ihr die Tränen aus den Augen flossen.
Immer tiefer rannte das Kind in den Wald hinein und achtete nicht darauf, dass es noch einen Ballon am Bein und einen zweiten am Arm festgebunden hatte. Es musste den Vater finden, nur er konnte ihm helfen. Der Vater würde seine liebe Tochter beschirmen.
»Vati – Vati – es schießt!«
Hedi, die den Weg zum Holzschlag genau kannte, war heute viel zu verängstigt. Sie bog vorzeitig in einen anderen Weg ein, rannte mit klopfendem Herzen weiter und immer weiter. Der Weg wurde enger, und als das Kind endlich stehen blieb, erkannte es, dass es falsch gegangen war und drückte sich verstört an den Stamm einer Tanne.
»Puff!« Der Ballon, der am Bein befestigt war, knallte auseinander.
»Vati – es schießt – es schießt – Der schwarze Mann schießt! Vati! – Vati!«
Unter lautem Schluchzen rief Hedi nach dem Vater, der jedoch viel zu weit entfernt war, um sein Töchterchen zu hören.
»Vati – Vati!« Sie hastete weiter, lief mitten durch die Bäume, von Zeit zu Zeit angstvoll stehenbleibend, nach rechts und links horchend, ob denn der Vati noch immer nicht antworte.
Da leuchtete ein breiter Weg durch die Baumstämme. Das musste der Weg sein, der nach dem Holzschlag führte. Das Kind zwängte sich zwischen Gestrüpp hindurch, kollerte in einen gezogenen Graben, und schon platzte der letzte Ballon.
»Er schießt immer noch! – Vati – Vati – er schießt!«
Ein entsetzter Aufschrei antwortete. Doch dieser Ruf dünkte der Kleinen eine Erlösung. Sie fühlte sich nicht mehr allein, irgend jemand war in ihrer Nähe, der ihr helfen konnte. Hedi kletterte rasch aus dem Graben und stand bald auf dem breiten Waldwege. Sie sah eine ältliche Dame, die ängstlich nach rechts und links blickte.
»Es schießt – es schießt!« Mit diesen Worten stürmte Hedi auf die fremde Frau zu, wies mit dem Fingerchen zurück in das Dickicht, durch das sie gekommen war, und wiederholte bebend: »Hast du gehört – er schießt.«
Die Angeredete begann zu jammern. »Wer schießt nach dir, mein Kind?«
»Der böse, schwarze Mann.«
»Mein Himmel – was ist das für ein Mann? Will er dir etwas tun?«
»Ja – er schießt – –«
Die einsame Spaziergängerin bekam Angst. Fräulein Meise war ohnehin eine ängstliche Natur, die sich nur selten in den Wald wagte. Heute hatte sie das Bedürfnis gehabt, von Rahnsburg aus einen längeren Spaziergang zu machen. Sie war vor wenigen Minuten umgekehrt, um wieder heim zu gehen, weil ihr der stille Wald gar zu unheimlich dünkte. Ganz plötzlich war ein Schuss an ihr Ohr gedrungen, dann erschien das weinende Kind, das anscheinend von einem Manne verfolgt wurde.
»Ist es ein Wilddieb? Hast du ihn gesehen? Kind, komm rasch!«
»Ich will zum Vati.«
»Hilfe – Hilfe!« rief nun auch Fräulein Meise laut und ängstlich. »Räuber – Wilddiebe – zu Hilfe!«
Die Angst des alten Fräuleins steckte auch das kleine Mädchen an. Hedi fürchtete sich sonst nicht im Walde, doch das Schießen am heutigen Tage war ihr unheimlich. Dem schwarzen Manne traute sie überhaupt nicht. Er hatte ihr die bunten Blasen nur geschenkt, um sie totzuschießen.
»Komm schnell, mein Kind!« Fräulein Meise fasste Hedi an der Hand, dann ging es im Laufschritt den Waldweg zurück. Hedi vermochte kaum so rasch zu rennen wie Fräulein Meise. Jedes Mal, wenn ein Vogel aufflog oder ein anderes Geräusch zu vernehmen war, schrie Fräulein Meise entsetzt auf.
»Ein Räuber – ein Wilddieb – –«
Der Weg führte direkt auf das Forsthaus zu. Man sah das schmucke Haus schon von weitem. Fräulein Meise schlug erleichtert die Hände zusammen.
»Gottlob, wir sind gerettet – dort ist das Forsthaus! Es muss sofort eine Streife angestellt werden, damit man den Wilddieb findet.«
Hedi riss sich von der Hand ihrer Beschützerin los, stürmte ins Haus und schrie:
»Mutti – Mutti – – es schießt!«
Frau Sandler erschrak über ihr erregtes Töchterchen. Das Gesicht war von Tränen beschmutzt, das Kleidchen unsauber und zerrissen.
»Pucki, wie siehst du aus!«
»Es hat geschossen, Mutti! – Der schwarze Mann ist hinterhergekommen und hat geschossen. – Es war schlimm!«
»Frau Förster – Frau Förster – Sie müssen uns beistehen. Im Walde geht Gesindel um. Man verfolgte uns – hat nach uns geschossen!«
Fräulein Meise stand in der Küchentür, noch bebte sie an allen Gliedern.
»Im Walde hat man Sie verfolgt?« Auch Frau Sandler wurde unruhig. In diesem Wald war noch niemals etwas geschehen, und heute sollte ein Wilddieb sein Unwesen treiben, sogar nach ihrem Kinde geschossen haben?
»Mein Mann muss den Schuss gehört haben – vielleicht ist es ein stürzender Baum gewesen. Holzfäller sind bei der Arbeit. So sprich