Magda Trott

Pucki


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Sandler führte die erregte Dame ins Wohnzimmer. Fräulein Meise ließ sich in der Sofaecke nieder und stöhnte leise.

      »Komm hinaus in die Küche, mein Kind«, sagte die Mutter leise, »und nun erzähle mir, was es für ein Mann gewesen ist.«

      Mit überstürzten Worten berichtete die Kleine von dem schwarzen Mann, der mit dem Auto angekommen wäre und ihr die schönen, bunten Bälle gebracht hätte. Erst nach längerem Fragen wurde es Frau Sandler klar, dass es sich hier um Gasballons handelte, die natürlich bei Stoß und Druck zerplatzen mussten. Doch das wusste die kleine Hedi noch nicht. Sie hielt das Platzen der Gasballons für Schüsse, die irgend jemand abgefeuert hatte. Frau Sandler konnte nur mit Mühe ein Lachen unterdrücken, als sie die Bindfaden erblickte, die sich noch immer am Arm und am Bein ihres Töchterchens befanden.

      Sie versuchte, dem Kinde die Sache zu erklären. Doch Hedi war noch viel zu verängstigt, um den Worten der Mutter zu glauben. Sie meinte nach wie vor, dass der Mann mit dem schwarzen Bart geschossen hätte.

      »Mutti«, sagte sie plötzlich in neuem Entsetzen, »wird's nu beim Fritz auch schießen?«

      »Du brauchst dich nicht zu ängstigen. Wenn ich wieder nach der Stadt komme, will ich dir solch einen Ballon mitbringen, damit du erkennst, dass dir Herr Henschel wirklich nur eine Freude bereiten wollte. Du bist eben unser kleines Dummerchen. Aber im Walde brauchtest du dich nicht zu ängstigen, du kennst doch den lieben Wald.«

      Als Hedi drei Tage später einen schönen, blauen Gasballon bekam, lehnte sie diese Gabe ab und schenkte ihn an Minna weiter.

      »Ich schenke dir den Ballon, und du lässt mich in den Klotzpantinen mal spazierengehen.«

      5. Kapitel: Ein schlimmer Tag für Pucki

      Förster Sandler hatte auch am heutigen Tage, wie schon so oft, sein Töchterchen mit in den Wald genommen. Da nicht weit vom Forsthaus gearbeitet wurde, konnte die Kleine, ohne dass der Vater etwas zu befürchten brauchte, allein den Heimweg antreten. Aber heute wollte Hedi nicht so rasch von der Seite des Vaters fortgehen, denn es wurden hohe Bäume gefällt; das war für das kleine Mädchen ein gar wichtiges Ereignis.

      Anfangs war die Kleine immer sehr traurig gewesen, dass solch schöner Baum sterben musste. Als ihr der Vater aber erklärte, dass nur die Bäume geschlagen würden, die keine Lust mehr zum Leben hätten, beruhigte sich Hedi.

      »Für die kleinen Bäume muss Platz gemacht werden, mein Kind, sie sollen doch auch groß und kerzengerade wachsen. Das könnten sie jedoch nicht, wenn all die alten Bäume stehenbleiben.«

      »Aber es tut dem Baum gewiss weh, wenn man auf ihn loshackt.«

      »Wir hacken nur solche Bäume um, denen es nicht mehr wehtut, mein Kind. Die Waldarbeiter wissen ganz genau, wie sie es anfangen müssen, damit der Baum keine Schmerzen leidet.«

      Aufmerksam verfolgte das Kind die Säge, die in dem dicken Baumstamm hin und her ging. Wenn sie gar zu laut wurde, meinte Hedi traurig:

      »Vati, ich glaube halt doch, dass es dem Baum weh tut.«

      Der Vater führte seine weichherzige Tochter schließlich fort. Er ließ das Kind auf geschlagenen Baumstämmen laufen, ließ sie schöne Tannenzapfen suchen, und so wurde Hedi bald wieder fröhlich.

      »Kannst du auch auf den Baumstämmen laufen, Vati?«

      »Freilich kann ich das! Als Junge habe ich das immer gemacht.«

      »Bist du als Junge auch viel im Walde gewesen?«

      »Jawohl, den ganzen Wald habe ich durchwandert.«

      »Ist doch schade, Vati, dass ich dich damals nicht gekannt habe, als du noch ein kleiner Junge warst; wir hätten so schön miteinander gespielt.«

      »Bald wird dein kleines Schwesterchen auch so groß sein, dass du mit ihm spielen kannst.«

      Hedi zog die Nase kraus. »Nein, Vati, das kleine Schwesterchen wächst nicht, mit dem kann ich nichts anfangen, mit dem kann ich auch nicht spielen.«

      »Dein kleines Schwesterchen wird mit jedem Tage klüger. Es kennt dich schon und freut sich, wenn es dich sieht.«

      »Wie heißt denn das kleine Schwesterchen, Vati?«

      »Das ist eine kleine Waltraut.«

      »Heißt sie so?«

      »Ja!«

      »Ach – Vati, das ist nicht schön, wir wollen sie Greif nennen, so wie der große Hund vom Onkel Oberförster heißt. – Nicht wahr, Vati, wir nennen sie Greif?«

      »Aber Pucki – –«

      »Ich weiß, Vati, wir nennen sie Mucki! Ein Muckenhorn wird ihr schon noch wachsen, wenn sie groß ist! – Ach ja, wir nennen sie Mucki!«

      »Wir haben an unserer Pucki reichlich genug, eine Mucki wollen wir nicht haben.«

      »Haste genug an mir, Vati? – Wozu brauchen wir dann noch so'n Kindchen.«

      »Es ist doch schön, wenn du ein Schwesterchen hast.«

      »Möchtest du auch einen Paul, einen Walter und einen Fritz haben wie Onkel Niepel?«

      »Nein, nein«, lachte Förster Sandler, »ich habe vorläufig an euch beiden genug!«

      »Ich auch, Vati – aber es wäre schon besser gewesen, wenn ihr an mir genug hättet. Und wenn ich nicht weg gewesen wäre, hätte sich die Mutti auch keinen Greif angeschafft. – Oh, es war sehr dumm von mir, dass ich weg war.«

      »Da hast du recht! – Doch nun musst du heimgehen, Pucki, sonst ängstigt sich die Mutti.«

      »Und sonst holt sie sich noch ein Kindchen.«

      »Immer hübsch den Weg geradeaus, nicht wieder verlaufen wie damals.«

      »Nein, Vati – ich habe gar keine Angst.«

      »Du brauchst auch keine Angst zu haben, Pucki, du weißt doch, jedes Kind hat seinen Schutzengel.«

      »Läuft der Schutzengel immer neben mir her?«

      »Ja, das tut er.«

      »Geht der Schutzengel auch mit in den dunkelsten Wald?«

      »Ja, mein Kleines, der Schutzengel bleibt immer an deiner Seite.«

      »Hat der Greif auch einen Schutzengel?«

      »Ein Hund braucht keinen Schutzengel.«

      »Ich meine doch das Schwesterchen, das bei uns im Wagen schreit.«

      »Also dein Schwesterchen Waltraut! Ja, Waltraut hat auch schon einen Schutzengel, sogar einen ganz großen. Der hält beide Arme über das kleine Mädchen, damit ihm gar nichts passieren kann.«

      »Hat's einen größeren Schutzengel als ich?«

      »Je kleiner ein Kind ist, um so größer ist der Schutzengel.«

      »Vati, dann hast du nur noch 'nen ganz kleinen Schutzengel, so klein wie ein Mäuschen.«

      »Das genügt; die Hauptsache ist, dass jeder Mensch vom lieben Gott beschützt wird. Ob es nun ein großer oder ein kleiner Engel ist, bleibt sich gleich.«

      »Und der Engel ist so wie die Luft, dass man ihn gar nicht mal sehen kann? – Steht er denn immerzu neben dem Wagen von dem kleinen Mädchen?«

      »Ja.«

      »So, so – Mutti weiß das auch? Darum lässt sie manchmal den Wagen allein im Garten stehen.«

      »Pucki, du musst nun heimgehen, Mutti wartet auf dich. Sie wird sich ängstigen, wenn du nicht kommst.«

      »Nur noch ein kleines bisschen. – Wenn ich nun auf einem anderen Wege nach Hause gehe, kommt dann der Schutzengel auch mit oder geht der immer nur geradeaus?«

      »Du darfst auf keinem anderen Wege