Magda Trott

Pucki


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und immer schneller fuhr das Auto dahin. Wieder wurde behutsam die Klappe ein wenig aufgestoßen, und wieder lauschte Hedi angstvoll auf die Unterhaltung der beiden Männer.

      »Das lassen Sie meine Sorge sein, die Schläge werde ich Ihnen schon geben.«

      Bums – fiel die Klappe wieder zu.

      Hedi hätte am liebsten geweint, doch fürchtete sie sich, dass es die beiden Männer hören könnten. Allerlei Verzweiflungspläne erstanden in den Kinderköpfen. Vielleicht hielt der Wagen irgendwo an, dann wollten sie herausspringen, in den Wald laufen, dort, wo er am dichtesten wäre. Dann konnte das Auto nicht nachkommen.

      »Er will uns schlagen – er wird uns fürchterlich prügeln. – Nun haben wir da unten noch was zerbrochen. – Ach, ich bin ein armer Pucki! Es geht wieder schlimm aus!«

      Während Hedi die klebrigen Hände vor das Gesicht legte, um nichts zu sehen und zu hören, öffnete Fritz zum dritten Mal die Klappe. Man hatte den Wald verlassen, fuhr durch Felder und Wiesen. Nach Rahnsburg konnte es gewiss nicht mehr weit sein. Vielleicht hielt der Wagen dort an, dann konnten sie entfliehen.

      »Sie müssen sie natürlich erst ein paar Tage einsperren.«

      »Haste gehört«, flüsterte Fritz. »Er will uns erst ein paar Tage einsperren. – Ach, warum sind wir in den Wagen gekrochen!«

      Nun wurde die Klappe nicht mehr geöffnet. In Angst und Schrecken harrten die beiden Kinder des Augenblickes, dass der Wagen hielt, um den furchtbaren Strafen zu entrinnen. Aber es ging weiter und immer weiter. Die Kinder wurden heftig durchgeschüttelt, es schien, als fahre man über holpriges Pflaster.

      Die beiden sagten nichts mehr, sie hielten sich umschlungen und warteten auf etwas Schreckliches. Soviel war sicher, dass man sie einige Tage lang einsperren wollte, dann bekamen sie Schläge, und wer wusste, was weiter mit ihnen geschah.

      Wie lange die Kinder in dem Auto gehockt hatten, wussten sie nicht. Plötzlich rückte der Wagen hin und her, hupte mehrmals – dann stand er still. Die beiden Männer schienen auszusteigen, doch standen sie jetzt direkt neben der Klappe, so dass die Kinder nicht wagten, sich aufzurichten. Minute auf Minute verrann, dann war es ihnen, als knarrte eine Tür. Ein Schlüssel wurde im Schloss umgedreht – dann war es still.

Bild: Artur Scheiner

      Wieder wurde die Klappe geöffnet. Die beiden Männer waren fort. Hedi fasste neuen Mut.

      »Komm – jetzt laufen wir rasch weg. – Fritz, komm schnell. – Oh, wie siehst du denn aus!«

      Dass die Kleine ebenfalls über und über mit dickflüssigem Himbeersaft beschmutzt war, sah sie nicht. Sie sah nur den klebrigen Fritz, der nicht nur im Gesicht, sondern auch am Anzug mit dem feuchten, dicken Saft beschmutzt war. Sie stiegen heraus; Fritz stellte fest, dass der Wagen in der Garage stand, die nur spärlich durch ein Fenster erhellt war. Mit klopfendem Herzen eilte er auf die große Tür zu, stemmte sich dagegen – und begann zu weinen. Die Tür war verschlossen.

      »Wir können nicht 'raus.«

      Auch Hedi warf sich gegen die Tür, doch alles Bemühen der Kinder war vergeblich. Die Getreidehändler hatten den Wagen gut verwahrt. – Nun waren sie gefangen.

      Fritz begann laut zu weinen. Er schluchzte so jammervoll, dass Hedis Herz in Mitleid erbebte. Sie nahm den Kopf des Buben zwischen ihre schmutzigen Hände, streichelte sein blondes Haar und sagte in mütterlicher Besorgnis:

      »Weine mal nicht so sehr, ich bin ja bei dir. Sie dürfen dir nichts tun. – Wollen wir sehen, dass wir durchs Fenster kriechen?«

      Doch das kleine Fenster war viel zu hoch, und in der Garage war nichts, an dem die Kinder hätten emporklettern können. Nur mehrere Blechkannen standen im Winkel, die sich trotz ihres Mühens nicht übereinander stellen ließen.

      »Nun müssen wir immer hier bleiben«, schluchzte Fritz. »Ich kann nicht mehr heim zu den Eltern. Die Leute halten uns gefangen.«

      Auch Hedi dachte mit Entsetzen an die Eltern, die auf ihre Heimkehr warteten. Schon einmal hatte sie der gute Vater eine Stunde lang gesucht. Strenge Strafe war die Folge ihres Fernbleibens gewesen. – Jetzt sperrte man sie hier tagelang ein, nur weil sie ein bisschen ins Auto geklettert waren, um nachzusehen, was in dem schwarzen Kasten wäre.

      Trotzdem tröstete sie den weinenden Fritz immer aufs neue.

      »Ich werde immerzu an die Tür bumsen, dann kommt der Mann. Ich werde ihm sagen, dass ich zuerst in den Kasten gekrochen bin, dass er dich nicht hauen soll, weil du noch so'n kleiner Junge bist. Dann haut er nur mich, und du kannst gehen.«

      »Haut er nur dich?«

      »Ja –«, sagte Hedi kleinlaut. Ihr war bei diesem Gedanken gar nicht wohl, doch der Fritz tat ihr sehr leid. Er sah gar zu hässlich aus in dem beschmutzten Anzug.

      Vereint hämmerten die Kinder mit den kleinen Fäusten gegen die Tür. Hätten sie gewusst, dass die Garage des Getreidehändlers abseits in einem großen Hofe stand, wäre ihr Mut noch mehr gesunken. Niemand ahnte, dass hier zwei verängstigte Kinder eingesperrt waren.

      »Ich hab' Hunger«, jammerte Fritz.

      »Warte mal noch ein Weilchen«, tröstete Hedi. »Es wird gleich einer kommen und uns was zu essen bringen.«

      Aber es kam keiner. Von Zeit zu Zeit schlugen die Kleinen vereint gegen die Tür der Garage, um sich bemerkbar zu machen. Als aber Stunde auf Stunde verrann, erlahmten ihre Kräfte. Hinzu kam die immer größer werdende Angst.

      Fritz kauerte in der Ecke der Garage. Sein Kopf war vornübergesunken; er war vom Weinen und von der Erregung müde geworden. – Hedi blickte sich suchend um, ob sie dem Erschöpften nicht ein besseres Lager bereiten könnte. – Dort stand das Auto mit den weichen Polstern. Doch hatten die Kinder Angst, einzusteigen. Schließlich überwog das Mitleid.

      »Komm, Fritzchen, ich setze dich in den Wagen.«

      »Ich will nicht in den Wagen!«

      »Komm nur, er tut dir nichts, ich passe auf.«

      Hedi umfasste den Spielgefährten und führte ihn wie eine sorgsame Mutter zum Auto und drückte ihn auf den Polstersitz.

      »Hier kannste schlafen, Fritzchen. Morgen früh bekommen wir dann Frühstück – Milch und Kuchen und Honig und eine Gänseschmalzschnitte. Das bringt uns die Waldfee. Ich will es ihr sagen. Und dann können wir auch wieder nach Hause gehen.«

      »Ich habe so große Angst.«

      Hedi kroch neben den Freund auf den Sitz, legte dessen Lockenköpfchen an ihre Schulter und flüsterte: »Es darf dir keiner was tun. Der liebe Gott ist in jedem Winkel, er ist auch in der Garage. Und wenn er vielleicht auch böse auf uns ist, er wird schon wieder gut werden. Du brauchst wirklich keine Angst zu haben.«

      Fritz war so erschöpft, dass ihm noch während der Worte des kleinen Mädchens die Augen zufielen.

      Aber Hedi konnte noch lange nicht schlafen. Jetzt erst überkam sie erneut die Sorge. Sie wusste, dass sie von den Eltern gesucht würde, und sie wusste auch, dass sie heute sehr unfolgsam gewesen war, dass es heute sehr schlimm ausging.

      »Lieber Gott – liebe Traumfee und liebe Waldmutter, sieh doch zu, dass wir hier bald heraus können. Ich habe ja solche große Angst!«

      Dann schlief Hedi ein. Die Traumfee meinte es auch wirklich gut mit den Kindern. Sie führte die Kleinen im Traum in den schönen grünen Wald, zeigte ihnen Hirsche und Rehe, während sie eng aneinandergeschmiegt in dem Auto saßen und im Schlummer ihr großes Leid und ihren Kummer vergaßen.

      Die beiden schliefen noch, als am anderen Morgen gegen neun Uhr der Getreidehändler Henschel die Garage betrat,um eine Fahrt über Land anzutreten. Er glaubte seinen Augen nicht zu trauen, als er die beiden beschmutzten Kinder sah, die gar friedlich aneinandergelehnt im Schlummer lächelten. Wie kamen die Kleinen hierher? Die Garage war fest verschlossen. Beim