Gisela Luise Till

Die Königin des Lichts


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Bewohner im Waldaland beherrschen konnte. Papa und ich haben gegen ihn gekämpft. Während des Kampfes verwandelte der Berggeist sich in eine Krähe. Wir haben ihn besiegt, eingefangen, mit einem Bannspruch belegt und in das Land deiner Großeltern gebracht. Dieses ist frei von Magie, dort kann der Berggeist Schakan keine neuen Kräfte sammeln. Nur bei uns im Waldaland kann er seine Zauberkräfte benutzen. Deshalb haben wir beschlossen, unser Land auch von der Magie zu befreien und keine Zauberkräfte mehr zu nutzen. Du kennst den Berggeist Schakan. Es ist die alte Krähe, die in dem Käfig in Opas Stall sitzt. Weil er so gefährlich ist, haben wir dir stets verboten, dich diesem Tier zu nähern. Als du drei Jahre alt warst, hast du meine Zauberperle gefunden und sie verschluckt. Seitdem steckt sie in deiner Brust und leuchtet aus dir heraus. Die Prophezeiung sagt, wer die Perle schluckt und nicht daran stirbt, erhält das ewige Leben. Du hast die Perle in dir und mit ihr alle Macht der Magie. Deshalb hast du ungeahnte Kräfte, und immer wenn du dir etwas ganz heftig wünschst, geht es in Erfüllung.“

      Luzie war so überrascht, dass sie kein Wort sagen konnte.

      Maria warnte noch einmal: „Das ist gefährlich! Wenn du dir unbedacht etwas wünschst, können schlimme Dinge passieren, die du vorher nicht bedacht hast. Es könnte jemand davon erfahren, der deine Kraft haben will, und dir etwas antun. Deshalb müssen wir darauf bestehen, dass du dir nichts mehr wünschst. Versprichst du uns das?“

      Luzie rutschte unruhig hin und her und senkte traurig ihren Blick. „Ich darf mir nie mehr was wünschen? Nie mehr?“

      Maria nickte. „Nie mehr! Du weißt ja, wie du es machen musst, wenn du etwas haben willst, das haben wir doch geübt.“

      Falko sah den Kummer in Luzies Augen und versprach: „Wenn du dich daran hältst, darfst du den Hund behalten. Wenn nicht ...“

      Luzie hörte nur „Hund behalten“ und versprach alles, was man von ihr verlangte. Sie drückte ihr Gesicht in Tinos Fell und jauchzte: „Hast du gehört, Tino? Ich darf dich behalten!“

      Am nächsten Morgen war Luzie schon früh aus den Federn. Sie schlang das Frühstück hinunter, rief Tino und rannte zur Tür.

      Die Mutter hielt sie fest.„Halt, halt, wohin so eilig?“

      „Ich will zu Max.“

      Maria schüttelte den Kopf. „Nicht so schnell! Zuerst muss ich dich kämmen.“

      „Ich bin gekämmt!“

      „Setz dich hin, Luzie. Dein Haar ist struppig. Bevor du gehst, muss ich dich kämmen.“

      Luzie setzte sich seufzend auf den Stuhl und Maria bürstete ihr Haar. Sie rupfte ihr eine Handvoll Haare aus und murmelte seltsame Sprüche dazu.

      Luzie schrie: „Au! Das tut weh. Du reißt mir ja die Haare aus.“

      Maria streichelte ihren Kopf und lachte. „Eins, zwei, drei, schon vorbei.“

      Luzie verdrehte böse die Augen und wollte weg. Die Mutter drückte sie auf den Stuhl, bürstete weiter und murmelte monoton:

      „Drei wie Vater, Mutter, Kind;

      drei miteinander verwoben sind.

      Drei mal drei vieltausendmal,

      drei mal drei ist die richtige Zahl.“

      Als sie wieder einige Haare ausriss, sprang Luzie auf und lief mit Tino hinaus. Sie nahm die Abkürzung über die Bergwiese, rannte zur Dorfstraße, klopfte bei Max an die Tür und brüllte: „Mach auf, ich bin’s. Luuuzie!“ Sie stand mit Tino vor der Tür und trat ungeduldig von einem Fuß auf den anderen.

      Als sich nichts rührte, rief sie aus Leibeskräften: „Max! Komm raus, ich muss dir was zeigen!“ Zwei Sekunden später pochte sie abermals gegen die Tür, ging einen Schritt zurück und blickte zum Fenster. Als sich immer noch nichts rührte, trommelte sie mit den Fäusten gegen die Tür.

      Luzie tigerte ungeduldig vor dem Haus auf und ab und konnte es kaum erwarten, Max den Hund zu zeigen. Es kam ihr vor wie eine Ewigkeit, bis sie endlich Schritte hörte und Max verschlafen die Tür öffnete. „Warum kommst du so früh? Es sind doch Ferien!“

      Luzie hielt ihm Tino unter die Nase und jauchzte: „Ist der nicht süß?“

      Max riss die Augen auf: „Oooh! Ist das deiner? Woher hast du den?“

      „Den hab ich mir gewünscht und dann war er plötzlich da.“

      „Einfach so? Kannst du zaubern?“

      Luzie schaute sich um und flüsterte: „Ich denke schon. Wenn du niemandem etwas erzählst, verrate ich dir ein Geheimnis.“

      Max verdrehte beleidigt die Augen. „Warum fragst du? Du weißt doch, dass deine Geheimnisse bei mir sicher sind!“

      „Heb deine Hand und schwöre!“

      Max streckte drei Finger in die Luft und Luzie erzählte: „In meiner Brust steckt eine Zauberperle, und wenn ich mir was wünsche, geht es in Erfüllung. Deshalb musste ich meinen Eltern versprechen, dass ich mir nie mehr was wünsche.“

      „Und hast du?“

      „Na klar! Sonst hätte ich Tino nicht behalten dürfen.“

      „Schade, ich habe so viele Wünsche, ein paar hättest du mir erfüllen können.“

      „Genau davor hat meine Mutter mich gewarnt. Es darf niemand wissen, sonst kommen alle Leute mit tausend Wünschen und ich hätte keine ruhige Minute mehr.“

      „Na ja, kann sein, aber es wäre schon schön!“ Max streichelte Tino versonnen das Fell und dachte an die vielen schönen Sachen, die er sich wünschte. Er schob den verführerischen Gedanken zur Seite und fragte: „Und was machen wir jetzt? Sollen wir dem kleinen Kerl ein paar Kunststücke beibringen?“

      „Na klar! Dann zeig ich dir, wie schlau Tino ist. Du wirst sehen, er versteht alles, was ich sage.“

      Max zog seine Schuhe an, steckte sich ein belegtes Brot vom Frühstückstisch in seine Tasche, nahm noch eins in die Hand und lief hinaus. Bei jedem Schritt, den er machte, sprang Tino an ihm hoch. Max lachte und überlegte, ob der Hund ihn als neuen Freund begrüßte oder ob er nur das Wurstbrot haben wollte. Er warf ihm ein Stöckchen zu und schleuderte irrtümlich das Brot weg. Tino schnappte danach, verschlang es hastig und sauste davon. Luzie und Max liefen lachend hinterher in den Wald. Sie rannten zum Perlbach, an dem die großen Tauerweiden standen. Dort machten sie halt, warfen Steine ins Wasser und planschten eine Weile.

      Danach tobten sie mit Tino auf der angrenzenden Wiese herum. Den ganzen Tag verbrachten sie dort. Erst als die Sonne sank und der Abend nahte, gingen sie heim.

      Am anderen Morgen kämmte Maria Luzie wieder ausgiebig ihr Haar. Sie nahm die Bürste, rollte ein paar lange Haarsträhnen ein, murmelte den gleichen Vers wie am Vortag und riss sie aus. Luzie schimpfte und wetterte. Die Mutter hörte jedoch gar nicht hin, sagte nur: „Eins, zwei, drei, schon vorbei“, und machte am anderen Tag genau das Gleiche. Luzie hasste die Prozedur, ließ sie aber über sich ergehen und rannte anschließend mit Tino zu Max.

      Max hatte schon den Rucksack mit Essen und Trinken gepackt und alles für ein schönes Picknick am Bach vorbereitet. Tino begrüßte ihn wie einen alten Freund. Er machte Männchen, schlug Purzelbäume und zeigte, was er gelernt hatte.

      Das Wetter versprach einen sonnigen Tag. Max holte seine Angel, schulterte den Rucksack und machte sich mit Luzie und Tino auf den Weg zum Perlbach. Heute wollten sie Fische fangen und sie am Lagerfeuer braten. Sie verbrachten wieder einen herrlichen Ferientag am Bach und gingen abends glücklich nach Hause.

      Am vierten Tag stand Luzie früh auf. Max wartete, sie wollten in den Wald und Tino neue Kunststücke beibringen. Heute hatte sie es besonders eilig. Deshalb nahm sie ein Brot vom Tisch, steckte es in den Mund und wollte weg.

      Die Mutter hielt sie fest und bürstete wie immer ihr Haar. Sie kämmte und kämmte. Luzie konnte kaum stillhalten