Jörg Weigand

Die Welten des Jörg Weigand


Скачать книгу

herausreißen können. Doch die zunehmende Unruhe im Saal schreckte ihn schließlich auf. Gezielt steuerte er auf den Ausgang zu. Doch bereits nach wenigen Schritten erhielt er einen Schlag auf den Kopf und spürte danach nichts mehr.

      Erst nach geraumer Zeit wurde sich das wimmernde Bündel im Schalensitz des Rettungssystems seiner Umgebung bewusster.

      Langsam sickerten in seinen getrübten Geist Einzelheiten der Kabine: das Flackern der Lämpchen; das Graugrün des Bodenbelags; die viereckige Platte der Steuerkonsole; das fahle Rosa der eigenen verkrampften Finger.

      Er musste sich übergeben.

      Während Valentin Fisher würgte, wurde er sich mit plötzlicher Schärfe der Tatsache bewusst, dass er allein war. Allein in einer Notkapsel des beginnenden 22. Jahrhunderts, deren Funktionen ihm nicht vertraut waren; denn bei der allfälligen Instruktion zu Beginn der Reise hatte er selbstverständlich gefehlt. Die Möglichkeiten zu seiner Rettung waren ihm nicht einmal andeutungsweise bekannt.

      Er würgte erneut. Und während er nichts als Schleim erbrach, wurde er wieder bewusstlos.

      2

      Als sie ihn fanden, war er nichts weiter als ein hilfloses Tier, bis auf die Knochen abgemagert, stammelnd wie ein Idiot.

      Sie waren sanft, mit weichem, flaumigem Pelz und tiefbraunen, lidlosen Augen. Ihm zu helfen, war eine Selbstverständlichkeit, die ihnen von Geburt an durch ihren Glauben mitgegeben war. Sie schafften ihn in ihre Welt und linderten seinen Hunger, seinen Durst, seine Ängste. Schmale, vielgliedrige Finger wuschen ihn, salbten ihn und streichelten ihn, bis er sich, ruhig geworden, lang ausstreckte.

      Als er schließlich aus seiner mehrtägigen Bewusstlosigkeit erwachte und seine Betreuer betrachten konnte, fasste er sofort Vertrauen zu ihnen. Diese freundlichen Wesen wollten nur das Beste, dessen war er mit einem Mal sicher.

      Danach machte der Heilungsprozess rasche Fortschritte.

      Als er wieder soweit hergestellt war, dass ihm das Aufstehen kaum noch Mühe bereitete, da begannen sie auch, mit ihm zu sprechen. Denn bis dahin hatten sie sich nur durch Gesten verständlich gemacht.

      »Wir sind das Volk«, sagte unverhofft sein ständiger Pfleger, den er leicht an einer angegrauten Stelle des Pelzes unter dem rechten Auge erkannte. »Wir haben dich als unseren Gast aufgenommen. Wenn du aufstehen und dich umsehen willst, dann ist dir das gestattet.«

      Valentin Fisher war durch die plötzliche Anrede so überrascht, dass es ihm zuerst an Worten fehlte. Als er stammelnd zu einer Antwort ansetzte, wurde er sanft unterbrochen:

      »Wir wollten dir Zeit lassen, dich auch innerlich wieder zu fangen. Außerdem waren wir uns nicht ganz sicher, ob du in den Kreis des Doo gehörst wie wir alle. Offen gestanden sind wir uns immer noch nicht im Klaren darüber, doch die Zeit wird uns das wissen lassen.«

      »Wo bin ich?«, war Fishers erste Frage.

      »Unsere Heimat schwebt zwischen den Welten, in der Leere, die das Doo gebiert. Vor langen Jahren schon hat sich das Volk losgesagt von allem Verhaftetsein mit den Systemen des Universums. Wir haben uns eine eigene Welt geschaffen, die schweigend dahinzieht; hier leben und sterben wir.«

      Während der Pelzige das erklärte, hatte der Mensch sich von seiner Lagerstatt erhoben. Das Fremdwesen ging ihm knapp bis an die Schulter, wie er mit Überraschung feststellte. Denn aus der Perspektive des Liegenden war ihm der andere viel größer vorgekommen.

      Valentin Fisher fühlte sich leicht, fast unbeschwert, wie schon lange nicht mehr in seinem Leben, das ihn auf viele bewohnte Welten geführt hatte. Er merkte, dass diese Empfindung offensichtlich auch mit der Tatsache zusammenhing, dass hier eine geringere Schwerkraft als auf der Erde oder in den irdischen Raumschiffen herrschte.

      »Wie soll ich dich nennen?«, erkundigte er sich bei seinem Gegenüber.

      »Man nennt mich Lilisan.« Sein Pelz hatte, von oben gesehen, einen seidigen Schimmer. »Du als unser Gast darfst mich auch so anreden.«

      Nach allem, was Lilisan bisher erzählt hatte, befanden sie sich in einer Art Raumstation, die zwischen den Galaxien schwebte und völlig autark war. Valentin Fisher schienen die Angehörigen des Volkes, wie sie sich nannten, etwas seltsam zu sein. Aber solange sie sich um ihn kümmerten und ihm halfen, wieder nach Hause zurückzukehren, sollte ihm das egal sein.

      »Wir wollen einen Rundgang machen«, schlug Lilisan vor und wandte sich zur Tür. »So bekommst du am besten einen Eindruck von uns und von unserer Welt.

      3

      Die Welt des Doo, so nannten die Pelzigen ihre Heimat untereinander, war auch für irdische Begriffe riesenhaft, doch sie besaß nur einige tausend Bewohner. Ausgeklügelte Selbstversorgungsanlagen verhinderten, dass irgendjemand Not leiden musste. Auf mehreren Decks übereinander befanden sich Plantagen, in denen die verschiedensten Gewächse kultiviert wurden. Tiere sah Valentin Fisher keine. Und Fleischgenuss galt, das ergab eine vorsichtige Frage, als heiliges Tabu.

      Im Verlauf langer Gespräche kam Fisher dahinter, dass das Volk weniger eine soziale als eine religiöse Ordnung kannte. Es gab keine Vorgesetzten und keine Bestrebungen Einzelner, sich gegenüber den anderen hervorzutun. Wo etwas zu entscheiden war, geschah dies einvernehmlich – oft ohne sichtbare Abstimmung. Dem Menschen schien es manchmal, als sei hier eine Gemeinschaft so ineinander verwachsen, dass das verbale Einholen der Zustimmung Einzelner gar nicht mehr vonnöten war.

      Alles bestimmte das Doo, ein Begriff, unter dem sich Fisher lange Zeit überhaupt nichts vorstellen konnte. Manchmal erschien es ihm als abstrakter Begriff, doch fast ebenso oft wiederum hatte er den Eindruck einer Personifizierung. So, wenn Lilisan etwa in einer Diskussion einwarf: »Das Doo sagt, dass …« Meist folgten dann Äußerungen, die auf Geduld und Verständnis anderen gegenüber abzielten.

      Erst allmählich merkte Valentin Fisher, dass jedes Gespräch, das er mit einem Vertreter des Volkes führte, gleichzeitig ein Test war.

      Seine Gesprächspartner wechselten rasch, als wollte man ihn durch verschiedene Spezialisten prüfen lassen. Ihm freilich kam es so vor, als ginge es immer nur um das gleiche Thema: die meditierende Haltung des Einzelnen gegenüber dem Universum und die Einpassung des Individuums in die religiöse Gemeinschaft des Doo.

      Zu Anfang hielt er sich bei den ausgedehnten Diskussionen zurück. War es zuerst mehr Unsicherheit darüber, worum es eigentlich ging, so merkte er rasch, dass es da Dinge gab, auf die das Volk großen Wert legte, die ihm jedoch ziemlich fremd waren. Doch merkte er mit Fortschreiten der Zeit, dass ihn eine geheime Ungeduld befiel, die anwuchs und durch nichts zu stoppen war.

      Zum ersten Mal ging Fisher aus sich heraus, als sein neuer Gesprächspartner ihm eine Vorlesung zu halten begann über die Tugenden des Doo:

      »Wer im Doo lebt, weiß, ohne zu wissen. Er ist ehrlich und weiß doch nicht, was Wahrheit ist. Er hilft aus eigenem Antrieb anderen, ohne Hilfe zu kennen. Er liebt das Volk über alles, und doch ist ihm Liebe unbekannt. Er tut seine Arbeit, doch was ist für ihn Pflicht? Er praktiziert Treue zum Doo und …«

      Da riss der Geduldsfaden.

      »Was soll das eigentlich?«, unterbrach er in scharfem Ton den vortragenden Tansetung.

      »Was soll dieses Salbadern? Warum muss ich mir das immer wieder anhören? Einmal ist genug!«

      Tansetung, aus seinem meditierenden Sprechen brutal in die Gegenwart gerissen, schaute ihn aus schreckgeweiteten Augen an. Fisher ließ sich nicht beirren:

      »Wie lange muss ich eigentlich noch warten, ehe man mehr auf das eingeht, was ich will? Wann kann ich endlich nach Hause? Habe ich es hier nur mit lauter Verrückten zu tun?«

      Er hatte sich bei diesem Gefühlsausbruch erhoben und schaute Tansetung wütend an. Doch nicht lange – dann war der Pelzige geflohen.

      4

      Zwar