Jörg Weigand

Die Welten des Jörg Weigand


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dass es eben einmal hätte sein müssen. Er hatte es doch gar nicht nötig, sich auf diese Weise schikanieren zu lassen! In seinem irdischen Beruf als Repräsentant von Großmaschinen galt auch nur das forsche Drauflosgehen; Rücksichten konnte sich bei dem Job keiner erlauben.

      Im Übrigen ließ das Volk ihn nun in Ruhe. Er seinerseits hatte auch keine große Lust, auf die Pelzigen zu treffen; daher verließ er kaum noch sein Zimmer. Ein verschüchtertes Jüngelchen brachte ihm jeden Tag seine Mahlzeiten, ein nicht minder verängstigtes Mädchen machte seinen Schlafraum sauber und sorgte auch sonst für Ordnung. Er, Valentin Fisher, hatte endlich Ruhe vor diesem Geschwätz, das nur den Nerv tötete und zu nichts gut war.

      Nun allerdings, den ganzen Tag auf sich allein gestellt, begann er den Whisky schmerzlich zu vermissen. Nicht, dass er in seinem normalen Leben unter die Säufer zu rechnen gewesen wäre. Wenn er auch keinen Tag ohne ein gutes Dutzend Schnäpse hatte verstreichen lassen, so hielt sich Fisher doch nicht für einen Trinker. Dass er freilich bis jetzt ohne Alkohol ausgekommen war, schien ihm nicht ganz begreiflich.

      Dazu kam noch, dass ihm allmählich das Essen über wurde. Jeden Tag, morgens – mittags – abends, gab es Pflanzenkost. Zwar wurden die verschiedensten Gewächse meist sehr schmackhaft zubereitet, doch Fisher bekam immer mehr einen Heißhunger auf Fleisch. Die Gier nach tierischem Eiweiß wühlte in seinen Eingeweiden und konnte auch durch die köstlichen Salate und Gemüse nicht gestillt werden.

      Eines Tages stand unverhofft Lilisan in der Tür. Fisher, der sich gerade einem Tagtraum hingab, in dem ein riesiges Steak auf einem Teller dampfte, schrak zusammen.

      »Darf ich mich setzen?«, fragte Lilisan mit der allen Pelzigen eigenen sanften Stimme.

      »Aber sicher, nimm nur Platz. Es ist schließlich eure eigene Welt, auf der ich mich befinde!«

      Lilisan beachtete die Spitze nicht, die in den Worten des Menschen zu spüren war.

      »Wir sind über dich zurate gegangen«, sagte er und richtete seine dunkelbraunen Augen auf Fisher, »und sind zu dem Schluss gekommen, dir noch eine Chance zu geben, ehe wir endgültig entscheiden.«

      Valentin Fisher fühlte die Wut in sich aufsteigen. Sollte er sich etwa wieder dieses dumme Geschwätz anhören?

      »Muss das denn ewig so weitergehen?«, fragte er böse. »Warum habt ihr nicht Interessen wie andere auch, zum Beispiel: Wann gibt es endlich etwas Richtiges zu essen? Fleisch beispielsweise.«

      Lilisan erstarrte.

      »Ich bitte dich, einen solchen Frevel nicht mehr auszusprechen!«, stieß er hervor, sichtlich aufgebracht.

      »So ist das also! Hier darf man nicht einmal sagen, was man denkt.« Fisher dachte nicht mehr über seine Worte nach. Sie sprudelten über seine Lippen wie eigenständige Wesen.

      »Hast du mich verstanden: Ich habe Hunger auf Fleisch!« Lilisan wich vor dem wütenden Menschen bis an die Tür zurück.

      »Dann fürchte ich, dass hiermit das Urteil gefällt ist«, sagte er mit trauriger Stimme.

      Fisher beachtete die Worte Lilisans überhaupt nicht. Er gab sich ganz seinem Zorn hin.

      »Euer betuliches Geschwätz könnt ihr euch sparen. Damit werdet ihr auch nichts erreichen, wenn es einmal hart auf hart geht. Auf der Erde ist noch nie eine Auseinandersetzung oder ein Krieg entschieden worden, weil jemand klug dahergeredet hat!«

      »Krieg!«

      Man sah förmlich, wie der Pelzige sich versteifte. Er warf Fisher noch einen entsetzten – ja verstörten – Blick zu und stürzte dann hinaus.

      Als die Tür hinter ihm zufiel, hörte Fisher zum ersten Mal ein Klicken, als ob ein Riegel einrastete. Er stürzte nach vorn, rüttelte an der Tür. Sie war fest verschlossen.

      Er war eingesperrt.

      Wie ein wildes Tier.

      5

      Er kauerte im Schalensitz vor der Steuerkonsole und kam langsam wieder zu Bewusstsein. Es war ihm, als rüttelte er immer noch an der verschlossenen Tür.

      Ja, er erinnerte sich. Dann war es auf einmal dunkel um ihn geworden.

      Und jetzt … Wo war er?

      Sein Blick fiel auf den Sichtschirm. Dort war schwarze Leere. Ein verwaschener Fleck deutete eine Galaxis an, Millionen von Lichtjahren entfernt. Und von rechts schob sich nun ein riesenhaftes, eiförmiges Gebilde gegen die Bildmitte vor.

      »Die Welt des Doo.« Nun sah er sie auch einmal von außen.

      Da! Es kam ihm voll zu Bewusstsein, dass er ausgesetzt war. Das Volk hatte ihn wieder dorthin zurückgebracht, wo sie ihn aufgelesen hatten.

      Und wie damals war seine Lage hoffnungslos. Ohne Aussicht auf Hilfe trieb er zwischen den Milchstraßensystemen in der drohenden, lebensfeindlichen Leere. Und konnte nur warten. Und draufgehen.

      Aus dem Lautsprecher kam ein Kratzen. Fisher fuhr zusammen.

      »Hörst du mich, Mensch?«

      Das war Lilisans Stimme.

      »Ja, verdammt. Warum habt ihr mich wieder in diesen Kasten gesetzt?«

      »Es musste sein.« Aus der Stimme des Pelzigen sprach kein Mitleid.

      »Aber ich werde sterben müssen. Hier hilft mir doch keiner!«

      »Das ist richtig. Dir soll auch keiner helfen können. Denn du bist eine Gefahr für alle.«

      »Ihr könnt mich doch nicht einfach zum Tode verurteilen!«

      Fisher merkte, wie die Wut ihn übermannte.

      »Ihr verdammten Heuchler!«, schrie er mit überschnappender Stimme. »Ihr redet von Liebe und Demut und lasst doch andere jämmerlich krepieren.«

      »Wir wissen, dass du uns nicht verstehst«, sagte Lilisan, und: diesmal klang Mitgefühl aus seinen Worten. »Und du tust uns leid. Doch auch wir müssen uns treu bleiben. Wir helfen allen Lebewesen im Universum am meisten dadurch, dass wir dich dir selbst überlassen.«

      Fisher schlug in ohnmächtigem Zorn um sich, fegte den Lautsprecher von der Wand, trampelte auf ihm herum. Ehe das Gerät zerbrach, hörte der Mensch noch die letzten Worte des Pelzigen:

      »Wer im Doo lebt, hat die anderen vor Übel zu bewahren. Und du, du bist das schlimmste Übel, das wir kennen!«

      Auf dem Bildschirm zog die Welt des Doo vorüber und entfernte sich in das schwarze Niemandsland zwischen den Galaxien.

      Valentin Fisher war allein mit sich selbst.

      Eigentor (1979)

      An: Ministerium für Kultus und Erziehungswesen

      Referat IX b —

      Terra-City

      Verbund Besiedelter Welten

      Von: Kommission für die Reform des Erziehungswesens

      Der Sekretär für historische Studien –

      Betr.: Vorschlag zur Textgestaltung des programmierten »Lehrbuchs zur Historie der Menschheit«.

      Terra-City,

      12. Tag im 9. Monat d. J. 1075

      (neue Datierung)

      In Ergänzung unseres Projektentwurfs zur Textgestaltung des programmierten »Lehrbuchs zur Historie der Menschheit« schlagen wir vor, den in Anlage als Kopie beigefügten Textauszug aus dem Tagebuch des cygnianischen Geschichtsschreibers Bythamele Ty Mnomeno in das o. a. Lehrbuch aufzunehmen.

      Begründung:

      Der vor ca. 200 Jahren verstorbene Cygnianer Mnomeno war der bislang bedeutendste Historiker seines Planeten. Sein