Katherine V. Forrest

Wüstenfeuer


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Dann ging sie direkt zu dem einen Nachtschrank hinüber. Es war leicht zu erraten, welchen Cameron benutzte: Auf dem hier stand der Radiowecker, und seitlich am Kopfende des Bettes war eine Leselampe angebracht.

      Sie öffnete die Schublade, musterte den Inhalt, ohne etwas anzufassen, dann machte sie ein Foto und schloss sie wieder. Sie überprüfte auch den zweiten Nachtschrank und warf einen Blick in die Schubladen der Kommode. Sie enthielten nichts, was sie nicht erwartet hätte, Boxershorts und Socken, Sweatshirts und T-Shirts und ein paar Pullover.

      Sie ging wieder zum Bett, schlug die braune Steppdecke zurück, kniete sich hin, hob die Matratze an und spähte darunter, bewegte sich auf den Knien um das Bett herum und schaute überall nach. Dann zog sie die Bettdecke wieder zurück und strich sie so glatt, wie sie sie vorgefunden hatte.

      Als Nächstes ging sie zu dem begehbaren Schrank und schaute hinein. Sie hielt inne und holte tief Luft, ballte die Hände zu Fäusten. Mit einigen dieser Anzüge und Jacken, die dort hingen, war sie dermaßen vertraut, dass es beinahe war, als wäre Joe Cameron dort bei ihr in dem Raum. Sie nahm sogar einen leichten Duft nach Sandelholz wahr – ein Duft, den Joe manchmal benutzte.

      »Joe, ich hoffe, dir geht’s gut, du alter Blödmann«, murmelte sie.

      Sie betrat den Kleiderschrank und inspizierte seine gesamte Kleidung, wobei sie darauf achtete, nichts von seinem Platz zu verrücken, und machte sich Notizen – sie registrierte Oberhemden, Freizeithemden und Polohemden, Stoffhosen und Jogginghosen, Jacketts und Blousons, zwei Reihen Schuhe. Es gab keine erkennbare Lücke zwischen den Bügeln und auch nicht in den Schuhreihen. Von der Tür aus machte sie mehrere Fotos.

      Nun gab es nur noch eine Sache, die sie sich anschauen musste, und zwar im Garten. Sie ging hinaus und hob den Deckel des Grills. Der Rost war nicht gesäubert worden; verkohlte Reste von etwas, das nach Hackfleisch aussah, klebte an den Streben. Kein Schimmel. Sie schloss den Deckel wieder und kehrte ins Haus zurück.

      Sie setzte sich auf einen der Barhocker an der Frühstückstheke, legte ihr Notizbuch vor sich, holte ihr Handy hervor und wählte eine einprogrammierte Nummer.

      Der Anruf wurde beim ersten Klingeln entgegengenommen. »Sind Sie drinnen?«

      Kate lächelte. »Bin ich, Captain.«

      »Fangen Sie mit dem Fazit an.«

      »Er ist fort, hat sich aber große Mühe gegeben, den Eindruck zu erwecken, es sei nicht so.«

      Ein leichtes Seufzen, gefolgt von Schweigen. Dann sagte Walcott: »Erzählen Sie mir, wie Sie darauf kommen.«

      Kate warf einen Blick auf ihre Notizen. »Es liegt keine Post hier. Er hat fünf Zeitschriften-Abos, und die letzten Ausgaben der wöchentlich erscheinenden Magazine sind vierzehn Tage alt. Also wird seine Post im Postamt gelagert. Sein Kühlschrank enthält eine Menge Lebensmittel, aber alles, was nicht in Tuben, Dosen oder Gläsern ist, ist abgepackt oder haltbar oder tiefgefroren. Joe isst zu jeder Mahlzeit außer dem Frühstück Salat. Es gibt nicht das kleinste Blatt Salat hier, nichts, das verderben könnte. Seine Vorratskammer enthält nur haltbare Nahrungsmittel. Sein Grill ist nicht saubergemacht worden – das muss für den pingeligen Joe das Schwerste gewesen sein: ihn so zu lassen. Er nimmt ein cholesterinsenkendes Medikament, Lipitor, glaube ich – das fehlt in seinem Medizinschränkchen. Sein Computer ist hier, aber sein Acer Netbook nicht –«

      »Das ist der Grund, warum ich wollte, dass Sie das übernehmen, Kate«, unterbrach Walcott sie. »Ich vermisse Sie, Detective Delafield.«

      Kate lächelte. »Ich Sie ebenfalls, Captain. Er hat sich sehr bemüht, seinen Kleiderschrank so erscheinen zu lassen, als hätte er keinerlei Kleidung und auch keine Schuhe mitgenommen, und jemand, der ihn nicht gut kennt, könnte das durchaus glauben. Seine Koffer sind hier, aber sein Rucksack fehlt. Er mag Jeans mit hinten aufgesetzten Taschen, und die mit den knöpfbaren Klappen auf den Taschen ist hier, aber die mit den Reißverschlüssen fehlt –«

      »Könnte es nicht sein, dass er sie trägt?«

      »Könnte sein. Aber dann würde er nicht die schwarze Trainingshose tragen. Oder die Dockers. Oder drei Paar Shorts. Er könnte seine Nikes anhaben, aber seine Stiefel und seine Sandalen fehlen.«

      »Seine Sandalen?«

      »Seine Sandalen.«

      »Ist Joe womöglich ans andere Ufer gewechselt?« Ein Lächeln lag in Walcotts Stimme.

      Kate gluckste. »Nie im Leben. Er ist stockhetero.«

      »Kate, was ist mit seiner Dienstwaffe?«

      »Ist nicht hier.« Sie erwähnte nicht, dass seine zweite Waffe ebenfalls nicht da war, jedenfalls nicht in seinem Nachtschrank – dem Ort, an dem die meisten Cops, sie selbst eingeschlossen, ihre persönlichen Waffen aufbewahrten. Interessant, dass Walcott von ›Waffe‹ gesprochen hatte, nicht von ›Waffen‹.

      »Captain, Sie müssen ein paar Dinge tun, um mir beim nächsten Schritt zu helfen.«

      »Als da wären?«

      »Ich bin gestern Abend die Fälle durchgegangen, die wir zusammen bearbeitet haben, bin aber nicht fündig geworden. Aber wenn Sie mal wie beiläufig mit Rasmussen sprechen könnten – vielleicht hat Joe irgendjemanden erwähnt, der im Zusammenhang mit einem alten Fall wieder aufgetaucht oder auf Bewährung rausgekommen ist …«

      »Kein Problem.«

      Sie wollte nur auf Nummer Sicher gehen. Sie glaubte nicht, dass aus dieser Ecke irgendein hilfreicher Hinweis auftauchen würde. Wenn jemand auf der Bildfläche erschienen war, der es auf Cameron abgesehen hatte, dann eher im Zusammenhang mit einer seiner pragmatischen Eskapaden nach Dienstschluss.

      »Seine Ex-Frau können wir nicht befragen. Mit ihr hat er nicht mehr das Geringste zu tun, und sie gehört zum LAPD und hält vielleicht nicht den Mund.«

      »Was ist mit Freunden außerhalb der Polizei? Mit seiner Familie?«

      »Joes Familie lebt in Victorville. Ein Bruder – Jack. Seine Schwester heißt Jean. Ich habe heute früh im Internet nach Telefonnummern oder sonstigen Angaben gesucht, aber ohne Erfolg. Vielleicht findet sich etwas in Joes Personalakte.«

      »Können Sie nicht noch mehr –«

      »Captain, ich habe Joes Haus so gründlich durchsucht, wie ich es mit meinem Gewissen vereinbaren kann. Bis auf Weiteres zumindest. Ich werde es so verlassen, dass ich mir wieder Zutritt verschaffen kann, wenn es nötig sein sollte. Aber wenn es eine vernünftige Erklärung für die ganze Sache gibt … Ich bin mit Joe befreundet, und er wird mir nie –«

      »Ich verstehe«, fiel Walcott ihr kurzerhand ins Wort. »Jack, Jean«, wiederholte sie. »Ich werde die Namen durch DMV und AutoTrack laufen lassen. Bei derart verbreiteten Namen werden wir mehr als nur ein paar Treffer landen. Aber Victorville ist ja ein eher kleiner Ort.«

      »Prima. Jean ist aus Phoenix dorthin zurückgekehrt – das könnte helfen, sie aufzuspüren.«

      »Freunde?«

      »Etliche fielen weg, als seine Ehe zu Ende war. Aber es gibt einen Kumpel, mit dem er campen geht …«

      »Campen? Unser Joe?«

      Kate lächelte. »Erster Klasse, da bin ich sicher. Er liebt die Wüste. Das ist der einzige Ort, wo er je hinfährt. Death Valley, Joshua Tree.«

      »Aber doch wohl nicht um diese Jahreszeit.«

      Kate zuckte die Achseln. »Mai ist vielleicht ein bisschen spät im Jahr, aber nicht für jemanden, der die Wüste wirklich liebt. Ansonsten hängt er ziemlich viel mit anderen Cops rum, wie die meisten von uns. Von weiteren engen Freunden weiß ich nichts.«

      »Außer Ihnen selbst.«

      »Richtig.« Sie hatte nicht die leiseste Absicht, mehr zu erzählen, geschweige denn auch nur anzudeuten, dass sie überzeugt war, dass er mit Cops aus anderen Dienststellen, vielleicht von Devonshire, seine heimlichen »pragmatischen« Polizeieinsätze fortsetzte.

      Kate