Najem Wali

Soad und das Militär


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Ann Arbor. Sie sind ein Absolvent der University of Michigan in Ann Arbor, mein Freund!« Und damit zog er mehrere Papiere unter seinem Kopfkissen hervor, darunter offenbar einen Bericht mit den Informationen, die er über Simon gesammelt hatte, und bat Salim Adli vorzulesen, was darin geschrieben stand. »Ann Arbor ist eine Stadt im US-Bundesstaat Michigan. Gegründet wurde sie im Jahr 1824. Eine Theorie besagt, dass sie sehr wahrscheinlich nach den Ehefrauen der beiden Stadtgründer John Allen und Elisha Walker Rumsey benannt wurde. Was die University of Michigan betrifft, so wurde sie 1824 von Detroit nach Ann Arbor verlegt. Damit setzte im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert ein Wachstum der Stadt ein. Während der Siebziger- bis zu Beginn der Neunzigerjahre unserer heutigen Zeit gewann die Stadt große Popularität durch linke Aktivitäten, denn sie war ein Zentrum liberaler Politik und wurde schließlich wegen ihrer aktiven Rolle im Civil Rights Movement und der Studentenbewegung zu einem Kristallisationspunkt politischer Aktivitäten im Westen …« Bevor Salim Adli mit dem Verlesen des gut fünfseitigen Berichts, der wie eine Akte über Simon Syros begann, fortfahren konnte, wurde er von Si Samah unterbrochen. »Das reicht«, sagte er. Anschließend richtete er sich auf und sah Salim Adli an. »Mit diesem Bericht wollte ich unserem amerikanischen Freund nur einen Eindruck davon vermitteln, dass ich alles über ihn, seine Stadt und seine Universität weiß. Es genügt, dass sie ein Zentrum des Liberalismus ist, dieses Gifts, das uns nichts als Probleme und Zerstörung gebracht hat. Jemand wie er, ein Absolvent dieser linken oder liberalen Universität – denn das ist das Gleiche, Liberalismus und linke Politik sind Zwillinge, und für beide ist in unseren Regionen kein Platz – ist mit einem ganz anderen Ziel hergekommen, nämlich diese destruktiven Ideen hier zu verbreiten.« Nun richtete er seine Worte direkt an Simon. »Haben Sie mich verstanden?« Zur Erklärung fügte er mit derselben schwachen, aber entschlossen klingenden Stimme hinzu: »Sie sind Absolvent der University of Michigan, Institute of Advanced Studies, Branch of Middle Eastern Studies. Einigen wir uns also zunächst einmal darauf, dass Sie mit Ihrem Besuch etwas anderes bezwecken, als eine Studie über das Café El Horryia zu schreiben. Ist das richtig?« Dann schwieg er, möglicherweise, weil er auf eine Antwort von Simon wartete, vielleicht aber war die Sache für Si Samah damit, dass sie sich geeinigt hatten, auch einfach erledigt.

      Erst als Simon mir die Geschichte im Café El Horryia erzählte, fiel ihm ein, dass die Art und Weise, wie der kranke Offizier den Namen des Cafés, Horryia – Freiheit –, ausgesprochen hatte, nicht der Ironie entbehrte. Damals jedoch, vor dem auf dem breiten Sofa hingestreckten Körper, hatte Simon sich ganz den Gepflogenheiten entsprechend verhalten, er hatte den Gruß des Offiziers höflich erwidert und dabei nicht einmal vergessen, sich ägyptischer Ausdrücke zu befleißigen. »Sie sprechen Arabisch wie ein Ägypter?«, hatte der Offizier ihn daraufhin gefragt, eine Frage, die eher einer Bestätigung glich. »Ja, mein Herr«, hatte Simons Antwort gelautet.

      »Gib mir mal das Album, Mahmud!«, hatte Si Samah daraufhin Salim Adli befohlen, und das Fotoalbum auf dem Tischchen gemeint, das sich nun zwischen den beiden Männern und Simon befand, da sich Salim Adli, kaum hatte er dem Kranken das Album gereicht, auf den Rand des Sofas gesetzt hatte. Simon wusste nicht, ob er darüber lachen sollte, dass sein Begleiter mit einem Mal Mahmud hieß. Warum bloß hatte er sich in jenem Moment nicht entschuldigt, war aufgestanden und hatte gesagt, dass er gehen müsse? Reichte es ihm nicht, Salim Adlis neuen Namen zu hören? Welcher normale Mann ließ sich denn am selben Tag mit zwei verschiedenen Namen anreden? Warum hatte er dies Salim Adli damals nicht einfach ins Gesicht gesagt? Er wusste es nicht. Alles, was er wusste und woran er sich noch erinnerte, war, dass er wie betäubt auf seinem Platz sitzen geblieben war und sich den zweiten Teil von Si Samahs Rede angehört hatte. Oder auch nur einen Teil dieses Teils, denn kaum hatte Si Samah wieder das Wort ergriffen, bemerkte Simon, wie sich die Salontür ihm gegenüber leise öffnete und Iatidad in deren Rahmen erschien. Zuerst drückten nur ihre Fingerspitzen die Tür einen kleinen Spaltbreit auf, dann aber sah er, wie sie ihren Körper zur Hälfte in den Schlitz schob und ein Stück Pappe in die Höhe hielt, auf dem geschrieben stand: »Glauben Sie diesen Lügnern nicht!« Gleich darauf war sie wieder verschwunden. Simon musste grinsen. Das Ganze hatte kaum ein paar Sekunden gedauert, doch der seltsame Anblick hatte ausgereicht, ihn von dem abzulenken, was Si Samah von sich gab. Nur Fragmente, Bruchstücke, Satzfetzen, die er sich erst wieder zusammensetzen musste, waren ihm im Gedächtnis geblieben. So erfuhr er beispielsweise, dass Si Samah einer der ersten Offiziere gewesen war, die sich an dem Umsturz gegen König Faruk beteiligt hatten; dass er das Bataillon Nummer 13 angeführt hatte, dessen Kameraden größtenteils den sogenannten Freien Offizieren angehörten, welche die Bewegung vom 23. Juli 1952 ins Leben gerufen und die Monarchie abgeschafft hatten. Ein Jahr später hatte Si Samah die Leitung des Geheimdienstes übernommen. Ein Jahrzehnt lang war er dessen Chef gewesen. Für den Aufbau des ägyptischen Geheimdienstes hatte man gewaltige Finanzmittel und Erfahrungen anzapfen müssen. Noch notwendiger aber war die Bereitstellung qualifizierter Kräfte gewesen. Ihre Ausbildung war das schwierigste Problem, vor dem der neu zu erschaffende Apparat gestanden hatte. Doch Si Samahs direkte Kontakte zu den Geheimdienstchefs verschiedener Länder in aller Welt waren ihm, so sagte er stolz, eine große Hilfe gewesen.

      Das Finanzierungsproblem hatte er gelöst, indem er mit einem Grundkapital von 300.000 Ägyptischen Pfund eine Transportfirma gründete, die ihre Gewinne an den Geheimdienstapparat überwies. Als er dem Staatspräsidenten von dieser Firma berichtete, forderte dieser ihn auf, das Kapital zu erhöhen, und kam mit ihm darin überein, sich selbst mit 100.000 Pfund vom Präsidentenkonto zu beteiligen, und zwar unter der Maßgabe, dass die Armee eine weitere Summe einzahlte und die Gewinne der Gesellschaft auf alle drei Beteiligten aufgeteilt wurden.

      Von diesem Moment an waren Geheimdienst und Armee Verbündete. Der Fortbestand des einen entschied über den Fortbestand der anderen, die Macht des einen über die der anderen. Sämtliche Versuche, die beiden auseinanderzudividieren, waren gescheitert, erklärte Si Samah und erinnerte Simon zugleich daran, wer dies alles bereits versucht hatte: Israel, die Sowjets, Deutschland. Doch sie waren samt und sonders gescheitert. »Diese Lektion sollten Sie sich hinter die Ohren schreiben!«, sagte er. Ungefähr gegen Ende dieses Satzes konzentrierte sich Simon wieder stärker auf seinen Gesprächspartner. Ihm blieb auch nichts anderes übrig, denn angesichts dessen, was der Mann nun von ihm forderte, saß er plötzlich wie angewurzelt da, als wäre er mit einem Mal gelähmt. Der alte Mann sagte geradeheraus, er sei wirklich froh, Simon getroffen zu haben, und verlange von ihm nicht mehr, als das, was er ihm nun anvertrauen werde, an seine Untergebenen im amerikanischen Geheimdienst, dem CIA, weiterzuleiten. Liberalismus sei Unsinn, sollte er ihnen sagen, die Armee und die Geheimdienste in Ägypten seien die einzigen Garanten für regionale und weltweite Stabilität. Falls sie Zweifel daran hätten, sollten sie ihn nur baldmöglichst kontaktieren, dann würde er ihnen den Gedanken einer Zusammenarbeit mit dem CIA erläutern, welche die Gründung eines globalen Geheimdienstapparates mit Zentren an verschiedenen Orten der Welt beinhalte, von denen sich eines in Kairo befinden müsse. Leider habe seine Krankheit ihn arbeitsunfähig gemacht und gezwungen, sich von den Zentren der Macht fernzuhalten. Trotzdem habe er nach wie vor Männer im Apparat, die ihm vertrauten und eher für ihn als für die neue Führung arbeiteten. Ihre Loyalität ihm gegenüber bestehe seit geraumer Zeit, was auch kein Wunder sei, da er selbst sie geschult habe, und nicht nur sie, sondern auch ihre Ehefrauen. Nur gemeinsam mit ihm, erklärte er, könne der amerikanische Nachrichtendienst erfolgreich arbeiten. Diese Botschaft müsse Simon übermitteln. »Haben Sie mich verstanden?«, fragte Si Samah, eher zur Bekräftigung seiner Worte, als um sich zu erkundigen. Die Sache war erledigt, Simon Syros war ein Agent des CIA, der sich nur als Forscher ausgab.

      Simon kam dies alles ausgesprochen grotesk vor, er musste über diese verrückte, beinahe schon paranoide Vorstellung beinahe lachen. Okay, der Typ mag verrückt sein, dachte er sich dann, aber vielleicht ist er auch gefährlich.

      Auf diese Weise verlief der Abschied zwischen Simon und dem kranken Mann, der, kaum hatte er seinen Satz beendet, in tiefen Schlaf sank. Und so war es Salim Adli, der Simon dann bat, doch aufzustehen, damit sie die Villa verlassen konnten, ohne allerdings zu wissen, dass die Rede, die Si Samah eben gehalten hatte, auch seine letzte war. Am selben Tag noch wurde er ins Kairoer Militärkrankenhaus transportiert. Um seine Gesundheit war es tatsächlich äußerst schlecht bestellt. Seit gut fünfzehn Jahren hatte er, nachdem den damals erst Neunundvierzigjährigen eine Koronarembolie niedergestreckt hatte, unter dieser Krankheit