Najem Wali

Soad und das Militär


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und Anziehungskraft, und sich beim Singen weder von der Anwesenheit des Königs noch von der seines großen Gefolges aus dem Konzept bringen lasse, habe dies verdient. Und um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, wies der König seinen Sekretär an, Vater und Tochter zum königlichen Diwan zu begleiten und ihnen eine Geldsumme in Höhe von 1000 Pfund auszuhändigen.

      1000 Pfund waren zu jener Zeit sehr viel Geld. Kein Wunder, dass sie, obgleich doch für Soads Studium bestimmt, den tagtäglichen Auseinandersetzungen zwischen ihren Eltern zusätzliche Streitigkeiten hinzufügten. Für Soad selbst war der Wert dieser Summe damals schwer zu begreifen, sie erblickte in ihr eher einen Ausdruck der Bewunderung für ihren Gesang. Und dieses Selbstvertrauen wäre ihr ein Leben lang erhalten geblieben, hätte sie nicht zwei heftige Rückschläge verkraften müssen.

      Der erste war der Tatsache geschuldet, dass ihr Vater das Geld für sich behielt und die königliche Anweisung nicht in die Tat umsetzte, obwohl die Mutter ihm mehrmals angedroht hatte, zum königlichen Diwan zu gehen und sich dort über ihn zu beschweren, da er sich dem Gebot des Königs widersetzte. Den zweiten Rückschlag bildete die Scheidung ihrer Eltern. Soads Trauer über den Auszug ihres Vaters hielt jedoch nicht wirklich lange an. Dies hatte weniger damit zu tun, dass sie und ihre Schwestern zwei Jahre später, kaum dass die Eltern ihren Streit beigelegt und sich beide neu verheiratet hatten, mit ihrem Vater wieder ausgehen durften, nein, es war der glücklichen Fügung geschuldet, dass gerade diese Trennung ihr, Soad, dank des zweiten Ehemanns ihrer Mutter, Professor Abd al-Mazhar Hafiz, einem Schulrat im Erziehungs- und Bildungsministerium, der von nun an ihre Ausbildung übernahm, die Möglichkeit zum Lernen bot. Er beschaffte ihr den Lernstoff für die Primarschule. Zugleich begann ihre ältere Schwester Samira, die später eine berühmte Künstlerin werden sollte, sie mit den Grundlagen der Malerei vertraut zu machen, während deren Ehemann, der sie bereits zuvor in den Kinderchor aufgenommen hatte, für die Fundamente einer Musik- und Gesangsausbildung sorgte.

      Alles deutete damals darauf hin, dass ihr das Glück zur Seite stand. Von nun an lachte das Leben sie an!

      5

      WER VERSTEHEN WILL, warum so viele Ausländer nach Kairo kommen, wer sich einen ersten Eindruck von ihnen verschaffen möchte, von ihrem Leben und ihrem Tun fern ihrer Heimat und ihrer Angehörigen, braucht nur das Café El Horryia am Maidan Falaki in Bab al-Louk aufzusuchen. Dieses Café, wo tagsüber Tee und Kaffee serviert werden, verwandelt sich abends in eine Bar, die hauptsächlich Bier ausschenkt, meist die in Ägypten hergestellte Marke Stella. Und weil ein halber Liter davon nur elf ägyptische Pfund kostet, also gerade mal fünfzig Cent, wimmelt es dort bis in die späten Nachtstunden von jungen Leuten. Sie stammen von überall her, kommen aus allen erdenklichen Ländern der Welt. Und jeder von ihnen hat seine eigenen Gründe, die ihn nach Kairo geführt haben. Was für den einen gilt, trifft nicht automatisch auf die anderen zu. Die jungen Spanier beispielsweise sind zumeist Bauingenieure, haben ihr Studium an einer Universität ihrer Heimat absolviert, anschließend aber keine Arbeit gefunden. Auf dem Höhepunkt des Immobilienbooms in den Neunzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts konnten sich die meisten Familien dort für ihre Kinder nichts Besseres vorstellen als ein Studium des Bauingenieurwesens. Und eines Tages wachten diese Kinder auf und mussten feststellen, dass der Boom in dem Berufsfeld, das sie sich ausgesucht hatten, in Wirklichkeit eine Blase war. Einige von ihnen brachen daraufhin ins europäische Ausland auf, während es andere, und zwar nicht wenige, in den Orient zog, zum Beispiel nach Kairo. Dort trifft man sie allabendlich in großer Zahl, gemeinsam mit ihren italienischen und portugiesischen Schicksalsgenossen, Bier trinkend in besagtem Café. Hinzu kommt eine Gruppe vornehmlich junger Frauen, die hergekommen sind, um ein orientalisches Musikinstrument wie Ud, Kanun oder Santur zu erlernen. Wer die jungen Leute dort so laut und begeistert reden hört, wer ihr Lachen vernimmt, das mit dem Zigarettenrauch in die Luft steigt, wird voller Neid sagen: »Was sind das für glückliche Menschen!« Als hätten sie diesen Ort nur erwählt, um sich frei zu fühlen. Es gibt wohl keine größere Freiheit als die, fern seiner Heimat und Familie zu leben, wo selbst die Sprache, die man spricht, von niemandem ringsum verstanden wird. Der Besitzer des Cafés hatte genau darauf gesetzt und diesen Eindruck vermitteln wollen. Er hatte Bretter vor die Fensterscheiben genagelt, um das, was nachts dort im Inneren vor sich geht, vor den Augen der Passanten zu verbergen, beziehungsweise, um seinen Gästen das Gefühl zu vermitteln, sie befänden sich auf einer entlegenen, weltentrückten Insel oder in einer nur für sie bestimmten Oase der Freiheit. Wer sie reden hört, kann feststellen, dass sich ihre Gespräche um alles Mögliche drehen, nur nicht um die Situation in Kairo und Ägypten.

      Ihr Leben vollzieht sich ausschließlich in Bab al-Louk oder an den nahegelegenen Maidans, Talaat Harb und Tahrir, während sie von den Projekten träumen, die sie hier verwirklichen wollen.

      Und hatte es sich bei Simon nicht ebenso verhalten?

      Ich kannte dieses Café von früheren Reisen, meine Besuche dort ließen sich aber an den Fingern einer Hand abzählen. Und sie hatten immer nur tagsüber stattgefunden, wenn ich im nahegelegenen Restaurant Nile auf der anderen Seite des Platzes Fisch gegessen hatte. Hätte Simon mir nicht vorgeschlagen, uns in diesem Café zu treffen, wäre ich gar nicht erst auf den Gedanken gekommen, dass irgendetwas daran für mich interessant oder bedeutsam hätte sein können. Zwar war es nur einer von mehreren Orten, an denen wir uns unterhalten sollten (immer auf Simons Vorschlag hin), doch das Café war unser erster Treffpunkt, und er hatte es, wie er mir versicherte, nicht zufällig gewählt. Vielmehr handelte es sich um jenes Café, das er vor Jahren bei seiner Ankunft in Kairo als erstes aufgesucht hatte. Allerdings war es damals wohl noch nicht so voll gewesen wie in jüngster Zeit, weshalb ich auch regelrecht Mühe hatte, ihn zu finden. Was nicht etwa daran lag, dass er diesmal einen schwarzen Anzug, Hut und eine dunkle Brille trug – tatsächlich war sein Aufzug dazu angetan, alle Blicke auf sich zu ziehen, obgleich er wohl gedacht haben musste, sich auf diese Weise unkenntlich zu machen –, nein, ich konnte ihn deshalb so schwer ausmachen, weil er in einer abgelegenen Ecke ganz hinten im Café saß. Er war schon vor mir eingetroffen und hatte bereits im Voraus ein paar Flaschen Bier geordert, die er auf dem Tisch bereitgestellt hatte, um nicht später auf den Kellner warten zu müssen, der angesichts der Vielzahl an Gästen, die etwas von ihm wollten, seine Schwierigkeiten hatte, alle Wünsche zügig zu erfüllen. Außerdem wollte Simon verhindern, dass wir von jemandem unterbrochen wurden. Dass das Bier nicht kühl bliebe, sei nicht weiter schlimm, meinte er und griff nach einer Flasche, warmes Bier sei schließlich gesund.

      »Auf deine Entscheidung«, sagte er, während wir anstießen, »Du hast mich also nicht enttäuscht, sondern bist geblieben. Genauso kenne ich dich! Danke dir!«

      »Der Dank gebührt dir«, erwiderte ich freundlich, »ich bin sehr neugierig, was auf mich zukommt. Auf jeden Fall bleiben wir optimistisch«.

      Nachdem wir einen Schluck getrunken hatten, erklärte ich – vielleicht, um ins Gespräch zu kommen, einer von uns musste ja schließlich den Anfang machen –, dass ich nie auf die Idee gekommen wäre, ihn an irgendeinem öffentlichen Ort zu treffen, da dies für ihn ja gefährlich sein könnte. Er lächelte, bedankte sich, dass ich mir solche Sorgen machte, und gab mir zu verstehen, es sei ihm vor allem um die Schriftstücke gegangen. »Und da die jetzt bei dir in Sicherheit sind, ist mir alles andere egal.« Für ihn bleibe nun nichts weiter zu tun, als ein wenig Vorsicht walten zu lassen. »Den Rest überlassen wir dem Zufall.«

      Dann forderte er mich auf, ihm gut zuzuhören, da er nun noch einige über die Hefte hinausgehende Dinge ansprechen wolle. Vor allem aber, bat er eindringlich, dürfe niemand hier den Namen der Verfasserin mitbekommen. »Du weißt, wen ich meine«, setzte er nach einer kleinen Pause hinzu.

      »Ich habe bis jetzt nur die ersten beiden Hefte gelesen«, erklärte ich und sagte mit einem Lächeln: »Siehst du, einmal habe ich meinen Aufenthalt wegen Kismet um ein Jahr verlängert, und jetzt weiß ich nicht einmal, wie lange ich bleibe. Und beide Male wegen einer Frau. Cheers!« Ich hob meine Bierflasche.

      »Ich verstehe«, sagte er, »du hast also bis jetzt erst zwei der Hefte gelesen. Doch was ich dir nun erzählen werde, wird dich bestimmt dazu bringen weiterzulesen.«

      Der Beginn seiner Geschichte, erklärte er, liege in ferner Vergangenheit,