Najem Wali

Soad und das Militär


Скачать книгу

und wie sich diese von der zeitgenössischen unterschied.

      Dank der Zuarbeit dieser alten ägyptischen Militärs erwarb sich der junge Simon Syros, der in seiner Energie und Neugier keinen Deut nachließ und keine Langeweile kannte, mit seinen Besuchen im Café El Horryia schon nach drei Monaten eine Fülle an Informationen. Er brauchte die Männer nur an vergangene Zeiten zu erinnern, schon begannen sie begeistert zu erzählen.

      Binnen kurzem war Simons Name im Café in aller Munde: »Der Amerikaner, der fließend Arabisch spricht, sogar ägyptischen Dialekt, und die Erinnerungen des Cafés aufschreibt«, so nannte man ihn dort. Manch einer war sogar, noch ehe Simon sich an ihn gewandt hatte, von sich aus auf ihn zugekommen und hatte ihm Vorwürfe gemacht: Warum er sich nicht zuerst an ihn gewandt habe? Er habe einen ganzen Vorrat an Geschichten, Simon hätte viel zu verlieren, wenn er nichts davon erführe! Damit hatte Simon nicht gerechnet. Einer der Gäste des Cafés, ein Mann, der auf den ersten Blick wie Anfang dreißig wirkte, tatsächlich aber, wie Simon später herausfand, Mitte, Ende vierzig gewesen sein musste – er war allemal eine elegante Erscheinung und trug eine dunkle Sonnenbrille –, saß immer allein in einer Ecke und beobachtete Simon bei allem, was er tat. Simon, dem dies aufgefallen war, entschied zu warten, ob nicht auch dieser Mann sich ihm eines Tages vorstellen würde.

      Es musste am ersten März gewesen sein, einem relativ milden Tag – allerdings war gerade der Chamsin-Wind aufgekommen und hatte Sand und Staub mit sich geführt. Simon konnte sich noch so gut an jenen Tag erinnern, da er nicht wie üblich am Eingang des Cafés gesessen, sondern einen Platz in einer weiter hinten liegenden Ecke eingenommen hatte, genau an jener Stelle, die er nun auch für unser Gespräch gewählt hatte. Plötzlich war der elegante Mann auf ihn zugekommen und hatte sich ihm als Salim Adli vorgestellt. Simon musste immer lachen, wenn er an diesen Namen dachte, ausgerechnet Salim in Kombination mit Adli, war doch dieser Mann alles andere als salim – untadelig – oder adil – gerecht. Bis er den wirklichen Namen des Mannes erfuhr, sollte noch viel Zeit vergehen, in der die beiden einander mehrmals sahen, was am Ende zu einer gewissen Vertrautheit zwischen ihnen führte. An jenem Tag im März jedoch hatte er nicht einen Moment an dem Namen gezweifelt. Es war ja auch einerlei, ob er nun Salim oder Fathi hieß, Izzat oder Mahmud – lauter Namen, die ihm dieser Mann später genannt hatte, zum Spaß oder unter den heiligsten Schwüren, die Wahrheit zu sagen. Welche Namen auch immer Simon von ihm hörte, spielt letztlich keine Rolle: Der Mann blieb für ihn, selbst als sein richtiger Name und seine Identität ans Tageslicht gekommen waren, doch immer nur Salim Adli.

      Er arbeitete, wie er Simon erklärte, in einem Filmunternehmen. Er sei auf Simon aufmerksam geworden und fragte sich, was dieser junge Amerikaner wohl von all den pensionierten Soldaten in Kairo wollte. Mit einem Augenzwinkern bat er Simon, nicht zu glauben, dass ihm sein Tun verdächtig vorkomme oder er ihn etwa der Spionage bezichtige, um Gottes willen, nein, schließlich sei Kairo, und darauf sei er stolz, ein Attraktionspunkt für Studierende von nah und fern. »Nehmen Sie sich allerdings in Acht!«, sagte Salim Adli noch und sah Simon dabei an, als wollte er die Wirkung seiner Worte auf dessen Mienenspiel studieren, während er ihn gleichzeitig am Arm packte und ihm versicherte: »Ich möchte Ihnen schließlich helfen!« Das allerdings nur, wenn er, Simon, seine Hilfe auch wirklich wünsche, fügte er gleich noch hinzu, ohne eine Antwort abzuwarten. Anschließend erklärte er, dass es ihm nur darum gehe, Simon mit einem bedeutenden Offizier bekannt zu machen, der damals etwa zweiundsechzig Jahre alt war und lange in der Armee gedient hatte, bis ihm das Schicksal einen Streich gespielt hatte. »Eine Prüfung Gottes«, sagte Salim Adli in einem deutlich bekümmerten Tonfall. »Denn der Herr ist krank.« Er sei ans Bett gefesselt, erfuhr Simon nun, weshalb er ihn auch nicht im Café antreffen könne. Salim Adli jedoch war bereit, ihn zu ihm bringen, und war sich sicher, dass der ehemalige Offizier Simon bei all seinen Forschungen nützlich sein könnte.

      Damals, am ersten März jenes Jahres, war Simon mitnichten bewusst, dass er im Begriff war, einen enormen Fehler zu begehen, als er Salim Adlis Vorschlag, den kranken Offizier zu besuchen, annahm. Im Nachhinein betrachtet aber bewies jeder einzelne Augenblick jenes Tages, wie begriffsstutzig er doch gewesen war: zunächst der Augenblick, als er sich von seinem Platz erhob, dann derjenige, als er das Café verließ und schließlich der darauf folgende, als er »mit diesem Salim Adli« in einen großen Mercedes stieg. Und ebenso die Minuten, die er unterwegs mit diesem Mann verplauderte, der sich nicht scheute, sich nach einer so kurzen Bekanntschaft als sein neuer Freund zu bezeichnen; dann der Augenblick ihrer Ankunft vor dem Haus des kranken Offiziers, den kennenzulernen Simon so neugierig war, dann der danach, als Salim Adli, ohne zu läuten, vor Simon das Haus betrat, anschließend derjenige, als Simon Salim ins Haus folgte, und schließlich jener letzte Augenblick, als die Gattin des Offiziers, eine schöne, kräftig gebaute, hochgewachsene Frau mit blondem Haar, die beiden in einem nachthemdartigen Hauskleid und mit finsterem Gesichtsausdruck im Salon begrüßte. Iatidad lautete ihr Name, wie Simon sich erinnerte. Sie wirkte, als wäre sie schockiert, die beiden zu sehen, genauer, Salim Adli zu sehen. Denn kaum war ihr Blick auf Simon gefallen, der hinter dem größeren Salim Adli verdeckt gestanden hatte wie dessen Schatten oder Diener, hatte sie ihn angelächelt. Simon erinnerte sich noch, wie sie auf ihn zugekommen war und ihn zunächst auf Englisch willkommen geheißen hatte. »Sorry, excuse me!«, hatte sie dann noch gesagt. Als Simon ihr jedoch auf Arabisch antwortete, sprach sie in ägyptischem Dialekt weiter. Ihre Entschuldigung bezog sich auf die Hauskleidung, die sie trug. »Ihr Besuch kommt sehr überraschend«, hatte sie leicht irritiert gesagt und noch hinzugefügt, dass es mit Si Samahs Gesundheit – auf diese Weise hatte Simon auch den Namen des Offiziers erfahren – seit den frühen Morgenstunden immer weiter bergab gegangen sei. Eben erst habe sie den diensthabenden Militärarzt angerufen, damit er ihn ins Krankenhaus einweise oder herkomme, um ihn zu behandeln. Sie wisse nicht, ob Si Samah überhaupt zu einem Gespräch in der Lage sei. Jedenfalls erinnerte sich Simon, dass sich der Gesichtsausdruck dieser Frau sekündlich veränderte, sobald sie den anderen anblickte, der wiederum seinerseits keinerlei Mühe darauf verwendete, seine verächtlichen Blicke zu verhehlen. Warum war Simon nicht wenigstens in jenem Moment auf die Idee gekommen, dass da etwas nicht stimmte? Als sie schließlich – Salim und er, denn die Frau ging nicht mit hinein – zu dem kranken, bettlägerigen Offizier ins Zimmer traten und sich die Salontür hinter ihnen schloss, fand er sich einem vollkommen zusammengesunkenen Mann gegenüber, der kaum in der Lage war zu sprechen, einem Mann, der so hinfällig wirkte, als hätte er kürzlich erst eine Embolie, einen Schlaganfall, einen Herzinfarkt oder einen Nervenzusammenbruch erlitten und würde nur noch von seiner Neugier auf Simon Syros am Leben erhalten. Und das war es dann auch, was ihm Si Samah nun erklärte, der jedes einzelne Wort schwer atmend hervorpresste. Er habe Simons Kommen inständig herbeigesehnt, sagte er, und schließlich notgedrungen Salim Adli befohlen, ihn herzubringen. Dann also war es gar nicht so, wie Salim Adli es erzählte, dachte Simon damals im Stillen. Bei allem, was Salim Adli nun tat, wirkte er wie ein Untergebener Si Samahs, auch wenn man dies aus ihrem Äußeren nicht unbedingt schließen konnte: Si Samah hatte einen dunklen Teint, Salim dagegen war hellhäutig, Si Samah war klein, vielleicht nicht größer als einen Meter sechzig, und mager, während Salim groß und kräftig war. Trotzdem verhielt sich Salim, als wäre er Si Samah unterstellt und handele nur auf dessen Anweisung. Besser gesagt, es war eine sonderbare Beziehung, die über die Beziehung zwischen Vorgesetztem und Untergebenem, Herrn und Diener hinausging. Den Kopf stets gesenkt, den Blick auf Si Samah gerichtet, hatte Salim kein einziges Wort mehr gesagt, nachdem Si Samah zu sprechen begonnen hatte. Dieser redete, als hielte er eine lange Ansprache, sozusagen ein Abschiedswort an die Welt, als wüsste er, dass seine Tage gezählt seien. Er sagte sogar, er habe darauf bestanden, dass Simon Syros an jenem Tag zu ihm nach Hause kommen sollte, bevor es zu spät wäre. »Wie Sie sehen, schwinden meine Kräfte«, sagte er. »Und bevor sie mich gänzlich verlassen und ich nicht mehr sprechen kann, wollte ich Ihnen noch zu Ohren kommen lassen, was gesagt werden muss.« Er versank fast in dem dicken Sofa, auf dem er lag, und war mit einer Bettdecke zugedeckt, die die gleichen Streifen trug wie sein Pyjama, von dem nur der oberste Teil zu sehen war. Beides wirkte wie Requisiten aus einem Gefängnisfilm. Trotzdem bestand der Mann darauf, seine Rede zu halten.

      Nachdem er Simon begrüßt hatte, erklärte er, er wisse alles über ihn. Anders als Simon selbst von sich oder andere von ihm behaupteten, sei er mitnichten ein Amerikaner, der die Geschichte des Cafés El Horryia niederschreibe. »Blödsinn! Lassen Sie