Najem Wali

Soad und das Militär


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auf die im Park errichtete große Bühne blickte, auf der sich die Sänger und Sängerinnen nacheinander die Ehre gaben, könnte sich durch Soads Lied provoziert fühlen. Zumal alle anderen Chorkinder Loblieder auf den König vorgetragen hatten, den auch die erwachsenen Sänger und Sängerinnen hochleben ließen. Allein Soad besang nicht den Monarchen, und auch nicht ihr Heimatland Ägypten, nein, sie besang sich selbst. Und so blieb Onkel Bascharu, der zugleich ein wichtiger Inspektor im Erziehungsund Bildungsministerium war, nichts anderes übrig, als auf das Ende ihres Auftritts zu warten, um ihr dann, ob der peinlichen Lage, in die sie ihn versetzt hatte, einen Verweis zu erteilen. Er hatte sogar schon vorwurfsvolle Blicke mit dem Bildungsminister gewechselt, der nahe dem König seinen Platz eingenommen hatte. Als er dann auch noch mitansehen musste, wie der König sich an seinen Minister wandte und ihm etwas ins Ohr flüsterte, meinte Onkel Bascharu, das Problem sei nun offenkundig, und dachte schon darüber nach, das Mädchen von der Bühne zu zerren. Als er aber den König, kaum hatte die Kleine ihr Liedchen beendet, lächeln, ja, applaudieren und sie sogar auffordern sah, ihren Vortrag noch einmal zu wiederholen, atmete er auf und spürte erleichtert, dass seine Nerven ihm wieder gehorchten.

      Um des Tages Herrlichkeit vollkommen zu machen, lud der König den Kinderchor samt seiner Aufseher ein, zu bleiben und am Gastmahl teilzunehmen, das im Anschluss vom Palast veranstaltet wurde. Man hatte im Park des Schlosses eine lange Tafel errichtet, auf der mit verschiedensten Speisen gefüllte Schüsseln standen, Reis und Fleisch waren angerichtet worden, aber auch Äpfel, Orangen, Bananen, Ananas, Trauben und Erdbeeren, zudem wurden mehrere verschiedene Kuchen aufgetischt, die meist mit Schokolade überzogen oder mit Nüssen und Pistazien gespickt waren, es wurden allerlei Getränke gereicht, vor allem der von Soad so sehr geliebte Guavensaft. Die Gäste hatten mit dem Essen zu warten, bis der Zeremonienmeister des königlichen Palastes ihnen ein Zeichen gab, und dieser wiederum wartete ab, bis am Kopfende der langen Haupttafel, die sich durch die Parkmitte zog, der König selbst Platz genommen hatte. Soad hatte eigentlich gar keinen Appetit, und hätte ihr Vater, der sie an diesem Tag begleitet hatte, sie nicht an die Hand genommen und gesagt: »Setzen wir uns hier ans Tischende!« – also genau dem König gegenüber, in die Nähe des Parkeingangs –, sie hätte niemals damit gerechnet, dass sie tatsächlich bleiben würde. Sie wollte auch nichts von der mit Schüsseln überladenen Tafel nehmen, außer einem Glas Guavensaft. Und sie hatte keine Ahnung, warum der König sich von einem Diener zeigen ließ, wo sie saß. Sie beobachtete, wie er anschließend den Zeremonienmeister herbeiwinkte, ihm etwas ins Ohr flüsterte und dabei in ihre Richtung wies. Kurze Zeit später erschien dieser vor ihr und ihrem Vater und erklärte feierlich: »Der König wünscht, dass Sie neben ihm Platz nehmen.« Für Soad war dies alles sehr aufregend, für ihren Vater jedoch war es ein riesiger Triumph. Für ihn, den bis dahin einfachen Bürger, war es eine außerordentliche Ehre, vom König zum Tischnachbarn erkoren worden zu sein.

      Als die beiden nun dem Monarchen gegenüberstanden, grüßte der Vater diesen mit einer respektvollen Verbeugung. Doch wie sehr überraschte es ihn, als der König ihm und seiner Tochter jeweils einen Teller mit besonderen Speisen zusammenstellen und servieren ließ: Seefisch und Hummer, das Lieblingsgericht des Königs, wie Soad später erfahren sollte, dazu Platten mit verschiedenen Früchten und diversen, ihr völlig unbekannten Süßigkeiten. Der Vater dankte dem König und berichtete ihm auf dessen Aufforderung hin, doch ein wenig von sich zu erzählen, von seinem Leben und seiner Arbeit. Und so erzählte Soads Vater, was für ein großer Damaszener Kalligraf er sei, bekannt für seinen stark reformerischen Stil, der sich durch ganz besondere Buchstabenligaturen auszeichnete. In Damaskus hatte er auch seinen ersten Unterricht erhalten. Von Jugend an liebte er die Kalligrafie und hatte zunächst Schriften von Künstlern imitiert, die zu jener Zeit berühmt waren. Dann war er beim großen Kalligrafen Yusuf Rasa in die Lehre gegangen, der vom osmanischen Sultan Abdülhamit nach Damaskus entsandt worden war, um bei der Restaurierung der dortigen Umayyadenmoschee die Kalligrafien anzufertigen. Der König stellte ein paar Fragen, und so fühlte Soads Vater sich ermutigt, weiter auszuholen: Er stammte ursprünglich aus Syrien, war aber vor sechsunddreißig Jahren, zwei Jahre vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs, nach Ägypten ausgewandert und sein Leben lang Kalligraf gewesen. Sein jugendliches Alter hatte es ihm damals ermöglicht, zwischen verschiedenen Steindruckereien zu pendeln, um dort die jeweils benötigten Kalligrafien zu malen. Er arbeitete immer sehr schnell. »Und als Gott sich mir gewogen zeigte«, erklärte er dem König, habe er sich ein Haus im Khan al-Khalili gekauft, wo er dann auch seiner Tätigkeit nachgegangen sei, bis er nach ungefähr zehn Jahren ein eigenes Büro samt Werkstatt für Stiche und Heliogravüren eröffnet habe. Auf diese Weise ließ er sich vor dem König aus in der Annahme, dieser höre ihm auch zu. Der König aber wandte sich an Soad, strich ihr übers Haar und erklärte ihr, sie werde später einmal ein großer Star sein. Man werde ihre Lieder überall singen, alle Herzen würden ihr zufliegen und die Menschen sich vor ihr verneigen. Vielleicht verstand Soad die Worte des Königs nicht, vielleicht kam ihr das Ganze auch eher wie ein Zirkus vor. Ihr Vater jedoch errötete, als hätte er in seiner Tochter plötzlich eine Rivalin erkannt. Der König bewunderte sie. Dabei hatte sie nichts weiter getan, als zu singen, was ihr Freude bereitete. Nachdem Onkel Bascharu den Kindern tags zuvor erklärt hatte, sie sollten am Schamm-al-Nasim-Fest im königlichen Garten teilnehmen, hatte sie über ein angemessenes Lied nachgedacht. Die Nacht über hatte sie kaum ein Auge zugetan. Mehrmals war sie kurz eingeschlafen, gleich darauf aber wieder aufgewacht, bis schließlich ihre Mutter sie besorgt zum Schlafen drängte. »Du sollst morgen singen, da darfst du nicht so lange wachbleiben!« Bevor sie schließlich der Mutter gehorchte und sich wieder schlafen legte, fragte sie, ob sie vor Publikum sagen dürfe, dass sie hübsch sei, schöner als der Vollmond. Als ihr die Mutter mit einem Lächeln zur Antwort gab, damit habe sie doch ganz recht, sie sei tatsächlich schöner als der Mond, wusste Soad, was sie auf dem Fest singen würde.

      Bis zum Ende ihres Auftritts an jenem sonnigen Frühlingstag hatte sie allerdings nicht damit gerechnet, den König so zu beeindrucken. In ihrem zarten Alter hatte sie zwar noch kein wirklich klares Bild davon, was es bedeutete, König zu sein, doch in einer Sache war sie sicher: Der junge, erst acht- undzwanzigjährige Monarch hatte auf sie bekümmert gewirkt. Nach der Feier, während einer Unterhaltung zwischen ihrem Vater und dem Chorleiter Onkel Bascharu, erfuhr sie, dass dieser Kummer wohl dem Tod einer damals sehr bekannten Gesangsdiva geschuldet sein musste, die bei einem Autounfall ums Leben gekommen war. Zwar lag dieser Unfall zum Zeitpunkt der Schamm-al-Nasim-Festivitäten in den königlichen Gärten schon drei Jahre zurück, doch die Leute redeten noch immer über die Sängerin und darüber, was ihr Tod für das Leben des Königs bedeutete. Gerüchte wollten, dass im königlichen Palast Differenzen herrschten. Die Königin sei nicht glücklich, und der König habe, kaum dass er vom Tod der Sängerin erfahren hatte, kein Auge mehr zugetan. Von ihrer Mutter und deren Schwestern, die genau jene damals gängigen Ansichten vertraten, hörte Soad später auch von einer Liebschaft zwischen dem jungen König und der Sängerin.

      Diese Dinge blieben ihr im Gedächtnis, genau wie Onkel Bascharus Frage an ihren Vater: »Haben Sie gesehen, welche Unmenge Essen der König auf seinen Teller geladen hatte? Allein an jenem Abend«, fuhr er fort, »hat der König ein Dutzend Austern, einige Langusten, zwei Scheiben Kalbfleisch mit Bratkartoffeln und jede Menge mit Marmelade und Früchten gefüllter Kuchen gegessen. Und das soll sein übliches Leibgericht sein! Eine Form von Selbstmord, möchte man meinen!« – »Vorsicht, bitte, sagen Sie das nicht laut«, hatte ihm Soads Vater daraufhin erwidert. Nach jenem Tag in den königlichen Gärten jedoch hatte sie nur ein Bild vom König vor Augen: Wie freundlich er mit ihr gesprochen, wie liebenswürdig er sich von ihr verabschiedet und dass er ihr viel Erfolg für ihr künftiges Leben gewünscht hatte. Anschließend hatte er noch ihren Vater, als habe er geahnt, was in dessen Kopf vorging, zu sich herangezogen und ihm coram publico eine kleine Rede gehalten, mit der er klarstellte, dass ihm sehr wohl bewusst sei, wie ungern es in vielen ägyptischen Familien gesehen werde, wenn eine Frau ein Studium aufnehme und dass man ihr dies sogar häufig verweigere, weil man Angst um sie habe, wenn sie Umgang mit Fremden pflege. Und dann hatte er noch gemahnt: Falls Soads Vater dies bei ihren älteren Schwestern auch so handhaben sollte, müsse er bei diesem kleinen Mädchen aber unbedingt eine Ausnahme machen. »Sie muss lernen!« Und zwar nicht nur den üblichen schulischen Lernstoff, nein, sie müsse vor allem Musik studieren. Und falls es ihm, dem Vater an Geld mangele – er, der König, sei bereit, für die Ausbildung dieses Mädchens