Dana Schwarz-Haderek

Equinox


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8

      Wir verbrachten den ganzen Tag am Damm. Die glücklich unbeschwerte Stimmung der ersten Stunden vor Roberts desaströser Ankündigung, acht Wochen über tausend Kilometer von mir getrennt sein zu müssen, kehrte jedoch nicht zurück. Und das auch noch ab übermorgen. Es war ja nicht einmal genug Zeit, um diese Nachricht überhaupt zu verdauen. Wie sollte ich diese langen Tage ohne Robert nur überstehen?

      Wir genossen den vielleicht letzten warmen sonnigen Oktobernachmittag so gut es ging, packten irgendwann unsere Sachen ein und fuhren zurück. Mit einem Mal schien die Zeit wieder in einem Rennen gegen uns zu sein und verrann unaufhörlich, unerbittlich.

      Robert parkte das Motorrad vor meiner Tür und schaute mich fragend an, als wir abgestiegen waren.

      »Kommst du mit hoch?«, fragte ich ihn mit hundert wild flatternden Schmetterlingen im Bauch und wusste plötzlich selbst nicht genau, wie ernst ich diese Einladung meinte.

      »Möchtest du das?«, fragte Robert mit rauer Stimme.

      »Ja«, antwortete ich knapp und hatte ein beklemmendes Gefühl im Magen. Sei kein Feigling, sagte ich mir. Du bist einundzwanzig und deiner Zeit sowieso in mancherlei Dingen weit hinterher. Aber das machte mir auch nicht mehr Mut.

      Robert schien zu spüren, dass mir nicht ganz wohl war. Auf dem Weg die Treppe hinauf blieb er plötzlich stehen, fasste mich an den Schultern und sah mir eindringlich in die Augen. »Elisabeth, ich möchte, dass du weißt, dass wir nichts tun müssen, nur weil wir bald schon wieder für lange Zeit getrennt sein werden. Wir lassen es einfach so weiterlaufen, als gäbe es diese acht Wochen nicht. Einverstanden?«

      Erleichtert schaute ich ihn an. Mein Magen fühlte sich wieder normal an und ich erwiderte, wie von einer Last befreit: »Einverstanden! … danke!«

      Oben in unserer kleinen Wohnung angekommen erklärte ich in mein Zimmer eintretend: »Ich wohne hier ja nicht allein, wie du weißt. Kristin, meine Cousine ist aber gerade in Halle und kommt erst morgen Abend zurück. Wir sind also allein. Willkommen in unserem kleinen Reich!«

      Robert schaute sich vorsichtig in meinem Zimmer um. Vor dem Bücherregal blieb er stehen und ging die aufgestellten Bücher mit der Fingerspitze ab.

      »Du liest ziemlich vielseitig«, meinte er anerkennend. »Und was hast du da?«, er deutete auf ein aufgeschlagenes Buch auf meinem Schreibtisch.

      »Oh, das ist für die Uni. Nathaniel Hawthorne. Sehr symbollastig, aber es gefällt mir, wenn nicht alles gleich so offensichtlich ist.«

      »Das habe ich schon gemerkt, dass du das Offensichtliche dem Verborgenen nicht vorziehst.« lächelte Robert wissend. Was er damit wohl sagen wollte?

      Er strich mir behutsam eine Haarsträhne hinters Ohr und küsste mich vorsichtig. Mir entzog es sofort wieder den Boden unter den Füßen und ich schwankte leicht. Robert umfasste mich. »Hoppla«, sagte er schmunzelnd und küsste mich noch einmal, dieses Mal jedoch mit einer mir noch unbekannten Leidenschaft. Seine Lippen saugten sanft an meiner Unterlippe und plötzlich spürte ich, wie seine Zunge sacht meine Lippen teilte und verspielt forschend auf meine Zunge traf. Mein Herz verhaspelte sich fast in seinem Takt, so schnell schlug es. Wir atmeten beide so schwer, als wären wir am Rande unserer körperlichen Belastbarkeit. Seine Lippen zu kosten war gleichzeitig unendlich süß und schmerzlich. Als würde man von einer seltenen Süßigkeit kosten und wüsste genau, man würde sich ein Leben lang danach verzehren, immer mehr davon zu bekommen. Ich konnte all diese verwirrenden, überwältigenden Empfindungen, die mich durchströmten, kaum einordnen, überließ mich ihnen aber zu gern und ließ mich von diesem Kuss einfach durch die Zeit tragen. Dieser Moment musste ewig anhalten, wünschte ich mir.

       Und irgendwo in weiter Ferne begann es zu ticken, wie eine unerbittliche Erinnerung daran, dass alles endlich ist.

      Ich schob Robert unwillig über die Störung ein kleines Stück von mir. Noch völlig außer Atem runzelte ich die Stirn und sagte: »Ich weiß nicht, ob ich auf einmal paranoid bin, aber ich habe schon wieder eine Uhr ticken gehört.«

      »Ja, mir war es auch, als hätte ich etwas gehört. Hast du einen Wecker hier stehen?«, antwortete er ebenfalls schwer atmend und sah sich halbherzig um.

      »Ich meine keine Uhr hier aus dem Raum. Und ja, ich habe einen Wecker. Aber der ist digital und kann nicht ticken!«

      Irgendwie war ich nun leicht verärgert. Merkte er nicht auch, dass es sehr seltsam war, schon wieder ein Ticken zu vernehmen, wenn wir uns näher kamen? Ich würde die Sache jedenfalls im Auge beziehungsweise im Ohr behalten. Das war doch nicht normal!

      Robert schien dagegen nicht so verwundert wie ich. Er strich mir über die Stirn und sagte amüsiert: »Nun runzle die Stirn mal nicht so, als würdest du dir Sorgen über irgendein Geräusch machen. Wer weiß, was wir beide zufällig gehört haben, aber es hängt sicher nicht damit zusammen, dass wir uns geküsst haben. Und außerdem, ich kenne den Rest deiner Wohnung noch gar nicht …«

      Ich war zwar noch immer skeptisch, aber ließ mich gern ablenken.

      »Na, dann komm mal mit. Es gibt noch Kristins Zimmer, da gehen wir also nicht hinein und dann noch ein kleines Bad. Mir nach!«, sagte ich zog ihn an der Hand hinter mir her ins Bad, das so winzig war, dass zwei erwachsene Leute schon Mühe hatten, sich gemeinsam darin zu bewegen.

      »Oh, das ist ja eher ein Aquarium«, lachte Robert sichtlich amüsiert. »Vor allem mit dem ganzen Fisch- und Muschelkram, für den ihr noch Platz gefunden habt.«

      »Nichts gegen unser Spa!«, murmelte ich verlegen. Wir hatten ein Netz unter die Decke gehängt, in dem sich die Schätze vergangener Ferientage an unterschiedlichen Meeren sowie einige Holzdekofische tummelten. Ein Mädchenbad eben. Es war ja schließlich auch eine Mädchenwohnung. Ich wusste gar nicht so recht, was Robert daran so lustig fand und schaute ihn leicht trotzig an.

      »Ich mag es, wenn du verärgert bist«, erklärte er mir mit einem entwaffnenden Lächeln und durchbrach mit einem betont intensiven Blick aus seinen Smaragdaugen meinen Groll, der bei diesem Anblick sprichwörtlich verrauchte.

      »Sind wir vorhin nicht vom Hausflur direkt in einer Küche gelandet?«, fragte er.

      »Ja«, sagte ich mit einem Blick auf die Uhr. »Dahin könnten wir eigentlich auch zurückgehen. Was hältst du davon, wenn wir uns etwas kochen? Der Tag ist schon wieder so gut wie um. Irgendwie finde ich, dass der Tag mit dir nur halb so lang ist …«

      »Hahaha«, Robert lachte nun laut. »Da habe ich ja immenses Glück, dass er nicht doppelt so lang ist. Das würde mir nämlich kein besonders gutes Zeugnis über meinen Unterhaltungswert ausstellen.«

      Prima, ich wurde schon wieder rot. Wie überaus peinlich! Um abzulenken, fragte ich noch einmal: »Was ist nun mit dem Kochen?«

      »Ja, gute Idee! Aber lass Dir gesagt sein, ich bin keine gute Küchenhilfe. Meine Kochkünste beschränken sich auf Rührei, Spiegelei oder, ganz besonders erlesen, hart gekochtes Ei.«

      »Das ist doch besser als nichts. Schnippeln kannst Du aber, oder?«, neckte ich ihn.

      »Ich stehe ganz zu deinen Diensten, Maître«, antwortete Robert belustigt und machte einen formvollendeten Diener.

      »Gut. Dann sollten wir zunächst die Menüreihenfolge festlegen«

      Ich ging in Gedanken schnell meine Vorräte durch und schlug danach Folgendes vor: »Wie gefällt dir dies: Tomatensalat à la Caprese als Vorspeise, im Hauptgang Spaghetti mit Pesto Rosso und als Dessert lauwarmes Apfelkompott mit Vanillesoße?«

      »Wow! Wohin darf ich meine Sachen räumen? Ich glaube, ich ziehe nachher noch ein, denn dieses Menü verstehe ich als Aufforderung zum Bleiben«, kommentierte Robert meinen Vorschlag äußerst beeindruckt.

      »Sehr schön«, lachte nun ich. »Dann habe ich ja alles richtig gemacht!«

      »Lass uns anfangen. Hier sind Äpfel, bitte schälen, entkernen und in Stückchen schneiden«, sagte ich und schob ihm ein Brettchen, ein Messer